Zwischen Härte und Barmherzigkeit
Debatte Kanada gilt als Spezialist in Sachen Einwanderung. Fachkräfte werden nach Bedarf ausgewählt. Bei Flüchtlingen haben Frauen und Kinder Vorrang. Den Job der Schlepper übernimmt die Regierung
solide Kenntnisse der offiziellen Sprachen Englisch oder Französisch. Eine wichtige Rolle spielt der Beruf des Bewerbers. Werden Krankenschwestern gebraucht, bekommen Krankenschwestern viele Punkte. Bewertet werden auch Anpassungsfähigkeit, Berufserfahrung, Alter oder bestehende Jobangebote. Im Kern des Systems geht es Kanada darum, die Leute ins Land zu holen, die der Gesellschaft am meisten nutzen. Für die gibt es dann recht schnell die Staatsbürgerschaft. Es ist ein wirtschaftlich orientiertes Prinzip, in dem Personen, die es auf den Bezug von Sozialleistungen abgesehen haben, kaum eine Chance bekommen. Ethnische, religiöse oder kulturelle Aspekte spielen im Punktekatalog dagegen keine Rolle.
Einwanderung aus humanitären Gründen erfolgt im Rahmen fester Kontingente. Als Premier Trudeau Ende 2016 entschied, 25 000 syrische Flüchtlinge aufzunehmen, wurde dies als humanitäre Großtat bejubelt. Von Obergrenze sprach niemand. Kanadische Experten wählten dann direkt im Libanon, in Jordanien und der Türkei unter bereits von der UN anerkannten Flüchtlingen vor allem Familien aus – aber kaum alleinreisende junge Männer.
Nach Deutschland schaffen es die schutzbedürftigsten unter den Flüchtlingen, Frauen und Kinder nämlich, dagegen nur selten. Chance auf Asyl haben sie erst gar nicht, weil sie den Antrag nur in Europa stellen dürfen und die Reise zu gefährlich wäre oder sie zu arm sind, um Schlepper zu bezahlen. Deren Handwerk übernimmt die kanadische Regierung selbst. Die Auserwählten wurden in gecharterten Maschinen nach Kanada geflogen und erhielten sofort Asylstatus. Für einen Teil der Flüchtlinge stehen kanadische Bürger und Hilfsorganisationen finanziell gerade – um den Steuerzahler zu entlasten. Flüchtlinge, die sich auf eigene Faust – etwa via USA – nach Kanada aufmachen, werden an der Grenze abgewiesen oder in Polizeigewahrsam genommen. Eine Sichere-Drittstaaten-Regelung wird konsequent durchgesetzt. Überhaupt wird jeder, der in Kanada als „Irregulärer Ankömmling“eingestuft wird, in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht, bis sein Status geklärt ist. Mehrere tausend Menschen leben in solchen Einrichtungen, zu denen auch Provinzgefängnisse gehören.
Wer eine Reform der deutschen Einwanderung nach kanadischem Vorbild fordert, meint mehr Eigennutz bei der Anwerbung von Fachkräften, mehr Barmherzigkeit gegenüber weniger, strenger ausgewählten Schutzsuchenden und mehr Härte gegenüber allen, die sich nicht an Regeln halten. Wenn eine massenhafte, weitgehend ungesteuerte Zuwanderung in Deutschland nicht zum Dauerzustand werden soll, lohnt es sich durchaus, nach Kanada zu blicken. Voraussetzung für jede Änderung wäre, dass es Europa gelänge, den Schutz seiner Außengrenzen zu garantieren. Mit der Arktis im Norden, dem Pazifik im Westen, dem Atlantik im Osten und der ziemlich gut gesicherte Grenze zu den USA im Süden hat es Kanada in dieser Hinsicht bedeutend leichter.