Beutet Deutschland mit dem Euro Amerika aus?
Leitartikel Der US-Präsident dämonisiert unsere Exportkraft und vermutet hinter der schwachen europäischen Währung eine Verschwörung. Hier helfen nur noch Fakten
In Zeiten von Verschwörungstheorien, glatten Lügen und alternativem Fakten-Quatsch ist ein kühler Kopf gefragt. Leider hat Wissen einen entscheidenden Nachteil: Es muss im Schweiße des Angesichts durch Recherche und Nachdenken errungen werden. Das schmeckt Populisten nicht.
Wer sich mit Trump und anderen Nachdenk-Verweigerern auseinandersetzt, dem bleibt nichts anderes übrig, als auf die Kraft der Fakten zu setzen. So besagt eine vom USPräsidenten unterstützte Verschwörungstheorie, Deutschland beute dank eines unterbewerteten und manipulierten Euro mit aggressiver Exportpolitik die USA aus. Es reicht nicht, einfach nur „Unsinn“zu rufen. Wirkungsvoller ist es, eine Fakten-Rakete zu zünden. Die erste Stufe des Wahrheitsgeschosses lässt keinen Zweifel daran: Der Eurokurs wird nicht von Deutschland bestimmt, sondern bildet sich an den Finanzmärkten. Dass die europäische Währung gegenüber dem Dollar nachgegeben hat und es für Amerikaner damit attraktiver ist, deutsche Waren zu kaufen, entspringt nicht germanischer Heimtücke. Denn die vergleichbare Schwäche des Euro ist das Resultat eines trotz deutscher Kraft insgesamt mauen europäischen Wirtschaftsraums. Reformfaule Staaten wie Italien und Griechenland tun dem Euro nicht gut. Träge Nationen wie Frankreich stoppen ihn.
Auf der anderen Seite – und das ist die zweite Stufe der Wahrheitsrakete – steht eine US-Wirtschaft, die unter dem zu Unrecht geschmähten Ex-Präsidenten Obama nach der Finanzkrise des Jahres 2008 einen beachtlichen Aufstieg vollzogen hat. Darüber verliert Trump kein Wort. Er attackiert auch nicht Reform-Muffel wie Italien. Lieber schießt sich der chronische Fakten-Wegdrücker auf Deutschland ein, ohne zu erwähnen, dass der Euro im Vergleich zum Dollar in den Jahren 2000 und 2001 noch schwächer und 2008 sogar deutlich stärker als jetzt war.
Trump passt es dagegen ins Konzept, dass Deutschland 2016 so viele Waren ins Ausland verkauft hat wie noch nie. Beweist der neue Exportrekord klar teutonische Aggressivität? Mitnichten. Der daraus resultierende Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz, also die Tatsache, dass wir mehr Güter aus- als einführen, ist das Ergebnis weltweiter individueller Kaufentscheidungen von Millionen Bürgern. Selbst Verschwörungstheoretikern wird es schwerfallen, zu belegen, dass all die Menschen von Merkel, Schäuble und finsteren deutschen Unternehmern manipuliert wurden. Hier zündet die dritte Stufe der Fakten-Rakete. Denn noch ist nicht bekannt, dass amerikanische Kunden gezwungen werden, sich für einen BMW zu entscheiden, obwohl sie lieber einen Chevrolet hätten.
Ja, US-Konsumenten greifen auch immer häufiger zu deutschen Nivea-Produkten, was dem freien Willen der Verbraucher entspringt. Am Ende – und das will der Simplifizierer Trump seinen Wählern nicht eingestehen – kaufen sich Amerikaner einen BMW, weil sie von Technologie und Design begeistert sind. Deutsche Produkte punkten in den USA mit einem Mix aus Tradition und Innovation. Nivea-Creme gibt es seit 1911. Der Name ist aus dem Lateinischen abgeleitet und bedeutet die „Schneeweiße“. Nur dumm, dass Beiersdorf die Kult-Creme für Amerika in Mexiko produziert. Erhebt Trump also Importzölle, wird Nivea in den USA teurer. Die Politik des Amateur-Ökonomen schadet Verbrauchern seines Landes. Sie werden Trump im Geldbeutel spüren.
Da Wahlen meist Geldbeutelwahlen sind, könnte es sein, dass der Präsident, wenn er noch mal antritt, die Quittung bekommt. Diese Einschätzung beruht leider nicht auf Fakten, sondern Hoffnungen.
Die US-Bürger werden Trump im Geldbeutel spüren