Fest im Griff der Staatsmacht
Der albanische Autor Ismail Kadare deckt Abgründe auf
Ismail Kadare, 1936 im südalbanischen Gjirokastra geboren, schrieb über Kommunismus und Diktatur schon zu einer Zeit, da man dies nicht tun konnte ohne Gefahr für Leib und Leben. Es dauerte bis in die 70er Jahre, bis der große Autor auch im Westen schlagartig berühmt wurde. Dazu verhalf ihm in erster Linie „Der General der toten Armee“, 1963 verfasst, 1977 auf Deutsch erschienen, im Weiteren Titel wie „Chronik in Stein“und „Der Palast der Träume“.
Zwischen Original und Übersetzung liegen bei Kadare oft viele Jahre. So auch bei seinem Roman „Die Verbannte“, geschrieben 2008/09 und jetzt, übertragen von Joachim Röhm, bei uns im Buchhandel. Kadare, überwiegend in Paris lebend, bleibt sich treu. An der politischen Unterdrückung, an Willkür und Verhör, an geheimen Akten und Verschwörungstheorien entzündet sich sein Werk. Den Schriftstellern in diesen Romanen wird insgeheim mitgespielt, sie suchen den Kopf oben zu halten und knicken doch ein. In „Die Dämmerung der Steppengötter“(2016) hat Kadare grandios die sowjetische Schriftstellermafia und ihre Hetze gegen den mit dem Nobelpreis gekürten Boris Pasternak auseinandergenommen.
Von dieser
Dichte ist „Die Verbannte“weit entfernt. Kadare springt, wie gewohnt, von der distanzierten Erzählung ins Geschehen, von der Außensicht in die Gedankenwelt, vom Bericht in den Dialog. Der Ton nimmt oft eine ironische Färbung an und setzt sarkastische Stiche gegen die Machtblasen. Das alles hat in „Die Verbannte“indes nicht die an diesem Autor geschätzte Sprachwucht. Und doch legt Kadare in dem krakenartigen Klammergriff des Staatsapparates Stück für Stück eine schier unglaubliche menschliche Tragödie offen, die ans Herz greift. Dabei beginnt alles so harmlos, mit der Signatur des Dramatikers Rudian Stefa: „Für Linda B. zur Erinnerung. Der Autor. 12. Juni.“Linda B. ist eine wegen „feindlicher Klassenzugehörigkeit“Internierte fern der Hauptstadt Tirana, rechtlos, isoliert, seelisch stranguliert. Von einer solch verzweifelten Sehnsuchtsfigur hat man lange nicht mehr gelesen. Kadare blendet immer wieder den Orpheus-Mythos ein, den Widerstreit von Eros und Tod, die Zerstückelung des Menschlichen.
Das durch Fakten erschütternde Nachwort verrät, wie abgrundtief dieser Roman in der Lager-Realität des kommunistischen Albanien der Jahre 1944 bis 1989 wurzelt.
» Ismail Kadare: Die Verbannte. S. Fi scher, 208 S., 20 ¤