In vier Jahren hat er die Welt umgestürzt
Religion Christian Nürnberger erschließt den Reformator Martin Luther. Doch was wäre er ohne die Frau an seiner Seite?
Schüchtern war dieser Mann nicht. Über seine Heirat sagt Martin Luther, dass er es „dem Teufel mit seinen Schuppen, den großen Hansen, Fürsten und Bischöfen zum Trotz getan“habe. Er wolle „auch gern noch mehr Ärgernisse anrichten, wenn ich nur noch mehr wüste, was Gott gefiele und sie verdrösse …“.
Hatte der rebellische Mönch aus Wittenberg bis dahin nicht schon genug umgestürzt? Nur vier Jahre hatte dieser Mann gebraucht, um so gravierend die Weltgeschichte zu verändern, dass man 500 Jahre danach noch darüber spricht. Doch damit fangen der Jugendbuchautor Christian Nürnberger und seine Frau Petra Gerster ihr Buch zum Reformationsjubiläum nicht an.
Es schließt in den ersten Kapiteln zunächst die uns so fremde Welt des späten Mittelalters auf. Als außerhalb der Stadtmauern Räuber, wilde Tiere, Geister, Hexen und Dämo- nen lauerten. Als Gewitter und Seuchen noch als Strafen Gottes galten. Als die Menschen vor Hölle und Fegefeuer zitterten. Immer wieder springt Nürnberger zwischen den Zeiten, um klar zu machen, dass Luther Probleme plagten, die sich für uns in der Gegenwart längst erledigt – oder ihr Gestalt gewandelt haben.
Der alten Papstkirche und ihrem Personal verleiht der Autor jämmerliche Züge. „Keine Hirten, keine Seelsorger, keine Verkünder des Evangeliums sind sie, sondern eitle Manager des Kirchenbetriebs (...) Ihr Bestreben ist es, gemäß ihrer Funktion innerhalb der Hierarchie der Macht möglichst reibungslos und effizient zu funktionieren. An so etwas wie Wahrheit, die ja doch meistens nur stört, ja sogar der eigenen Stellung und dem eigenen Betrieb gefährlich werden kann, besteht ausdrücklich keine Interesse.“
Luther ist der an Evangelium und Gewissen gebundene Mann. Das Wesentliche hat er mit seinen Best- von 1520 vollbracht („Wer jetzt noch versucht, ihn zu verbrennen, kommt zu spät“), bevor 1521 der Showdown auf dem Reichstag zu Worms bei Nürnberger für Dramatik sorgt: „Wie kriegen wir Luther hier lebend wieder raus?“
Relativ knapp wird Luther, der Bibelübersetzer, auf neun Seiten abgehandelt. Warum hatte er sich diese Wahnsinnsarbeit aufgehalst? Wie kamen ihm die ganzen neuen Wortkreationen in den Sinn? Was verlieh ihm den Mut, ein lesbares Deutsch anstelle einer wortwörtlichen Übersetzung niederzuschreiben? Immerhin hat diese Bibel ihn für immer zu einem großen Deutschen gemacht.
Natürlich zeichnet das Buch auch den widersprüchlichen Luther, der autoritär den radikaleren Konkurrenten Andreas Karlstadt aus Wittenberg verdrängt, den „Erzteufel“Thomas Müntzer anklagt, und mit der Obrigkeit „wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“paktiert.
Außerordentlich ausführlich geht das Buch auf Katharina von Bora, die Frau an Luthers Seite, ein. Sie ist mehr als „die entlaufene Nonne“, die der Titel etwas reißerisch ankündigt. Katharina ist „eine kluge und durchsetzungsstarke Frau“, die ihr Schicksal selbst in die Hand nimmt, als sie sich heimlich in einer Heringstonne aus dem Kloster stehlen lässt. So wenig eine männerdominierte Zeit von ihren originalen Worte überliefert hat, so viel weiß das Buch über sie zu erzählen. Die farbige Schilderung von Luthers Haushalt mit Katharina im Zentrum gehört zu den stärksten Kapiteln im Buch und macht den ollen Luther vielleicht auch für Mädchen interessanter. Katharina kauft Landgüter ein, sie möbelt das marode Schwarze Kloster wieder auf, sie hält das Geld zusammen, vermietet an Studenten, versorgt täglich bis zu 60 Personen und bringt sechs Kinder zur Welt. Einfach Wahnsinn! Das Buch diskutiert hier auch die naheliegende Frasellern ge, warum in der evangelischen Kirche die Frauen, die man in Katharina so hoch hielt, erst vor 60 Jahren Pfarrerin werden durften.
Leider hält diese kritische Distanz nicht bis zum Schluss an. In den letzten beiden Kapiteln begibt sich Nürnberger in konfessionalistische Frontstellungen, als wären die Protestanten wegen ihres Glaubens die besseren Unternehmer, die erfolgreicheren Politiker und die moderneren Denker. Weil sie „zwar an eine gemeinsame Wahrheit glauben, aber den Versuch unterlassen, diese Wahrheit zu fixieren“.
Christian Nürn berger, Petra Gers ter: Der rebellische Mönch, die entlau fene Nonne und der größte Bestseller aller Zeiten, Martin Luther. Gabriel, 208 Seiten, 14,99 Euro – ab 13 Jahre