Die Große Koalition ist beendet – aus Partnern werden Gegner
Leitartikel Die Regierung aus Union und SPD hat ein letztes Mal gemeinsam Gesetze auf den Weg gebracht. Aus den ungeklärten Fragen wird jetzt Wahlkampf-Munition
Das war es dann wohl mit der Großen Koalition. Seit gestern besteht die Zweckehe von Union und SPD nur noch auf dem Papier. Bis der 18. Deutsche Bundestag am 30. Mai zum letzten Mal zusammentritt, dürften keine Entscheidungen von größerer Tragweite mehr fallen. Aus Partnern in der von Angela Merkel geführten Regierung werden jetzt erbitterte Gegner in einem Wahlkampf, der diesen Namen auch wirklich verdient.
Dass der aller Voraussicht nach letzte Koalitionsausschuss tatsächlich noch einige konkrete Ergebnisse gebracht hat, hat nur einen Grund: Beide Seiten wollen nicht riskieren, dass ihnen jetzt vom jeweiligen Gegner Arbeitsverweigerung vorgeworfen werden kann. Genau deshalb hat auch der neue SPD-Parteichef Martin Schulz nun doch teilgenommen. Allzu gerne hätte der Kanzlerkandidat sich entschuldigt, sprich gedrückt, um nicht mehr mit dieser Regierung in Verbindung gebracht zu werden und sich weiter als Außenseiter darstellen zu können. Doch Schulz hat die Empörung unterschätzt, die sein durchsichtiges Manöver ausgelöst hat. Möglicherweise hat das Herumlavieren auch ein Stück weit zur Wahlniederlage der SPD im Saarland beigetragen.
Der Blick auf die Wahlen in Schleswig-Holstein, NordrheinWestfalen und vor allem die Bundestagswahl erklärt auch die Gesetze, auf die sich die Koalition in letzter Minute noch verständigen konnte. Zum großen Teil haben die mit dem Thema Sicherheit und mit der von vielen Bürgern geforderten konsequenteren Linie in der Flüchtlingspolitik zu tun. Wer in der heutigen Gemengelage auch nur den leisen Verdacht erweckt, wichtige Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Sicherheit zu blockieren, könnte am Wahltag abgestraft werden.
Auch bei den Themen, in denen keine Einigung gelang, lässt der Wahlkampf grüßen. Da geht es nun unverhohlen um Abgrenzung und gezielte Klientelpolitik. So wirbt die SPD etwa offensiv um die Stimmen homosexueller Bürger und versucht, die CDU und CSU mit entsprechenden Gesetzesinitiativen vor sich herzutreiben. Bei der Rehabilitierung und Entschädigung Homosexueller, die nach dem früheren Paragrafen 175 verurteilt worden waren, erzielte die Große Koalition kürzlich noch eine Einigung. Doch die SPD setzte nach und brachte die umstrittene Forderung nach der Homo-Ehe wieder auf den Tisch.
Bände spricht in diesem Zusammenhang der Umstand, dass Union und SPD die Behandlung eines fast gleichlautenden Antrags der Grünen für die „Ehe für alle“im Rechtsausschuss des Bundestags 49-mal vertagten. Die Koalitionäre hatten vereinbart, über das Thema in dieser Wahlperiode nicht mehr zu entscheiden. Dass homosexuelle Paare künftig über die eingetragene Lebenspartnerschaft hinaus komplett Eheleuten gleichgesetzt werden und auch Kinder adoptieren dürfen, war der SPD bislang also nicht allzu wichtig. Jetzt aber taugt die „Ehe für alle“plötzlich als Abgrenzungsmerkmal gegenüber der Union. Die kann der Forderung aus Rücksicht auf christlich-konservative Wählerschichten nicht zustimmen.
In einer ganzen Reihe von Fragen, die die SPD unter dem Begriff Gerechtigkeit zusammenfasst, dem Motto des Wahlkampfs von Martin Schulz, waren Kompromisse nicht mehr vorgesehen. Es geht jetzt rein nach der Devise „Wir wollen ja, aber der Gegner blockiert“. Und das gilt für beide Seiten. Die Große Koalition, die in der Sache durchaus viel bewegt hat in den vergangenen dreieinhalb Jahren, ist tot. Allzu laut sollte das bei Union und SPD aber keiner rufen. Denn die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es nach der Wahl am 24. September wieder heißt: Es lebe die Große Koalition.
Gerne hätte sich Schulz vor dem Ausschuss gedrückt