Was passiert, wenn ein Zeuge lügt?
Gericht In einem Prozess am Amtsgericht Dillingen geht es eigentlich nicht um viel. Trotzdem läuft ein Zeuge Gefahr, sich in Widersprüche zu verstricken. Das hätte schwere Folgen
Landkreis Er wiederholt sich, spricht abgehackt, bricht mitten im Satz immer wieder ab und dreht seinen Kopf zur Seite. Ein 68-Jähriger sitzt auf einem Zeugenstuhl im Amtsgericht Dillingen, umringt von der Richterin, dem Staatsanwalt und seinem Verteidiger, im Rücken sitzen einige Zuhörer. Alle Augen ruhen auf ihm.
„Ich habe Sie bereits belehrt, Sie müssen die Wahrheit sagen“, ermahnt ihn Richterin Gabriele Held, „Sie machen aber widersprüchliche Angaben.“Die Vorsitzende bemüht sich schon seit einiger Zeit darum, klare Aussagen von ihrem Hauptzeugen zu bekommen. Doch der Mann wirkt immer nervöser und verwirrter.
Im Prozess geht es darum, wie viele Arbeitsstunden er für seine Chefin geleistet hat. Die Taxi-Unternehmerin aus dem Landkreis hat ihn als „geringfügig beschäftigt“angegeben. Hat er aber mehr als 80 Stunden gearbeitet, hat seine Chefin Geld veruntreut. Dann müsste sie rund 11000 Euro nachzahlen. Held zufolge ist das keine allzu große Summe. „Das ist es nicht wert, dass Sie sich mit einer Falschaussage selbst Schwierigkeiten machen“, sagt sie an den Zeugen gerichtet.
Das Mindeste, das einen Zeugen erwartet, wenn er vor Gericht lügt, ist eine Freiheitsstrafe von drei Monaten. „Das ist die Untergrenze, meistens wird es mehr“, sagt Held im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie hat auch schon Fälle gegen Menschen verhandelt, die sich wegen einer Falschaussage verantworten müssen. So etwas komme immer wieder vor. Held sagt, sie selbst habe bislang vermeiden können, dass es nach einem ihrer regulären Prozesse so weit kommt.
Auch in dieser Verhandlung redet sie eindringlich auf den Zeugen ein: „Versuchen Sie, sich zu erinnern. Haben Sie unter der Woche eher eine oder zwei Schichten gearbeitet?“Sie stellt ihm wiederholt Fragen, rechnet ihm vor, auf wie viele Arbeitsstunden er damit gekommen wäre. Noch vor ein paar Minuten hat der 68-Jährige erklärt, es sei ihm bei jeder Schicht eine Dreiviertelstunde abgezogen worden – als Pause. Nun sagt er, man habe ihm jedes Mal unterschiedlich die Stunden abgezogen, die er daheim auf einen Auftrag gewartet habe.
Die Richterin macht ihn darauf aufmerksam, dass er sich widerspricht. Sie liest ihm aus den Akten die Antworten vor, die er Monate zuvor bei der Befragung dem Hauptzollamt gegeben hat. Sie stimmen nur geringfügig mit dem überein, was er im Gerichtssaal erzählt. „Wenn Sie jetzt sagen, dass Sie die Fragen des Beamten damals nicht verstanden haben, kann ich Ihnen das nicht glauben“, sagt Held. Bei derart schwierigen Aussagen nimmt sie sich zwar erst Zeit. „Aber irgendwann muss sich ein Zeuge auf eine Version festlegen.“
Sie rät ihm, zu sagen, dass er sich nicht mehr erinnert, wenn er etwas nicht mehr genau weiß. „Man sollte das nie als Ausrede benutzen, aber oft sind die Vorfälle schon lange her“, erklärt die Richterin im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie wolle die Zeugen schließlich nicht auflaufen lassen. Das entspräche nicht dem Grundsatz eines fairen Prozesses – und der gilt nicht nur für den Angeklagten. „Wenn der Zeuge aber bei seiner Lüge bleibt und ertappt wird, dann ist es eben so.“
Es sei ihre Hauptaufgabe, die Glaubwürdigkeit von Menschen einzuschätzen. „Das lernt man nicht in Büchern, das kommt mit der Erfahrung.“Bei Jugendlichen zum Beispiel komme es oft vor, dass sie ihre Freunde in Schutz nehmen. Erwachsene seien da schon ausgefuchster. „Natürlich kann ich auch nicht ausschließen, dass ich schon mal angelogen worden bin.“
Dem Mann auf dem Zeugenstuhl vor ihr, der immer mehr in die Bredouille kommt, empfiehlt sie, sich noch einmal zu sammeln. Er darf den Gerichtssaal vorerst verlassen – wird aber noch nicht als Zeuge entlassen. Schließlich ist seine Aussage der beste Beweis, wenn es darum geht, wie viel er tatsächlich gearbeitet hat. Obwohl er sich damit selbst belasten könnte – und deswegen nichts dazu sagen müsste –, wollte er von Anfang an eine Aussage machen. In eine Unterbrechung willigt er aber sichtlich erleichtert ein.
Der weitere Verlauf der Verhandlung kommt dem Mann entgegen. Er muss nicht wieder in den Zeugenstuhl. Während er wartet, handeln Richterin, Verteidiger und Staatsanwalt einen Kompromiss aus, der bei einem Geständnis greifen soll. Daraufhin räumt seine Chefin ein, dass sie den Überblick über die Arbeitszeit ihres Mitarbeiters verloren haben könnte. Dafür muss sie 120 Tagessätze zu je 25 Euro Strafe zahlen. Selbst, wenn sie es nicht besser wusste. Held sagt: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht.“Genauso wenig, wie der Zeugenstatus einen bei einer Lüge vor einer Gefängnisstrafe schützen kann.