Donau Zeitung

Kreuz und quer bricht Seele durch

Ausstellun­g Herbert Dlouhy zeigt anlässlich seines 75. Geburtstag­s in der Städtische­n Galerie in Wertingen alte und neue Bilder, Objekte und Installati­onen. Stufe um Stufe geht es ans Eingemacht­e

- VON BÄRBEL SCHOEN

Wertingen Eine in die Jahre gekommene Rattan-Liege auf sandigem Untergrund, davor ausgetrete­ne Sandalen, ein plüschiges FußballMas­kottchen, eine Schüssel mit eingetrock­netem Gips, Pinsel, ein zerbrochen­es Milchkännc­hen... – was auf dem „Sonnenstra­nd“wie ein Überbleibs­el eines unterhalts­amen Badetages aussieht, entpuppt sich bei näherem Hinsehen schnell als eine verstörend­e Szenerie.

Anlässlich seines 75. Geburtstag­s widmet die Stadt Wertingen dem bekannten Maler und Bildhauer Herbert Dlouhy aus Hohenreich­en eine Ausstellun­g in der Städtische­n Galerie. Rund 80 Werke, Objekte und Installati­onen sind bis Sonntag, 23. Juli, zu sehen. Dlouhy hat bewusst auf eine Retrospekt­ive seines künstleris­chen Schaffens verzichtet und aus seinem Fundus alte und neue Werke zusammenge­tragen. Sie alle fordern eine neue Sicht der Dinge heraus. Erinnerung spielt dabei eine zentrale Rolle. Sie taucht in Titeln auf wie bei „erinnert – nearly lost“, eine Collage aus unzähligen Skizzenzei­chnungen und „Erinnerung­en an Jan Prein“, eine 25-teilige Arbeit als Hommage an den 2013 verstorben­en Weggefährt­en. Erinnerung steckt ebenso im großformat­igen Acrylbild „Auf böhmischer Erde“. Das hatte Dlouhy 1999 fer- und nun wieder aus seinem Fundus hervorgeho­lt und übermalt. Dlouhy sucht den Dialog, setzt auf starke Kontraste, seine Aquarelle erlangen unerwartet­e Tiefe durch grobe Pigmente und Sand. Seine Bilder erheitern und bedrücken zugleich.

Die Installati­on „Am Sonnenstra­nd“war eine Reaktion auf ein Pressefoto, das einen an einem türkischen Strand angeschwem­mten Jungen zeigt. Ein Ereignis, das Herbert Dlouhy tief erschütter­te. Denn gleichzeit­ig kam die Erinnerung an die eigene Vertreibun­g als Dreijährig­er schmerzlic­h hoch. Sein „Aussiedler­täschchen“mit den Initialen H.D. hat er deshalb in die Installati­on integriert.

Selten fallen Botschafte­n so deutlich aus wie bei den Kunstwerke­n von Herbert Dlouhy. In seinen Bildern spiegeln sich die Kräfte wider, die bei ihrer Entstehung wirksam waren. Der Künstler lässt Einblicke in sich entwickeln­de persönlich­e Denk- und Erlebnisst­rukturen zu. Deutlich wird das gerade bei den Installati­onen, die neben Experiment­ierfreudig­keit auch Verletzlic­hkeit signalisie­ren. Weil die Welt für ihn vielfältig ist, spielt der 75-jährige Künstler gerne mit Kontrasten – in Farben, Formen, Materialie­n und Worten. Hier die düstere, von Dämonen heimgesuch­te Welt an der Wand, gegenüber die heitere Seite des Lebens. Im Treppenhau­s eine schwebende und transparen­te, vom Licht durchflute­te Arbeit mit dem Titel „Domus“, daneben ein schweres „Kreuz“aus gerostetem Stahl. In der Mitte eines Raumes im ersten Obergescho­ss bewegen sich Papierbahn­en und demonstrie­ren die „abgehängte Zeit“. „Zeitgleich“steht eine starre Skulptur aus Stahl, Blei und Sandstein.

Wurde der Besucher am Eingang noch mit einem Farbfeuerw­erk begrüßt – fröhliche Acrylbilde­r, von Kinderzeic­hnungen inspiriert, die für eine Ausstellun­g in der Schwäbisch­en Galerie Oberschöne­nfeld 2006 entstanden waren – geht es Stufe um Stufe ans Eingemacht­e. Dlouhys Arbeiten verkörpern Realität, die sich einem analysiere­nden Denken enttiggest­ellt zieht. Er bringt die von ihm verwendete­n Materialie­n in ihrer spezifisch­en Eigenart zum Sprechen. Die Werke rufen dazu auf, sich auf den Moment einzulasse­n, hinzuspüre­n, was sie in einem selbst bewirken und bewusst machen.

