Wie viel Fleisch darf’s denn sein?
Interview Wird aus Essen eine moderne Erstatzreligion? Wie viel Fleischkonsum ist ethisch vertretbar? Ernähren sich Vegetarier moralisch besser? Der Ethik-Experte Michael Rosenberger liefert Antworten auf praktische Sinnfragen
Herr Professor Rosenberger, Sie haben sich als Moraltheologe auch dem Thema Essen und Ethik verschrieben. Essen wird für manche fast zur Ersatzreligion, der Fleischkonsum steht aus vielen Gründen im kritischen Licht und vegetarische Ernährung erhält viel Aufmerksamkeit. Sind Veganer aus ethischer Sicht die besseren Menschen? Michael Rosenberger: Nur weil man sich vegan ernährt, ist man noch nicht im grünen Bereich. Man muss genauso schauen, was man konsumiert und woher die Nahrung kommt. Soja aus Übersee, womöglich noch von eigens gerodeten Flächen, hat vielleicht eine schlechtere Bilanz als das Fleisch vom Biobauern in der Nachbarschaft.
Warum bewegen uns Ernährungstrends aus ethischer Sicht so stark? Rosenberger: Ernährung ist ein unglaublich starkes Thema, das viele globale und gesellschaftspolitische Fragen umfasst – ob ökologisch, sozial oder tierethisch. Und wenn es um das Thema Ernährung geht, werden wir sensibel. Die Zahl der veganen Restaurants und der Produkte in den Supermarktregalen ist sprunghaft angestiegen. Innerhalb von nur ein, zwei Jahren wurde die Möglichkeit geschaffen, dass ein Mensch ohne großen Aufwand vegan leben kann. Offensichtlich spüren die Menschen, dass da etwas nicht so ganz stimmt mit dem Fleischkonsum.
Greifen Verbraucher wirklich aus ethischen Gründen zum veganen Produkt? Oder wegen der Gesundheitsversprechen, weil es gerade „in“ist? Rosenberger: Die Soziologen, die diese Szene analysieren, sprechen von zwei Gruppen von Veganern: die Trend-Veganer und die ethischen Veganer. Da muss man gut unterscheiden. Die einen ernähren sich tatsächlich nicht aus ethischen Gründen und der Tierhaltung vegan. Die andere Gruppe sehr wohl. Das Interessante ist aber, dass von den Mode-Veganern doch einige die ethischen Aspekte überdenken und dann auch ethische Motive für ihre vegane Lebensweise übernehmen.
Essen Sie selbst Fleisch? Rosenberger: Ja, aber sehr, sehr wenig. Zu Hause koche ich komplett vegetarisch. Und wenn es im Restaurant ein gutes vegetarisches Gericht gibt, wähle ich das. Wenn ich eingeladen bin und es wird mir Fleisch auf den Tisch gestellt, dann esse ich es – ganz entspannt.
Sie sind auch geweihter Priester. Finden Sie auch im Christentum Hinweise, was aus ethischer Sicht eine gute Ernährung ist und was den Fleischkonsum angeht? Rosenberger: Wenn man auf die Frage des Tierschutzes schaut: Im Alten Testament gibt es das Idealbild einer Welt, in der kein Lebewesen ein anderes verzehrt. In der ersten Schöpfungserzählung werden Tieren wie Menschen ausdrücklich nur grüne Pflanzen zur Nahrung gegeben werden. Der Fleischverzehr war erst nach der Sintflut-Erzählung erlaubt, nachdem einiges schiefgelaufen ist und man merkt, dass Mensch und Tier so friedlich nicht miteinander leben können und es viele Konflikte gibt. Allerdings werden gleich ein paar Einschränkungen gemacht, sodass man nicht zu viel Fleisch isst. Einerseits gibt es kein prinzipielles Verbot. Andererseits heißt es: Sei behutsam mit dem Fleischverzehr. Und sorge auf jeden Fall dafür, dass das Tier ein gutes Leben hat und dass es bei der Schlachtung möglichst schmerz- und angstfrei getötet wird. Darauf wird Wert gelegt.
Heißt das, das Ideal wäre also, keine Tiere zu töten, aber weil die Welt nicht ideal ist, darf Fleisch auf den Tisch? Rosenberger: Es bringt nichts, ein Ideal mit aller Gewalt durchzusetzen. Im Christentum gab es nie eine Verpflichtung, vegetarisch zu leben. Die Kirche schätzt es, wenn Menschen das tun, es ist jedoch keine Pflicht. Durch die verpflichtenden Abstinenzzeiten, wie Karfreitag oder die Fastenzeit, signalisiert sie, dass jeder seinen Fleischkonsum begrenzen sollte.
