Donau Zeitung

„Viele Deutsche verstehen Israel nicht“

Interview Arye Sharuz Shalicar ist in Berlin aufgewachs­en und nach Israel ausgewande­rt. Heute berät er die Regierung von Benjamin Netanjahu und erklärt, warum dieser ein Treffen mit Sigmar Gabriel abgesagt hat

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Es kommt nicht alle Tage vor, dass der israelisch­e Ministerpr­äsident den Außenminis­ter eines befreundet­en Landes wieder auslädt. Ging es nicht auch eine Nummer kleiner? Shalicar: Jeder Politiker, der aus Deutschlan­d nach Israel kommt, fordert mit den immer gleichen stereotype­n Sätzen die Zwei-StaatenLös­ung. Die wollen wir Israelis auch, aber viele Deutsche verstehen nicht, dass man diese Lösung nicht erzwingen kann. Dazu muss man Vertrauen aufbauen, sich wieder näherkomme­n – und dazu braucht man verlässlic­he Partner auf der anderen, der palästinen­sischen Seite. Die beiden Organisati­onen jedoch, die Sigmar Gabriel am Dienstag besucht hat, bauen kein Vertrauen auf, sondern säen nur neues Misstrauen.

Für Gabriel sind „Breaking the silence“und „Betselem“Menschenre­chtsorgani­sationen. Viele Israelis halten sie für Nestbeschm­utzer, weil sie die Einsätze der israelisch­en Armee kritischer hinterfrag­en als die Politik der Palästinen­ser. Sie waren selbst Soldat. Wie denken Sie darüber? Shalicar: Ich war sowohl in Deutschlan­d Soldat als auch in Israel, und ich habe kein Problem damit, wenn jemand Missstände klar benennt oder sie aufdeckt. Ich käme aber nicht im Traum auf die Idee, Herrn Gabriels Gesprächsp­artner auf eine Stufe mit Organisati­onen wie Amnesty Internatio­nal oder Greenpeace zu stellen. „Breaking the silence“und „Betselem“sind politische Gruppierun­gen, die ihr Geld aus dem Ausland bekommen und dort ein Israel-Bild zeichnen, das nicht der Realität entspricht, nämlich das eines Unrechtsst­aates, der die Palästinen­ser im Westjordan­land terrorisie­rt. In Israel selbst nimmt diese Propaganda, die im Übrigen auch den Antisemiti­smus schürt, mit Ausnahmen einiger extremer Linker niemand wahr. Und überhaupt: Wie kann es sein, dass Herr Gabriel mit dem größten Terrorförd­erer der Welt, der Islamische­n Republik Iran und ihrer antisemiti­schen Führung, kuschelt und Geschäfte vorantreib­t? Meint er, Jerusalem sieht das nicht? Trifft er, geschweige denn, finanziert er regierungs­kritische Organisati­onen im Iran? Wenn nicht, wieso nicht?

Hat Gabriel den Eklat provoziert? Angeblich hat die israelisch­e Regierung ihn schon lange vor seiner Abreise gebeten, die Aktivisten nicht durch ein Treffen zu adeln? Shalicar: Die israelisch­e Regierung hat kein Problem damit, wenn ausländisc­he Gäste Regierungs­kritiker wie Opposition­schef Jitzhak Herzog oder die frühere Außenminis­terin Tzipi Livni treffen. Die Opposition­ellen, mit denen Herr Gabriel sich verabredet hat, haben sich allerdings als Menschenre­chtsorgani­sationen verkleidet, sie haben keine Bedeutung und sollten deshalb auch für andere Staaten keine Bedeutung haben. Das müsste er eigentlich wissen. Am Ende aber wollte offenbar niemand mehr nachgeben, weder Herr Netanjahu noch Herr Gabriel.

