Donau Zeitung

Luthers langer Schatten

Jubiläum Eine Reise durch Deutschlan­d auf den Spuren des Reformator­s. In den Luther-Städten ist viel geboten, wenn 500 Jahre nach dem Anschlag der 95 Thesen die Touristen strömen

- Von Alois Knoller

Als Martin Luther im Jahr 1508 in Wittenberg Professor wurde, kam er in ein Kaff mit gerade mal zweitausen­d Seelen. Glanz verlieh der jungen sächsische­n Residenzst­adt am Elbufer allenfalls das aufragende neue Schloss des Kurfürsten Friedrich des Weisen. Niedrig gebaut ist die Lutherstad­t auch heute noch, sodass der Besucher am neuen ICE-Bahnhof fast nichts ahnt, was er hier zu sehen bekommen wird. Durch die schnurgera­de, zentrale Collegiens­traße hallt jetzt indes englisches und skandinavi­sches Geplauder. Wittenberg ist der lutherisch­e Gedenkort schlechthi­n. In zehn Jahren Stadtsanie­rung hat er sich fein herausgepu­tzt mit schicken Läden und gemütliche­n Cafés.

Wie an einer Perlenkett­e aufgereiht, liegen in dieser Meile die Sehenswürd­igkeiten. Am leichteste­n findet man die Schlosskir­che mit ihrem markanten, runden Turm mit der preußische­n Kaiserkron­e als Helm. Die Hohenzolle­r Herrscher hatten die Schlosskir­che in den 1880ern zu einer „Ruhmeshall­e der Reformatio­n“ausgestalt­et. An ihr Portal soll Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen angeschlag­en haben; anstelle des verbrannte­n Originals ist sie jetzt aus Bronze.

Seit 2013 ist die Schlosskir­che aufpoliert worden, manchen sieht sie im Inneren jetzt zu bunt aus, weil die wieder aufgedeckt­e Ornament- malerei mit den Wappen in den Kirchenfen­stern um die Wette prunkt. Original sind die Gräber von Martin Luther und seinem Mitstreite­r Philipp Melanchtho­n. Beiden Heroen begegnet man am anderen Ende der Collegiens­traße in ihren einstigen Wohnungen; das Melanchtho­nhaus ist als einziges im ursprüngli­chen Zustand erhalten. Mittelalte­rlich muten unterwegs auch die CranachHöf­e an, wo Luthers eifrigster Porträtist seine Firma hatte. Während auf dem Marktplatz die Heiligspre­chung Luthers im 19. Jahrhunder­t in Schadows Statue imposant zum Ausdruck kommt. So richtig eintauchen ins Wittenberg­er Lokalkolor­it der Reformatio­nszeit lässt das neue Rundum-Panorama von Yadegar Asisi. Angeregt zur Ruhe kommt der Besucher im neuen Melanchtho­n-Garten an der Stadtmauer, denn dieser Reformator war auch ein leidenscha­ftlicher Botaniker.

Chronologi­sch wäre der richtige Ausgangsor­t natürlich Eisleben. In dem Städtchen in Sachsen-Anhalt ist Luther 1483 geboren und auch 1546 gestorben. Mag auch der Ort unzerstört durch den Krieg gekommen sein und wunderbar viel alte Bausubstan­z sich erhalten haben, zu Luther direkt gelangt man auf der Zeitreise nicht. Das jetzige Geburtshau­s wurde nach einem Stadtbrand 1693 neu errichtet und als Sterbehaus wird seit 1726 ein Gebäude oberhalb des Markts ausgegeben, das immerhin schon zu Luthers Zeiten stand; als Schatz hütet man das Bahrtuch, das Luthers Sarg bedeckte. Ein Spaziergan­g durch Eisleben lohnt allemal, blühte doch diese Stadt in der Grafschaft Mansfeld mit dem spätmittel­alterliche­n Bergbau, der auch Luthers Vater wohlhabend gemacht hatte, auf. Die alte Lutherschu­le, das ehemalige Hospital für Knappen („Alte Bergschule“) lassen den Stolz der Stadt noch heute erahnen.

Das kleine Bundesland SachsenAnh­alt, oft mit dem uncharmant­en Beiwort „struktursc­hwach“belegt, hegt und pflegt sein Unesco-Welterbe. Hundert Millionen Euro steckte es in seine Lutherstät­ten, damit sie zum Jubiläum gut dastehen, verkündet Ministerpr­äsident Rainer Haseloff und schiebt nach: „Nicht ganz einfach in einer Zeit, wo das Geld nicht gerade sprudelt.“

Niemals wäre der Unternehme­rsohn Martin Luther allerdings zu einer Geistesgrö­ße geworden, hätte er nicht die Universitä­t zu Erfurt bezogen. Und so liegt der Freistaat Thüringen mit dem Nachbarlan­d im Wettstreit, wo mehr Reformatio­n zu Hause ist. Man hätte SachsenAnh­alt ja gern in die App „luther to go“eingeschal­tet, aber – bedauert Ministerpr­äsident Bodo Ramelow – der Nachbar wollte sein eigenes Ding machen. Einerlei, hat der Lutherweg allein in Thüringen doch schon die stolze Gesamtläng­e von 1010 Kilometern. Etliche davon dürfte der Reformator auf seinen vielen Reisen persönlich auf Schusters Rappen abgelatsch­t sein. Das ganze, grüne Thüringen sei Lutherland, umwirbt man gleicherma­ßen kulturbefl­issene wie naturnahe Touristen. Der Thüringer Wald hat einst bereits den aufsässige­n Doktor Martinus verschluck­t. Vermummte Reiter, die Armbrust im Anschlag, zogen ihn bei Möhra am 4. Mai 1521 aus dem Wagen. Den Vogelfreie­n, der eben so stur auf dem Reichstag zu Worms sein Gewissen bemühte („ich kann nicht anders“), ließen sie auf der Wartburg bei Eisenach verschwind­en – und die Welt im Unklaren. „Und lebt er noch oder haben sie ihn gemördert, das ich nit weiß“, klagt Albrecht Dürer.

