„Für manche Kinder kann es auch eine Erleichterung sein“
Interview Ein Experte erklärt Vor- und Nachteile, die ein Internatsbesuch mit sich bringen kann
Herr Schweiger, Sie sind Leiter der Staatlichen Schulberatungsstelle Schwaben und kennen sich mit den verschiedenen Schulformen aus. Ist ein Internat denn für alle Schüler geeignet? Hans Schweiger: Es ist immer eine Einzelfallentscheidung. Man muss einige grundsätzliche Fragen klären. Zum Beispiel: Warum ist ein Internatsbesuch überhaupt gewünscht und welche Alternativen könnte es geben?
Wie finden Eltern das beste Internat für ihr Kind? Schweiger: Es gibt eine ganze Reihe von Fragen, die sich Eltern stellen sollten, damit man das Passende findet: Welches pädagogische Konzept verfolgt die Einrichtung? Wie ist die Zahl der Schüler in den Klassen und im gesamten Internat? Welche präventiven Maßnahmen gegen sexuellen Missbrauch gibt es? Es gibt ja auch verschiedene Internatsanbieter: öffentliche Internate, also Heimschulen in öffentlicher Trägerschaft. Die sind konfessionsunabhängig. Dann gibt es noch private Internate, zum Beispiel mit kirchlicher Trägerschaft. Im Internet kann man sich über alle Angebote gut informieren.
Ist es für einen Schüler einfacher, so früh wie möglich auf ein Internat zu gehen? Schweiger: Das ist schwer pauschal zu beantworten, aber sicherlich ist es so: Für die ganz Kleinen ist dabei die emotionale Bindung an die Eltern ein Problem – wenn die familiäre Situation einigermaßen intakt ist. Wenn nicht, kann es für manche Kinder auch eine Erleichterung sein.
Was, wenn das Kind nicht aufs Internat will, die Eltern es aber für die beste Lösung halten? Schweiger: Es gegen den Willen des Kindes durchzuziehen, ist eine heiße Nummer, das würde ich nicht empfehlen. Am besten sollte man das gemeinsam entscheiden – und nach einem gewissen Zeitraum die Entscheidung überprüfen und gegebenenfalls. korrigieren. Wenn sie natürlich einen sehr konservativen Erziehungsstil pflegen, bei dem es zum guten Ton gehört, die Kinder aus dem Haus zu schicken, dann wird da nicht diskutiert. Dann hat man sich zu fügen, bei allem, was damit an Kollateralschaden verbunden ist.
Welche positiven Effekte kann das Internat auf Schüler haben? Schweiger: Früher sagte man immer, im Internat lernt man Disziplin, also die alten Tugenden. Ich glaube, daran wollen sich Internate heute nicht mehr messen lassen. Aber natürlich lernt man dort auch Regeln zu befolgen, weil man sonst sanktioniert wird – vielleicht mehr als zu Hause. Sie können soziales Verhalten üben, bekommen vielleicht eine spezielle Begabungsförderung und werden zur Selbstverantwortlichkeit erzogen.
Es heißt immer, das Internat hat einen Image-Wechsel hinter sich. Stimmt das tatsächlich? Schweiger: Ich denke schon, dass man von dieser harten, unreflektierten Disziplin des Sich-Einordnens wegkommt, stattdessen will man Werte vermitteln. Außerdem hat man heute auch im Internat viel mehr individuelle Rückzugsmöglichkeiten.
Interview: Ariane Attrodt
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Zur Person Hans Schweiger leitet die Staatliche Schulberatungs stelle Schwaben in Augsburg. Davor war er Gymnasial und Beratungs lehrer.