Zwei Supersportler im Vergleich
Wintersport Martin Fourcade (Biathlon) und Marcel Hirscher (Ski alpin) dominieren ihre Disziplinen. Beide sind extrem ehrgeizig, extrem talentiert und vor allem: extrem unterschiedlich
Augsburg Der Winter ist noch jung, und doch zeichnet sich schon ab, dass ihn zwei außergewöhnliche Sportler dominieren werden: Marcel Hirscher und Martin Fourcade. Der Skifahrer und der Biathlet sind seit Jahren in ihren Disziplinen das Maß der Dinge. Beide führen auch in dieser Saison die jeweiligen Gesamtweltcups bereits mit beeindruckendem Vorsprung an. Der Österreicher Hirscher hat diese wichtigste Wertung zuletzt fünfmal in Folge gewonnen, Gleiches schaffte der Franzose Fourcade. Wenn keine Verletzung dazwischenkommt, werden sie wohl auch ein sechstes Mal triumphieren. Hirscher wäre der erste Skifahrer, der das schafft. Noch steht er mit dem ebenfalls fünffachen Gesamtweltcupsieger Mark Girardelli auf einer Stufe. Fourcade würde mit einem sechsten Gesamtsieg zum legendären Ole Einar Björndalen aufschließen.
Hirscher und Fourcade – zwei Supersportler. Was verbindet sie? Was unterscheidet sie?
Charakter Hirscher gilt als ruhig, fast introvertiert. Öffentliche Auftritte nach seinen Siegen absolviert er mit einer offensichtlichen Mischung aus Langeweile und Unwohlsein. Das hängt auch damit zusammen, dass Skifahren in Österreich extrem populär und Hirscher ein Superstar ist. Medien, Politiker, Unternehmen, Fans – alle reißen sich um den 27-Jährigen. Über Jahre im Rampenlicht zu stehen ist aus Hirschers Perspektive die Schattenseite seines Erfolgs. Er sagt, früher habe er das besser weggesteckt. Inzwischen koste es ihn zu viel Energie. Der ohnehin schon scheue Sportler hat die Zahl seiner öffentlichen Auftritte noch einmal deutlich reduziert. „Denn am Ende des Tages kommt es darauf an, dass ich schnell Ski fahre.“
Ganz anders Fourcade. Er liebt es, im Mittelpunkt zu stehen. Der Franzose ist nie um einen Spruch verlegen. Früher hat er sich lustige Antworten auf Englisch notiert, um sie auf Pressekonferenzen an passender Stelle vorzutragen. Fourcade beherrscht das Spiel mit dem Publikum und dem Gegner, die großen Gesten genauso wie die kleinen Psychotricks.
Was bei den Zuschauern regelmäßig für Begeisterung sorgt, legen ihm viele Konkurrenten als Überheblichkeit und Respektlosigkeit aus. Fourcade ist’s egal. Er kann es sich bisweilen sogar leisten, kurz vor dem Ziel einen Ski auszuziehen und über die Linie zu laufen.
Ehrgeiz „Ich hasse es zu verlieren“, sagt Fourcade. Dieser „Hass“treibt ihn an. Sein vier Jahre älterer Bruder Simon, der ebenfalls im Biathlon-Weltcup aktiv ist, erzählt gerne die Geschichte, wie er früher mit Martin spielte. Dabei habe dieser kurzerhand die Spielregeln geändert, um nur ja nicht zu verlieren. Seinen großen Bruder zu schlagen, war viele Jahre Martin Fourcades größte Motivation.
Hirscher zieht seine Kraft aus dem gnadenlosen Willen, der Beste zu sein. Kein anderer betreibt einen solchen Aufwand, wenn es darum geht, die perfekte Materialabstimmung zu finden. Ski, Bindung, Schuh, Wetter, Hangneigung, Schnee, Tagesform – wie ein Getriebener strebt Hirscher danach, das perfekte System zu finden.
Talent Hirscher und Fourcade haben beide außergewöhnliche Fähigkeiten in die Wiege gelegt bekommen. Der Franzose ist die perfekte Mischung aus Coolness und Reaktionsschnelligkeit am Schießstand. Dazu kommt eine elegante Lauftechnik, gepaart mit dem absoluten Willen, sich bis an die Leistungsgrenze zu verausgaben – im Training und im Rennen. Er hat nahezu perfekte körperliche Hebel für einen Langläufer.
Der eher klein gewachsene Hirscher hat ebenfalls perfekte Maße für die technischen Disziplinen des alpinen Rennsports. In Slalom und Riesenslalom kommen seine Wendigkeit, gepaart mit Schnellkraft und Athletik, voll zum Tragen. Kein anderer schafft es, Spitzenleistungen derart konstant zu wiederholen.
Glück Hirscher ist, im Gegensatz zur Mehrheit seiner Kollegen, bisher von schweren Verletzungen verschont geblieben. Das liegt an seinen fahrerischen Fähigkeiten, ist zu einem Großteil aber schlicht Glück. Nur einmal (2011, Kahnbeinbruch im linken Fuß) musste er pausieren. „Das ist ein echtes Privileg. Man kann überhaupt nicht ermessen, wie kostbar das ist“, sagte Hirscher dem österreichischen Magazin 110%.
Das große Glück des Sportlers Martin Fourcade ist, dass es schon einmal einen Besseren gab. Das motiviert ihn, auch nach Siegen weiter zu arbeiten. Noch hält Björndalen die wichtigsten Biathlon-Rekorde. Bis vor kurzem galten diese als festgemeißelt für die Ewigkeit – dann kam Fourcade.