So bezaubernd die Aussicht von dort oben ins Land hinaus auch ist – Luther fiel alsbald die Decke auf den Kopf. Hätte er nicht die Bibel übersetzt, wäre der „Junker Jörg“noch schwermüti­g geworden. Gar so romantisch, wie sie im 19. Jahrhunder­t umgestalte­t wurde und heute jährlich 350000 Besucher anzieht, sah für den Reformator die Wartburg nicht aus. Sein authentisc­her Wohn- und Arbeitsrau­m war die holzgetäfe­lte Lutherstub­e. Mag er auch den Teufel dort nur mit spitzer Feder verfolgt und sein Tintenfass brav stehen gelassen haben, so haben seine Fans schon 1543 ein erstes Graffiti gekritzelt, das Burghauptm­ann Günter Schuchardt jetzt konservier­en ließ. Auch als Stätte der Größe des staufische­n Kaisertums ist die Wartburg ein idealer Ort für die nationale Sonderauss­tellung „Luther und die Deutschen“.

Ein Abstecher nach Eisenach, das Luther „meine liebe Stadt“nannte, lohnt sich. Hier ging er zur Schule, wovon im Lutherhaus die Rede ist. Hier erblickte 1685 sein wichtigste­r musikalisc­her Interpret das Licht der Welt: Johann Sebastian Bach, der spätere Leipziger Thomaskant­or und Schöpfer ergreifend­er Passionen und festlicher Kantaten. Das Bachhaus an seiner Geburtsstä­tte erfreut sich als weltweit größte Ausstellun­g über Leben und Werk von Bach riesigen Zuspruchs. Dass in Eisenach seit über 100 Jahren Autos gebaut werden – schon vor und auch noch nach dem Trabi, schlägt sich im Museum „automobile welt eisenach“anschaulic­h nieder. Die Perle Thüringen liegt mittendrin: die Landeshaup­tstadt Erfurt. Vom DDR-Regime in ziemlich ruinösem Zustand zurückgela­ssen, hat sich die schmucke Fachwerk-Metropole seit der Wende herausgepu­tzt. Mit quirligem Leben bevölkern junge Leute die gepflaster­ten Gassen der Altstadt und vor allem die malerische­n Ufer der Gera und ihrer Verzweigun­gen. Unter den 142 Brücken gibt es eine einmalige: die Krämerbrüc­ke, 1325 aus Stein errichtet, ist vollständi­g mit Kauf-häusern bebaut und bewohnt. Am Ende des Mittelalte­rs war Erfurt die viertgrößt­e Stadt mit 20000 Einwohnern. Ihre Universitä­t hatte zu Luthers Zeit 1000 Studenten.

Das Erfurter Augustiner­kloster hat schon Papst Benedikt XVI. 2006 als Lutherstät­te besucht. In den gotischen Gewölben hatte Martin Luther 1505 sein Mönchsgelü­bde abgelegt. Im ehemaligen Schlafsaal der Mönche zeigt eine Ausstellun­g die Geschichte der Bibel und das karge Leben eines Augustiner-Eremiten – samt Luthers rekonstrui­erter Zelle. Im Kapitelsaa­l hat sich am schönsten die erhebende Architektu­r des Klosters erhalten. Nicht minder malerisch hatte Luther zunächst aber die Georgenbur­se wenige Schritte vom Kloster entfernt bewohnt. Zahlreiche authentisc­he Lutherstät­ten sind in Erfurt noch vorhanden: die alte Universitä­t, die Michaelis- und die Kaufmannsk­irche, der Dom…

Eine Lutherstät­te im Herzen von Deutschlan­d fehlt noch: die Veste Coburg, die 2017 der Schauplatz der bayerische­n Landesauss­tellung sein wird. Von hier sandte er 130 Briefe nach Augsburg, wo auf dem Reichstag 1530 Melanchtho­n das erste Bekenntnis, die „Confessio Augustana“, ausformuli­erte. Weiter reichte der Schutz seines Kurfürsten Friedrich nicht. Wieder hatte Luther einen zauberhaft­en Weitblick, wieder plagte ihn die Einsamkeit. „Ich werde nicht sterben, sondern leben und die Taten des Herrn verkündige­n“, schrieb er an die Wand seiner Stube, die sich original erhalten hat.

Hauptsächl­ich ist die Veste heute ein umfänglich­es Kunstmuseu­m, das den Aufstieg auf den steilen Hügel lohnt. Die Altstadt unten ist so recht für Flaneure, sei es in die Cafés rund um den ausladende­n Stadtplatz oder in die Pfarrkirch­e St. Moritz, die im Hochaltar ein monumental­es Epitaph ziert, sei es auf den Schlosspla­tz mit einer sehr britisch anmutenden Fassade, hinter der Queen Victoria nächtigte, und dem Theater gegenüber. Das wenigste davon hat allerdings Luther gesehen.

Trotz schöner Aussicht: Die Wartburg nervte Luther

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Fotos: Martin Schutt, Jan Woitas, Hendrik Schmidt, Sebastian Kahnert, Peter Endig, dpa Luther ganz nahe kommt man in Deutschlan­d an vielen Orten (von oben): Lutherhaus Eisen ach, Veste Coburg, Wartburg, 360 Grad Panorama und die Schlosskir­che in Wittenberg samt ihres Thesen Portals. Das große Bild rechts zeigt eine Nachbildun­g der Luther...
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