Ist die Lust auf Fleisch bei den Menschen aber nicht einfach zu groß? Selbst Mönche sollen ja das Hackfleisch in Maultaschen versteckt, haben um die religiösen Fastenreglen zu umgehen ... Rosenberger: Die Regeln der Fastenzeit wurden ja großteils im mediterranen Raum „erfunden“und dann für das Christentum vorgeschrieben. Im Mittelmeerraum kann man auch im Winter ganz passabel auf Pflanzen zurückgreifen. Nördlich der Alpen bestand in der vormodernen Welt das Problem, dass man in den sehr harten Wintern kaum pflanzliche Nahrung zur Verfügung hatte und von den Vorschriften vieles nur schwer einhalten konnte. Dort konnte man im Winter ohne Fleisch praktisch nicht überleben. Da hat man versucht, legale Wege zu fin- den, sich Eiweiß und Fette zuzuführen. Dazu hat gehört, dass der Fisch als Fastenspeise galt – aber erst seit dem elften Jahrhundert. Oder dass man viel Käse produziert hat. Die ganze Vielfalt unserer europäischen Käsesorten wäre ohne die Fastenvorschriften des Christentums gar nicht denkbar. Es gibt heute noch sowohl in Österreich als auch in Frankreich eine ganze Reihe Klöster, die Käse herstellen. Das entstand daraus, dass man im Winter an seine Nährstoffe kommen musste.
Allen Statistiken nach gibt es vor allem Veganerinnen und Vegetarierinnen. Denken Frauen ethischer? Rosenberger: Fleisch ist immer noch sehr stark eine Geschlechtsmarkierung. Der durchschnittliche deutsche Mann isst doppelt so viel Fleisch wie die durchschnittliche deutsche Frau, und das seit Jahrzehnten. Und nicht nur in Deutschland, sondern in fast allen Industrieländern, obwohl der Durchschnittsmann seit Jahrzehnten auch nicht härter arbeitet als die Frauen.
Sie nennen Ihr Buch über ethisch verantwortungsvolle Ernährung: „Wie viel Tier darf´s sein?“Wie lautet Ihre Antwort auf Ihre Titelfrage? Rosenberger: Aus den gesundheitlichen, den ökologischen, den tierethischen Gesichtspunkten heraus, würde ich sagen: etwa ein Viertel des momentanen Fleischverbrauchs in Deutschland. Also etwa 15 Kilogramm pro Person und Jahr. Dann kommt es natürlich darauf an, dass ich für diese 15 Kilo nicht wesentlich weniger Geld ausgebe als jetzt für die 60 Kilo. Ich würde also das Dreioder Vierfache für das Fleisch zahlen. Der Bauer könnte dafür den Tieren, die er dann noch hält, ein entsprechend gutes Leben bieten. Ohne importierte Futtermittel aus der Regenwaldzone, ohne künstliches Kraftfutter, sondern mit Gras und Heu. Gute Haltung bedeutet bessere Fleischqualität, bedeutet mehr Genuss.
Sie glauben, wenn wir weniger Fleisch essen, werden sich Probleme der Massentierhaltung verbessern? Rosenberger: Auch aus ökologischen Aspekten. Momentan verfüttern wir von den Ackerpflanzen wie Mais oder Soja, die der Mensch auch essen
„Die Menschen spüren, dass da etwas nicht so ganz stimmt mit dem Fleischkonsum.“
Michael Rosenberger
könnte, fast die Hälfte an Tiere. Das ist einfach indiskutabel in einer Welt, in der eine knappe Milliarde Menschen immer noch hungert. Das können wir nicht verantworten. Aber wenn Sie Ernährungswissenschaftler fragen, hören Sie diese Zahl auch: 15 Kilo Fleisch im Jahr, das wäre ideal für die Gesundheit des Menschen, da wäre man mit Fetten und Eiweißen optimal versorgt.
Wie realistisch ist es, dass die heutige Gesellschaft auf drei Viertel ihres Fleischkonsums verzichtet? Rosenberger: Es ist wichtig, dass man damit beginnt. Mit ein oder zwei fleischfreien Tagen in der Woche zum Beispiel. Man kann statt Billigfleisch höherwertiges Fleisch aus besserer Tierhaltung kaufen, zum Beispiel aus ökologischer Tierhaltung oder von einem lokalen Bauern. Interview: Alice Natter O
Zur Person Michael Rosenberger ist Autor und Professor für Moraltheologie an der Katholischen Universität Linz. Zuletzt erschien von dem 54 jährigen Würzbur ger das Buch „Wie viel Tier darf’s sein“(Echter Verlag, 160S., 14,90Euro).