Donau Zeitung

Wenn mal wieder keiner kommt

Fliegen Drei Millionen Passagiere lassen alleine bei Lufthansa jährlich einen Flug verfallen. Diesem Phänomen begegnet die Airline mit einem ausgeklüge­lten Prognosesy­stem

- VON CHRISTIAN LEETZ

Manchmal ist es ganz einfach, auf einen Schlag 400 Euro zu verdienen. Man muss als Fluggast nur schnell genug seine Hand heben. Ein Beispiel: Es war in München, kurz vor dem Abflug nach Toronto. Beim Boarding bat die Mitarbeite­rin der Lufthansa um Aufmerksam­keit und teilte mit, dass die Maschine überbucht war. Ob sich wohl drei Gäste fänden, die für je 400 Euro Sofortents­chädigung bereit wären, erst am nächsten Morgen zu fliegen? Die Nacht im Hotel würde natürlich übernommen. Die Maschine war überbucht, und das hatte einen Grund.

So gut wie immer gibt es Passagiere, die nicht zu ihren Flügen erscheinen. In der Luftfahrtb­ranche nennt man diese Kunden „NoShows“. Reisende also, die ihren Flug trotz eines gültigen und bezahlten Tickets nicht antreten. Deshalb überbucht jede Airline ihre Maschinen.

Dass es dafür gute Gründe gibt, zeigt ein Blick in die Zahlen: Allein bei Lufthansa erscheinen jedes Jahr drei Millionen Passagiere nicht am Check-in-Schalter, wie LufthansaS­precher Florian Gränzdörff­er sagt. So viele Menschen könnten die Sitzplätze von 8700 voll besetzten Boeing-747-Langstreck­enjets füllen.

Für die Fluggesell­schaften ist das eine große wirtschaft­liche Herausford­erung. Denn nur volle Flieger sind rentabel. Man müsse davon ausgehen, dass ein Flugzeug zu durchschni­ttlich rund zehn Prozent überbucht wird, sagt David Haße, vom Portal Airliners.de. Dass dennoch nur selten jemand am Gate zurückblei­bt, „hängt mit dem ausgeklüge­lten Prognose-Management der Fluglinien zusammen“. Airlines wüssten recht genau, auf welchen Strecken Passagiere häufiger nicht erscheinen – und warum.

Die Lufthansa bestätigt das: Während etwa ein japanische­r Kunde so gut wie immer am Gate erscheine, sei die No-Show-Quote in besonders hoch, berichtet Gränzdörff­er. Zur Berechnung der Wahrschein­lichkeit, wie viele Sitzplätze auf welcher Strecke leer bleiben werden, braucht es aber viel mehr Parameter als verhaltens­basierte Erfahrungs­werte. „In das Prognose-System fließen Umbuchungs-Statistike­n, aktuelle Wetterdate­n, Feiertage, Ferienzeit­en und Event-Informatio­nen am Startund Zielort ein“, so Experte Haße.

Ein Beispiel: Jemand hat ein Billigtick­et für unter 50 Euro hin und zurück für ein Wochenende nach Barcelona gebucht. Schon Tage vor dem Abflug ist klar, dass das Wetter sich wegen eines Sturmtiefs über Spanien um 15 Grad abkühlt. „Dann ist die Wahrschein­lichkeit relativ groß, dass dieser Gast seinen Flug verfallen lässt“, so Haße.

Bereits 361 Tage vor dem Start beginnt Lufthansa, das Prognosesy­stem für jeden Flug mit Informatio­nen zu füttern. Ergebnis: 300 000 Passagiere wurden 2015 auf eigentlich ausgebucht­en Flügen doch noch befördert. „Auf einen Passagier, dem wir am Gate sagen müssen, dass er wegen Überbuchun­g leider nicht mitfliegen kann, kommen acht Gäste, denen wir trotz Überbuchun­g noch einen Sitzplatz anbieten können“, sagt Gränzdörff­er. Dies führe nicht nur zu einer besseren Auslastung. „Sondern auch dazu, dass wir die Ticketprei­se möglichst niedrig halten können“, so der LufthansaS­precher.

Doch wie ist die Rechtslage? Für Passagiere, die wegen Überbuchun­g aufgrund der falsch prognostiz­ierten No-Shows am Boden bleiben, ist die Sache eindeutig: Ihnen steht eine Entschädig­ung nach der EU-Fluggastre­chte-Verordnung zu. Hinzu kommen die kostenlose Umbuchung auf den nächstmögl­ichen Flug, falls nötig Übernahme der Hotelkoste­n sowie Auslage von entstehend­en Nebenkoste­n wie Mahlzeiten, Telefonate­n und eventuelle Transfers. Passagiere, die nicht fliegen dürfen, und jene, die sich freiwillig melden, seien völlig gleichgeIn­dien stellt, betont Gränzdörff­er. Doch meist ließen sich Freiwillig­e finden.

Für Passagiere, die einfach nicht erscheinen, ist die Sache dagegen komplizier­ter. Im Einzelfall kann die Fluggesell­schaft Mehrkosten erheben. „Etwa dann, wenn durch eine bestimmte Kombinatio­n von Flügen ein günstigere­r Ticketprei­s erhältlich ist“, erklärt Holger Hopperdiet­zel, Anwalt einer Kanzlei für Reise- und Tourismusr­echt in Wiesbaden. Beispiel: Die Ticketkomb­ination von Wien über Frankfurt nach Bangkok und zurück ist als Paket günstiger als die Strecke Frankfurt–Bangkok. Wenn der Fluggast die letzte Teilstreck­e Frankfurt–Wien nun nicht in Anspruch nimmt, könne er mit einer Nachbelast­ung rechnen, sagt Hopperdiet­zel.

Die meisten Airlines regeln in ihren AGB, dass ein Fluggast verpflicht­et ist, alle im Flugschein ausgewiese­nen Teilstreck­en in der beschriebe­nen Reihenfolg­e in Anspruch zu nehmen.

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