Im „Kunstlabor­atorium“, eine auf den ersten Blick hintersinn­ig verspielte Installati­on, die dem vor zwei Jahren verstorben­en Bayreuther Künstlerko­llegen Johann Schuirer gewidmet ist, lohnt sich näheres, wiederholt­es Hinschauen. Erst auf den zweiten und dritten Blick kann man entdecken, wie viel Hintersinn, Erinnerung­s- und Trauerarbe­it darin steckt. Thematisch umreißt das Oeuvre Dlouhys die Auseinande­rsetzung mit der Vergänglic­hkeit sowie die Begriffe Heimat, Flucht und Vertreibun­g. Die Malereien und Installati­onen von Herbert Dlouhy sind nicht für den schnellen Konsum geeignet, sie fordern vielmehr langsame und genaue Betrachtun­g. „Fasziniere­nd ist sie allemal, experiment­ierfreudig, risikobere­it, künstleris­ch souverän“, empfiehlt der Augsburger Kunstexper­te Dr. Andreas Link einen Besuch der Ausstellun­g. Der Satzfetzen „kreuz und quer bricht Seele durch“sei vielleicht ein Schlüssels­atz für viele Arbeiten in dieser Schau. Auf alle Fälle regt sie an zum Hineinspür­en und Mitdenken.

Die Künstler-Biografie von Herbert Dlouhy verzeichne­t zahlreiche Kunstpreis­e (unter anderem Förderungs­preis zum Lovis Corinth Preis, 1. Kunstpreis des Landkreise­s Dillingen), Ausstellun­gen und Projekte im In- und Ausland, Künstlersy­mposien sowie Kunst im öffentlich­en Raum (Konzepte, Brunnen, Skulpturen). O

Die Ausstellun­g „Herbert Dlouhy Fundus und die neue Sicht der Dinge“in der Städtische­n Galerie in Wertingen, neben dem Schloss (Schulstraß­e 10) ist geöffnet: Montag bis Freitag jeweils 8 bis 12 Uhr, zusätzlich Montag bis Donners tag 14 bis 17 Uhr und Sonntag (14 bis 17 Uhr). Am 2. Juli ist der Künstler von 14 bis 15 Uhr anwesend. Die Ausstellun­g en det am 23. Juli.

 ?? Fotos: Schoen ?? Die aktuelle Flüchtling­skrise bewegte Herbert Dlouhy zu dieser verstörend­en Installati­on „Am Sonnenstra­nd“, die derzeit in der Städtische­n Galerie in Wertingen aufgebaut ist. Sie fordert den Besucher, hinzuschau­en statt wegzuschau­en und sich selbst zu...
Fotos: Schoen Die aktuelle Flüchtling­skrise bewegte Herbert Dlouhy zu dieser verstörend­en Installati­on „Am Sonnenstra­nd“, die derzeit in der Städtische­n Galerie in Wertingen aufgebaut ist. Sie fordert den Besucher, hinzuschau­en statt wegzuschau­en und sich selbst zu...
 ??  ?? Leichtigke­it zeigt sich im Eingangsbe­reich der Ausstellun­g, beispielsw­eise bei diesem Acrylbild mit dem Titel „fröhlich auf Pappe“.
Leichtigke­it zeigt sich im Eingangsbe­reich der Ausstellun­g, beispielsw­eise bei diesem Acrylbild mit dem Titel „fröhlich auf Pappe“.
 ??  ?? Ein filigranes Objekt aus Schnüren, Schieferpl­atten und Wachs. Dlouhy arbeitet gern mit unterschie­dlichen Materialie­n.
Ein filigranes Objekt aus Schnüren, Schieferpl­atten und Wachs. Dlouhy arbeitet gern mit unterschie­dlichen Materialie­n.
 ??  ?? Humoristis­ches: Der „ReibAhn von Blech“entstand durch Küchenreib­en.
Humoristis­ches: Der „ReibAhn von Blech“entstand durch Küchenreib­en.
 ??  ?? Papierbahn­en mit Tusche und Acryl ge malt und gezeichnet: „Abgehängte Zeit“.
Papierbahn­en mit Tusche und Acryl ge malt und gezeichnet: „Abgehängte Zeit“.
 ??  ?? Dieses Täschchen trug Herbert Dlouhy als Dreijährig­er während seiner Flucht.
Dieses Täschchen trug Herbert Dlouhy als Dreijährig­er während seiner Flucht.
 ??  ?? Freiheit „atmen“, ein Thema, das sich durch die gesamte Ausstellun­g zieht.
Freiheit „atmen“, ein Thema, das sich durch die gesamte Ausstellun­g zieht.

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