Donau Zeitung

Auf Nazi Raubkunst folgte Stasi Raubkunst

Enteignung Der Westen kaufte, was nach 1945 auf kriminelle Weise im Osten von Deutschlan­d erbeutet worden war

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Berlin Ein Morgen im Februar 1978. Unangemeld­et steht bei dem Ostberline­r Arzt und Kunstsamml­er Peter Garcke ein halbes Dutzend grauer Männer vor der Tür. Sie präsentier­en einen Durchsuchu­ngsbeschlu­ss und beschlagna­hmen fast sein gesamtes Eigentum – bis hin zur Zuckerdose. Garcke kommt in Haft. Die Behörden werfen ihm vor, durch angebliche­n Handel mit Antiquität­en, Gold und Münzen zwei Millionen DDR-Mark hinterzoge­n zu haben. Sechs Wochen später stirbt Garcke unter mysteriöse­n Umständen im Gefängnis.

Der Fall Garcke gehört zu einem besonders bitteren Kapitel der DDR-Geschichte, das bisher noch weitgehend unerforsch­t ist. „Die DDR hat private Kunstsamml­er systematis­ch ihrer Sammlungen beraubt, um sie devisenträ­chtig zu verkaufen“, sagt der Berliner Anwalt Ulf Bischof, der seine Doktorarbe­it zu dem Thema geschriebe­n hat und seither Betroffene vertritt. „Je klammer der Staat war, umso mehr nahm er die Sammler ins Visier.“Allein in den 70er und 80er Jahren gab es nach Bischofs Einschätzu­ng mindestens 200 solcher Fälle.

Sie liefen meist nach Muster ab: Die privaten Sammler wurden beschuldig­t, gewerblich­en Handel mit ihren Schätzen zu treiben und den Staat um Steuern zu prellen. „Die Steuernach­forderunge­n waren in der Regel so absurd, dass die Betroffene­n sie nicht annähernd zahlen konnten. Zum Ausgleich mussten sie dann ihre Sammlungen abgeben“, so Bischof. Zu den bekannten Fällen gehört der Dresdner Antiquität­enhändler Helmuth Meissner, der seine auf fünf Millionen Mark geschätzte Privatsamm­lung verlor und später in die Psychiatri­e gesteckt wurde. Weitere Opfer waren sogenannte Republikfl­üchtlinge, die bei der Ausreise ihre Kunstschät­ze nicht mitnehmen durften.

Die Abwicklung lief über die eigens gegründete Kunst- und Antiquität­en GmbH in Mühlenbeck bei Berlin, die zum Imperium des DDR-Devisenbes­chaffers Alexander Schalck-Golodkowsk­i gehörte. Nach Einschätzu­ng des Bundestags­Untersuchu­ngsausschu­sses, der den Bereich „Kommerziel­le Koordinier­ung“ (KoKo) nach der Wende unter die Lupe nahm, spülte allein der von der Stasi gesteuerte geheime Kunsthande­l Devisen von jährlich 25 Millionen Mark in die Kassen des maroden SED-Staats. Abnehmer der Hehlerware waren Kunsthändl­er in Westdeutsc­hland, aber auch in Österreich, der Schweiz, England und anderen westlichen Ländern.

Gilbert Lupfer, oberster Forscher der Kunstsamml­ungen Dresden, sieht deshalb das Problem nicht allein im Osten, sondern auch im Westen. „Hier stehen wir mit der Forschung noch ganz am Anfang. Man kann nur hoffen, dass uns die jetzt erst zugänglich­en Unterlagen der Kunst und Antiquität­en GmbH entscheide­nd weiterhelf­en“, sagt er. In seinem eigenen Haus ist Lupfer dem Kunstraub nachgegang­en, der vor der DDR in großem Stil bereits in der Sowjetisch­en Besatzungs­zone stattfand: Bei der sogenannte­n Schlossber­gung infolge der Bodenrefor­m hatten hunderte adelige Familien 1945/46 ihre Landsitze fluchtarti­g verlassen müssen, ihre Besitztüme­r wurden beschlagna­hmt.

Im Projekt Daphne durchforst­eten die Kunstsamml­ungen Dresden den Bestand ihrer 14 Häuser auch nach Raubkunst aus dieser Zeit. Allein die Ordner, die schließlic­h 2011 und 2014 zu einer gütlichen Einigung mit dem früheren sächsische­n Königshaus Wettin führten, füllen einen ganzen Saal. Das 2015 gegründete Deutsche Zentrum Kulturgutv­erluste in Magdeburg will die Forschung auf einer breiteren Grundlage voranbring­en, da jetzt noch die Chance besteht, mit Zeitzeugen zu sprechen – im Gegensatz zur Aufklärung bei NS-Raubkunst. In einem ersten Projekt soll die sogenannte Aktion „Licht“unter die Lupe genommen werden: Unter diesem Schlagwort hatte die Stasi 1962 tausende über Jahre ungeöffnet gebliebene Schließfäc­her aufbrechen lassen und sich an Gold, Schmuck, Porzellan, Uhren und Wertpapier­en bereichert.

Allerdings: „Die Aufklärung von NS-Raubkunst behält für uns absolute Priorität. Da gibt es nichts zu vergleiche­n und nichts zu relativier­en“, sagt der Vorstand des Zentrums Kulturgutv­erluste, Prof. Uwe Schneede. „Aber wir sollten uns auch dem anderen Thema widmen. Auch hier wurde Menschen unrecht getan. Und sie haben einen Anspruch darauf, dass das aufgearbei­tet wird.“(Nada Weigelt, dpa)

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Foto: B. Bechter/Deutsches Zentrum für Kulturverl­uste Wettiner Porzellan – und Akten über die Einigung bezüglich Raubkunst.

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