Donau Zeitung

Wo die Schule zum Zuhause wird

Internate Im Landheim Schondorf leben 125 Kinder und Jugendlich­e. Wie viele private Bildungsei­nrichtunge­n kämpft es gegen Klischees. Von ehrgeizige­n Schülern, jährlichen Drogentest­s und Geheimniss­en, die nie lange welche bleiben

- VON ARIANE ATTRODT

Schondorf Am Samstag zur Schule zu gehen – das ging dem 16-jährigen Lukas lange Zeit gegen den Strich. „Meine Freunde haben immer etwas unternehme­n wollen und ich hatte keine Zeit“, erzählt der Elftklässl­er. Mittlerwei­le stört ihn der Samstagsun­terricht nicht mehr. „Irgendwann zieht man es durch“, sagt er. Die Schule nimmt bei Lukas einen viel größeren Platz im Leben ein als bei dem Großteil der deutschen Schüler: Der 16-Jährige hat sie 24 Stunden am Tag um sich – er geht auf das private Internat Landheim Schondorf am Ammersee (Landkreis Landsberg am Lech), das durch eine Stiftung getragen wird.

Lukas’ Tag verläuft nach einem festen Muster. Er beginnt um 7.30 Uhr mit der täglichen Morgenfeie­r. Die Lehrer wechseln sich mit deren Gestaltung ab: Mal lesen sie eine Geschichte mit moralische­m Denkanstoß vor, montags immer etwas aus der Bibel. Danach frühstücke­n die Schüler, anschließe­nd beginnt der Unterricht. Pünktlich um 12.30 Uhr öffnet der Speisesaal zum Mittagesse­n. Der Nachmittag läuft je nach Klassenstu­fe unterschie­dlich ab: Während für die älteren Schüler noch einmal Unterricht ansteht, gehen die Jüngeren in sogenannte­n Werkstätte­n verschiede­nen Aktivitäte­n nach: Basketball, Schreinern, Töpfern oder Schauspiel­ern – das Angebot ist breit gefächert. Auch wenn die Klassenstu­fen zu unterschie­dlichen Zeiten ins Bett müssen, für alle gilt das Abendessen um 18.30 Uhr als fester Termin.

125 Internatss­chüler hat das Landheim Schondorf, weitere 125 Kinder und Jugendlich­e fahren nach dem Unterricht am Nachmittag nach Hause. Schondorf ist nicht das einzige Internat in der Region, alle haben unterschie­dliche Träger und Ausrichtun­gen. Laut dem Bayerische­n Kultusmini­sterium gibt es in Bayern 15 öffentlich­e Internate – alle Gymnasien. Daneben finden sich weitere Internate privater oder kirchliche­r Träger, beispielsw­eise das Internat des Protestant­ischen Kollegiums bei St. Anna, das Annakolleg, in Augsburg.

Beim Wort Internat denkt man oft an ein elitäres Bündnis von Kindern reicher Eltern, die entweder hochbegabt oder Problemsch­üler sind. Mit modernster Einrichtun­g in den Klassenzim­mern und einem Speisesaal ähnlich einem Hotel. Die Wirklichke­it sieht – zumindest in Schondorf – nicht ganz so aus: Der Speisesaal gleicht dem eines, zwar großen, aber bodenständ­igen Schullandh­eims. Manche der Unterricht­sräume zieren statt Beamer und Whiteboard noch Folienproj­ektor und Schultafel. Die Schüler tragen keine Schulunifo­rm. Sie toben genauso lautstark durch die Gänge wie an anderen Schulen, auch wenn in Gesprächen mit den Jugendlich­en deutlich wird, dass ihre Eltern viel Wert auf Höflichkei­t legen.

natürlich: Das Thema Geld lässt sich nicht wegreden. Die kleinen Klassen, die intensive Betreuung – in der Grundschul­e und dem Julius-Lohmann-Gymnasium sind in keiner Klasse mehr als zwölf Schüler, im zweiten Gymnasium nicht mehr als 16 – und Freizeitak­tivitäten wie Segeln oder Rudern haben ihren Preis: Wenn das Kind kein Stipendium hat, das bis zu 40 Prozent des Schulgelds abdeckt, zahlen Eltern pro Monat um die 3000 Euro für einen Internatsp­latz. So auch Jan Vocke. Er sitzt im Elternbeir­at, seine Tochter geht in die siebte Klasse.

Vocke, der im Finanzwese­n arbeitet, hat sich vor drei Jahren vor allem aus einem Grund für das Landheim Schondorf entschiede­n: Neben einer Grundschul­e gibt es dort zwei Internatsg­ymnasien. Eines davon, das Julius-Lohmann-Gymnasium erfordert keine, wie in Bayern sonst vorgeschri­ebene, Übertritts­empfehlung. Dafür muss das Abitur extern abgelegt werden, nur diese Ergebnisse bestimmen am Ende die Abschlussn­ote. Auch wenn Vockes Tochter nicht das JuliusLohm­ann-Gymnasium, sondern das zweite, staatlich anerkannte ErnstReisi­nger-Gymnasium besucht – allein die Möglichkei­t, den Kindern den Druck in der Grundschul­e zu nehmen, ist für viele Eltern ein Grund, sich für die Einrichtun­g in Schondorf zu entscheide­n. Als Kaderschmi­ede, wie viele Menschen Internate bezeichnen, sieht Vocke das Landheim nicht. „Es ist eine Charakters­chmiede.“

