Donau Zeitung

Was passiert, wenn ein Zeuge lügt?

Gericht In einem Prozess am Amtsgerich­t Dillingen geht es eigentlich nicht um viel. Trotzdem läuft ein Zeuge Gefahr, sich in Widersprüc­he zu verstricke­n. Das hätte schwere Folgen

- VON KATRIN REIF

Landkreis Er wiederholt sich, spricht abgehackt, bricht mitten im Satz immer wieder ab und dreht seinen Kopf zur Seite. Ein 68-Jähriger sitzt auf einem Zeugenstuh­l im Amtsgerich­t Dillingen, umringt von der Richterin, dem Staatsanwa­lt und seinem Verteidige­r, im Rücken sitzen einige Zuhörer. Alle Augen ruhen auf ihm.

„Ich habe Sie bereits belehrt, Sie müssen die Wahrheit sagen“, ermahnt ihn Richterin Gabriele Held, „Sie machen aber widersprüc­hliche Angaben.“Die Vorsitzend­e bemüht sich schon seit einiger Zeit darum, klare Aussagen von ihrem Hauptzeuge­n zu bekommen. Doch der Mann wirkt immer nervöser und verwirrter.

Im Prozess geht es darum, wie viele Arbeitsstu­nden er für seine Chefin geleistet hat. Die Taxi-Unternehme­rin aus dem Landkreis hat ihn als „geringfügi­g beschäftig­t“angegeben. Hat er aber mehr als 80 Stunden gearbeitet, hat seine Chefin Geld veruntreut. Dann müsste sie rund 11000 Euro nachzahlen. Held zufolge ist das keine allzu große Summe. „Das ist es nicht wert, dass Sie sich mit einer Falschauss­age selbst Schwierigk­eiten machen“, sagt sie an den Zeugen gerichtet.

Das Mindeste, das einen Zeugen erwartet, wenn er vor Gericht lügt, ist eine Freiheitss­trafe von drei Monaten. „Das ist die Untergrenz­e, meistens wird es mehr“, sagt Held im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie hat auch schon Fälle gegen Menschen verhandelt, die sich wegen einer Falschauss­age verantwort­en müssen. So etwas komme immer wieder vor. Held sagt, sie selbst habe bislang vermeiden können, dass es nach einem ihrer regulären Prozesse so weit kommt.

Auch in dieser Verhandlun­g redet sie eindringli­ch auf den Zeugen ein: „Versuchen Sie, sich zu erinnern. Haben Sie unter der Woche eher eine oder zwei Schichten gearbeitet?“Sie stellt ihm wiederholt Fragen, rechnet ihm vor, auf wie viele Arbeitsstu­nden er damit gekommen wäre. Noch vor ein paar Minuten hat der 68-Jährige erklärt, es sei ihm bei jeder Schicht eine Dreivierte­lstunde abgezogen worden – als Pause. Nun sagt er, man habe ihm jedes Mal unterschie­dlich die Stunden abgezogen, die er daheim auf einen Auftrag gewartet habe.

Die Richterin macht ihn darauf aufmerksam, dass er sich widerspric­ht. Sie liest ihm aus den Akten die Antworten vor, die er Monate zuvor bei der Befragung dem Hauptzolla­mt gegeben hat. Sie stimmen nur geringfügi­g mit dem überein, was er im Gerichtssa­al erzählt. „Wenn Sie jetzt sagen, dass Sie die Fragen des Beamten damals nicht verstanden haben, kann ich Ihnen das nicht glauben“, sagt Held. Bei derart schwierige­n Aussagen nimmt sie sich zwar erst Zeit. „Aber irgendwann muss sich ein Zeuge auf eine Version festlegen.“

Sie rät ihm, zu sagen, dass er sich nicht mehr erinnert, wenn er etwas nicht mehr genau weiß. „Man sollte das nie als Ausrede benutzen, aber oft sind die Vorfälle schon lange her“, erklärt die Richterin im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie wolle die Zeugen schließlic­h nicht auflaufen lassen. Das entspräche nicht dem Grundsatz eines fairen Prozesses – und der gilt nicht nur für den Angeklagte­n. „Wenn der Zeuge aber bei seiner Lüge bleibt und ertappt wird, dann ist es eben so.“

Es sei ihre Hauptaufga­be, die Glaubwürdi­gkeit von Menschen einzuschät­zen. „Das lernt man nicht in Büchern, das kommt mit der Erfahrung.“Bei Jugendlich­en zum Beispiel komme es oft vor, dass sie ihre Freunde in Schutz nehmen. Erwachsene seien da schon ausgefuchs­ter. „Natürlich kann ich auch nicht ausschließ­en, dass ich schon mal angelogen worden bin.“

Dem Mann auf dem Zeugenstuh­l vor ihr, der immer mehr in die Bredouille kommt, empfiehlt sie, sich noch einmal zu sammeln. Er darf den Gerichtssa­al vorerst verlassen – wird aber noch nicht als Zeuge entlassen. Schließlic­h ist seine Aussage der beste Beweis, wenn es darum geht, wie viel er tatsächlic­h gearbeitet hat. Obwohl er sich damit selbst belasten könnte – und deswegen nichts dazu sagen müsste –, wollte er von Anfang an eine Aussage machen. In eine Unterbrech­ung willigt er aber sichtlich erleichter­t ein.

Der weitere Verlauf der Verhandlun­g kommt dem Mann entgegen. Er muss nicht wieder in den Zeugenstuh­l. Während er wartet, handeln Richterin, Verteidige­r und Staatsanwa­lt einen Kompromiss aus, der bei einem Geständnis greifen soll. Daraufhin räumt seine Chefin ein, dass sie den Überblick über die Arbeitszei­t ihres Mitarbeite­rs verloren haben könnte. Dafür muss sie 120 Tagessätze zu je 25 Euro Strafe zahlen. Selbst, wenn sie es nicht besser wusste. Held sagt: „Unwissenhe­it schützt vor Strafe nicht.“Genauso wenig, wie der Zeugenstat­us einen bei einer Lüge vor einer Gefängniss­trafe schützen kann.

 ?? Foto: Patrick Pleul, dpa ?? Als Zeuge spielt man bei einem Prozess eine wichtige Rolle. Egal, worum es in der Verhandlun­g geht – wer vor Gericht lügt, hat schlimme Folgen zu befürchten. Eine Richterin am Dillinger Amtsgerich­t versucht stets, einen anschließe­nden Prozess zu...
Foto: Patrick Pleul, dpa Als Zeuge spielt man bei einem Prozess eine wichtige Rolle. Egal, worum es in der Verhandlun­g geht – wer vor Gericht lügt, hat schlimme Folgen zu befürchten. Eine Richterin am Dillinger Amtsgerich­t versucht stets, einen anschließe­nden Prozess zu...

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