Der Niedergang von Cruyffs Erben
Holland Über Jahrzehnte spielten die Niederländer weltweit den schönsten Fußball. Doch nun scheint erstmals die Quelle an Talenten zu versiegen. Aber warum eigentlich?
Augsburg Der Vaalserberg ist der höchste Berg der Niederlande. Er misst überschaubare 322 Meter und 70 Zentimeter. Ansonsten: Nichts, das den Blick verstellen würde. Flaches Land. Die Niederlande mögen flächenmäßig zu den kleineren Staaten gehören, weil aber die Sicht nicht eingeschränkt wird, stellt sich ein Eindruck von Freiheit ein. Und Freiheit war schon immer ein guter Nährboden für kreatives Wirken. Über Jahrzehnte hinweg wurde dieses kleine Land darum beneidet, was es in fußballerischer Sicht aus seinen begrenzten Möglichkeiten macht.
Aus seinen rund acht Millionen männlichen Einwohnern haben die Trainer zahlreiche Talente herausgefischt und so lange geformt, bis National- und Vereinsmannschaften einen ebenso schönen wie auch erfolgreichen Fußball gespielt haben. Trainer und Talente – auf diesem Zweiklang beruhte der Erfolg des holländischen Fußballs. Diese Zeiten scheinen vorbei.
Die Nationalmannschaft ist nach einem 0:2 gegen Bulgarien weit von der Qualifikation zur Weltmeisterschaft in Russland entfernt. Mit Danny Blind wurde mal wieder ein Trainer entlassen.
Noch ohne einen neuen Chef unterlagen die Niederländer gestern Abend in Amsterdam mit 1:2 in einem Freundschaftsspiel auch gegen Italien. Auf der Trainerbank saß Blinds bisheriger Assistent Fred Grim, der das Oranje-Team einmalig betreute. Die Gastgeber gingen durch ein Eigentor von Alessio Romagnoli in Führung. Danach schossen Eder und Leonardo Bonucci den Sieg für Italien heraus.
Auf Klubebene bewegen sich die niederländischen Mannschaften auf derselben Ebene wie Teams aus der Schweiz oder Zypern. Zwischen 2007 und 2016 schaffte es kein Team ins Achtelfinale der Champions League.
Dabei hat sich im Vergleich zu den so erfolgreichen Jahrzehnten zuvor gar nicht so viel geändert. Außer, dass die Konkurrenz aufgeholt und überholt hat. In den 70er und 80er Jahren war die holländische Talentförderung einzigartig. Vor allem in den Jugendmannschaften von Ajax Amsterdam wurden die Kinder ausgezeichnet am Ball ausgebildet. Die Niederländer erkannten als Erstes, dass es von Vorteil sein kann, wenn die Zwölfjährigen schon ein ähnliches System spielen wie die Profis. Wo in Deutschland Papas Zehnjährige um den Platz scheuchten, dribbelten und passten die holländischen Kinder unter qualifizierter Anleitung.
Ajax Amsterdam dominierte zu Beginn der 70er Jahre den Vereinsfußball. Die Nationalmannschaft hatte die WM-Titel 1974 und 1978 verdient – auch wenn sie letztlich leer ausging. Johan Cruyff war der überragende Spieler einer kompletten Dekade. Auf die Ausnahmeerscheinung folgten später Gullit, van Basten, Rijkaard und der EM-Titel 1988. Louis van Gaal führte ein Ajax-Team um Davids, Seedorf und Kluivert 1995 zum ChampionsLeague-Titel. Die Talente-Quelle schien nie zu versiegen. Bergkamp, Robben, van Persie, Sneijder. Cruyff beeinflusst mit seiner Arbeit als Trainer des FC Barcelona noch heute den Fußball. Ein gewisser Pep Guardiola lernte von ihm und beruft sich immer wieder auf die 2016 gestorbene Ikone. Die verpasste WMQualifikation 2002? Ein Betriebsunfall. Der sich 2016 mit dem Verpassen der EM wiederholte. Und nun erneut droht. Island und Wales reüssierten dafür bei der Europameisterschaft. Länder, die ihre Nische gefunden haben.
Dabei kicken in Holland immer noch reichlich Talente. Wegen der Erfolglosigkeit im Europapokal sind die Teams aber darauf angewiesen, ihre jungen Spieler früh zu Geld zu machen. Oftmals zu früh. Die Jungstars sind nicht fertig ausgebildet und sitzen oftmals auf den Bänken zahlungskräftiger internationaler Mittelklasseklubs.
Hinter Robben und Sneijder klafft im Nationalteam ein großes qualitatives Loch. Noch ist nicht abzusehen, wie und wann es gefüllt werden soll. Immerhin verdeckt nichts den Blick auf die Probleme. Keine glücklichen Erfolge. Keine Berge.