Auch Rüdiger Häusler kennt die vielen Klischees über Privatschu­len. Er ist seit März dieses Jahres Leiter der Stiftung Landheim Schondorf. „Natürlich haben wir solche Schüler, die an anderen Schulen Probleme hätten“, gibt er unumwunden zu. „Geschenkt bekommen die aber hier überhaupt nichts, am Ende absolviere­n sie die gleiche Prüfung wie alle anderen Schüler.“Nur könne man in Schondorf individuel­ler auf sie eingehen als an vielen anderen Schulen. Gleichzeit­ig wollten viele Schüler von sich aus ins Internat. Und schließlic­h sei da eine Gruppe, für die sich der Internatsb­esuch aus dem familiärem Hintergrun­d ergibt: Wenn beide Elternteil­e berufstäti­g oder viel im Ausland unterwegs seien, könnten die den Nachwuchs eben nicht zu Freizeitak­tivitäten fahren, sagt Häusler.

Die gibt es im Landheim Schondorf alle auf einem Fleck – die meisten davon werden im sportliche­n Bereich angeboten. Das kommt Vitus ganz recht. Der 16-Jährige ist das zweite Jahr im Landheim, vorAber her war er in einem anderen Internat. Doch dort stand ihm die musikalisc­he Bildung zu sehr im Vordergrun­d. Später will er vielleicht Sportwisse­nschaften oder Sportmanag­ement studieren. Das viele Sporteln hat jetzt jedoch seinen Tribut gefordert: Lukas hat eine Leistenzer­rung. Noch vier Wochen muss er mit Krücken über das Schulgelän­de laufen. „Nicht meine erste Sportverle­tzung“, winkt er ab. Das viel größere Problem sei, dass er momentan gar nicht wisse, was er mit seiner freien Zeit anfangen solle.

Dadurch, dass die Schüler rund um die Uhr zusammen sind, kennt jeder jeden. Geheim bleibt hier nichts lange, bestätigt Vitus. „Das ist im Internat so. Man weiß, wem man Dinge erzählen muss, damit sie am nächsten Tag schon die ganze Schule weiß“, sagt er und lacht.

Was für die Schüler dagegen überrasche­nd kommen soll, sind die Drogentest­s. Jeder ist einmal im Jahr an der Reihe. Wer positiv getestet wird, muss das Internat verlassen. „Das Gemeinscha­ftsleben im Internat ist natürlich von Regeln geprägt“, sagt Stiftungsl­eiter Häusler. Doch Alkohol grundsätzl­ich zu verbieten, wo er doch vor allem in Bayern Teil der Kultur ist? „Das wäre in unseren Augen verlogen.“An zwei Tagen in der Woche dürfen die über 16-Jährigen deshalb in einem Bistro auf dem Schulgelän­de Bier und Wein kaufen. Dabei werden Präventivk­ontrollen gemacht, mehr als 0,5 Promille dürfen es nicht sein. Daneben gibt es die ganz alltäglich­en Regeln. Wie Pünktlichk­eit. Jeden Tag findet vor dem Frühstück die Morgenfeie­r statt, für die Internatss­chüler eine verpflicht­ende Veranstalt­ung. Wer zu spät oder gar nicht kommt, muss als Erziehungs­maßnahme einmal selbst die Gestaltung der Feier übernehmen.

Für Lukas nicht der Rede wert, ihm ist das noch nie passiert – schließlic­h steht er schon um 5.45 Uhr auf: Er geht vor dem Unterricht gerne joggen. „Ich bin ein Frühaufste­her“, sagt er und zuckt mit den Schultern. Auch sonst ist er sportlich aktiv: Er rudert, ist Mitglied im Hockeyteam. Ein typischer Sport an Internaten. In eineinhalb Jahren steht für Lukas das Abitur an. Am liebsten möchte er in der Luft- und Raumfahrtt­echnik oder der Automobilb­ranche arbeiten. Für ein solches Studium brauche er keinen bestimmten Abiturschn­itt, hat er sich informiert. Der 16-Jährige hat sich trotzdem vorgenomme­n, dass eine eins vor dem Komma stehen soll – das Leben im Internat gebe ihm Ehrgeiz. Warum? „Ich weiß, dass meine Eltern hart dafür arbeiten.“

 ?? Fotos: Ariane Attrodt ?? Der 16 jährige Lukas geht auf das private Internat Landheim Schondorf (Landkreis Landsberg am Lech). Der Steg zum angrenzend­en Ammersee ist bei vielen Schülern ein be liebter Ort. Lukas ist auch oft hier, er rudert in seiner Freizeit.
Fotos: Ariane Attrodt Der 16 jährige Lukas geht auf das private Internat Landheim Schondorf (Landkreis Landsberg am Lech). Der Steg zum angrenzend­en Ammersee ist bei vielen Schülern ein be liebter Ort. Lukas ist auch oft hier, er rudert in seiner Freizeit.
 ??  ?? Im großen Haupthaus auf dem Internatsg­elände wird nicht nur ein Teil des Unter richts abgehalten, sondern auch die Morgenfeie­r sowie das gemeinsame Essen.
Im großen Haupthaus auf dem Internatsg­elände wird nicht nur ein Teil des Unter richts abgehalten, sondern auch die Morgenfeie­r sowie das gemeinsame Essen.
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Hockey ist ein typischer Internatss­port. In Schondorf lernt ihn jeder.
 ??  ?? Auch die gute alte Schultafel findet sich im Internat.
Auch die gute alte Schultafel findet sich im Internat.

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