Spielten bei Netanjahus Entscheidu­ng, Gabriel auszuladen, auch innenpolit­ische Motive eine Rolle? Muss er Rücksicht auf die orthodoxen Juden in seiner Koalition nehmen? Shalicar: Wie Angela Merkel lebt auch Benjamin Netanjahu in einer Koalitions­welt und muss zwischen mehreren sehr verschiede­nen Partnern ausgleiche­n und vermitteln. In einem allerdings sind sich linke wie rechte Parteien in Israel einig: Sie wollen hier in Frieden leben – mit den Palästinen­sern, mit den Syrern, mit dem Libanon und auch mit dem Iran. Was wir nicht wollen, sind Politiker aus dem Ausland, die mit dem erhobenen Zeigefinge­r zu uns kommen. Deutschlan­d ist für uns ein wichtiger Partner, ja. Aber Deutschlan­d sollte uns umgekehrt auch als wichtigen Partner betrachten.

Deutschlan­d und Israel verbindet durch den Holocaust eine ganz besondere Beziehung. Neuerdings jedoch wird die Kritik aus Berlin an der israelisch­en Siedlungsp­olitik schärfer. Erodiert da gerade etwas? Shalicar: Seien wir ehrlich: Israel kritisiert Deutschlan­d und seine Kanzlerin eigentlich in nichts. Wir halten zu unserem Partner, in der Politik, in der Wirtschaft, in der Zusammenar­beit der Geheimdien­ste. Umso trauriger ist es, dass Deutschlan­d alles auf die Siedlungsf­rage renur duziert. Das ist wie in einer Beziehung im richtigen Leben: Wenn du Liebe gibst und der andere sie nicht erwidert, ist irgendwann die Beziehung am Ende. Deshalb sollte man immer auf seinen Partner hören.

Nach der Legalisier­ung von 4000 Siedlerwoh­nungen im Westjordan­land hat Angela Merkel die für Mai geplanten deutsch-israelisch­en Regierungs­konsultati­onen auf unbestimmt­e Zeit verschoben. War Netanjahus Absage an Gabriel womöglich auch noch eine Retourkuts­che dafür? Shalicar: In der Politik hat alles mit allem zu tun. Das ist allerdings keine persönlich­e Sache zwischen Herrn Netanjahu und Herrn Gabriel oder zwischen Herrn Netanjahu und Frau Merkel. Jeder Staat vertritt seine Interessen, und das größte Interesse des Staates Israel ist es, seine Bevölkerun­g zu beschützen. Wenn wir Siedlungen räumen oder sie legalisier­en, dann tun wir das, um weiter in Sicherheit leben zu können. Sich jetzt bedingungs­los auf eine Zwei-Staaten-Lösung einzulasse­n, wäre politische­r Selbstmord, weil die Hamas aus dem Gaza-Streifen sofort das Westjordan­land überrennen und auf Israel zumarschie­ren würde. Interview: Rudi Wais O

Zur Person Arye Sharuz Shalicar wuchs als Sohn iranischer Juden in Ber lin auf. In einem stark muslimisch gepräg ten Kiez wurde er früh schon zur Ziel scheibe von Hass und Ausgrenzun­g. Er landete in der Graffiti und der Hip Hop Szene, studierte Politik und wanderte 2001 nach Israel aus. Heute arbeitet der 39 Jährige im weitesten Sinne im Stab von Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu – nämlich als außenpolit­ischer Berater seines Geheimdien­stminister­s Israel Katz. Zuvor war Shalicar einer von vier Sprechern der israelisch­en Armee. Seine Erfahrunge­n in Berlin hat er in dem Buch „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude“beschriebe­n.

 ?? Foto: Gambarin, dpa ?? Arye Sharuz Shalicar wurde in Göttingen geboren und wanderte 2001 nach Israel aus: „Was wir nicht wollen, sind Politiker aus dem Ausland, die mit dem erhobenen Zeigefinge­r zu uns kommen“, sagt der 39 Jährige.
Foto: Gambarin, dpa Arye Sharuz Shalicar wurde in Göttingen geboren und wanderte 2001 nach Israel aus: „Was wir nicht wollen, sind Politiker aus dem Ausland, die mit dem erhobenen Zeigefinge­r zu uns kommen“, sagt der 39 Jährige.

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