Musikbotschafterin einer fernen Zeit
Sabine Lutzenberger hat sich dem Mittelalter verschrieben. Sie ist Mitglied eines international renommierten Chors und gründete ein eigenes Ensemble. Dabei stand Singen für sie zuerst nicht im Vordergrund
Augsburg Still ist es hier im Haus, das Fenster geht hinaus in einen kleinen Garten, auch im Nebenzimmer, das ein Wanddurchbruch freigibt, ruhen der Flügel und das Cembalo. „Es tut gut“, sagt Sabine Lutzenberger, „wenn man so einen stillen Ort hat.“
Ist zu verstehen – besonders, wenn man als Sängerin so viel auf Reisen ist wie sie. Und wenn man sich einer Musik verschrieben hat, für die die Stille eine stets zu beachtende Größe ist.
Sabine Lutzenberger ist Spezialistin für Musik des Mittelalters. Eine ferne Welt, längst unseren Ohren so verschwunden wie der Klang jener Zeit. Umso faszinierender, wenn die Musik von einst wieder an uns heranrückt durch eine Sängerin wie Sabine Lutzenberger mit ihrer quellwasserklaren Sopranstimme. Walther von der Vogelweide kennt man vom Namen; man kennt vielleicht auch das eine oder andere seiner Gedichte. Doch wer hat schon im Ohr, wie seine Lieder geklungen haben?
Bei Sabine Lutzenberger kann man es hören – in ihrer faszinierenden Aufnahme von Walthers Liedern. Und das ist nur ein kleiner Teil des musikalischen Spektrums aus einem Jahrhunderte überspannenden Zeitalter, dem sich die vor den Toren Augsburgs lebende Sängerin verschrieben hat.
Eine Nische – wie gerät man da hinein? Die erste Begegnung mit dem Mittelalter kam zur Schulzeit durch den Musiklehrer zustande. Rainer Herpichböhm war Mitglied beim Ensemble für frühe Musik Augsburg, und so wurde Sabine Lutzenberger zu Beginn der 80er Jahre die weibliche Stimme des Ensembles. „Der deutsche Minnesang“, erinnert sie sich, „der war zunächst schon gewöhnungsbedürftig.“Dabei stand damals das Singen noch gar nicht im Vordergrund des Musizierens. Sie spielte Blockflöte, und mit diesem Instrument nahm sie nach der Schule auch ein Hochschulstudium in Zürich auf. Doch zunehmend rückte der Gesang ins Zentrum, auch, weil Lutzenberger zunehmend der Faszination früher Musik erlag und erkannte: Im Mittelalter war – allein schon durch die Bedeutung der Klöster – die Stimme
Instrument. Also ging sie, das Blockflöten-Konzertdiplom in der Tasche, nach Basel an die Schola Cantorum, das renommierte Institut für Alte Musik, und studierte Gesang und Musik des Mittelalters von der Pike auf.
Die Fähigkeit, eine Notenschrift aus dem 15. Jahrhundert im Original lesen zu können, ist das eine; Verständnis zu haben für die längst vergangene Zeit ein anderes. Für die Programme, die sie vorträgt, taucht
Sabine Lutzenberger tief ein in die Lebenswelt des Mittelalters. „Wie hat man damals Raum empfunden?“, fragt sie sich, „wie Geschwindigkeit? Wie Stille? Oder Kälte?“Sie versenkt sich in solche Fragen, macht sich kundig, richtet danach ihre Interpretation aus, ist überzeugt: „Nur so bekommt das Singen ein Gewicht.“Als Hörer kann man das nur bestätigen. Denn egal, ob sie nun Walther singt oder Hildegard von Bingen oder Lieder
der Reformation – immer schwingt im Gesang der Sabine Lutzenberger Wahrhaftigkeit mit, entschlackt vom bloßen Kunstwollen.
Zur Jahrtausendwende verließ sie das Ensemble für frühe Musik Augsburg als festes Mitglied. Sie sang dem belgischen Dirigenten Paul van Nevel vor. Seither ist sie Mitglied in dessen Huelgas-Ensemble, einem vielfach ausgezeichneten Chor für die Polyphonie des Mittelalters und der Renaissance. Mit dem Huelgas-Ensemble tritt sie bei den großen Alte-Musik-Festivals auf, gerade im August wieder in Antwerpen und Utrecht. Vor zehn Jahren gründete sie auch ein eigenes Ensemble, Per-Sonat, in dem sie mit Instrumentalisten und wahlweise hinzugezogenen Sängern ihre eigenen Programme realisiert.
Immer nur Mittelalter? Schon in ihrer Schulzeit ist sie als Blockflötistin Werken der Avantgarde begegnet, und die Faszination für die komponierte Musik von heute hat sie nicht verlassen. Gezielt widmet sie sich auch der Neuen Musik: neben den Herausforderungen für die Stimme schätzt sie den unmittelbaren Kontakt mit den Komponisten, den direkten Austausch. „Die Musik von heute ist wichtig für mich. In ihr kann ich ganz authentisch sein.“
Doch weshalb hört man sie eigentlich nie mit dem Standardrepertoire der Klassik, mit Werken des 18., 19. oder frühen 20. Jahrhunderts? Sabine Lutzenberger zögert einen Moment, bevor sie sagt, der Musikbetrieb lasse ihr da nicht viel
Sich Zeit zu lassen, gehört zu ihrem Künstler Credo
Spielraum, ihr hafte nun mal das Etikett einer Sängerin für Mittelalterliches an. Gerne würde sie mehr Bach singen, die Altpartien, „die liegen ideal für meine Stimme“.
Die Beschränkung hat aber noch einen anderen Grund. „Wenn man etwas verstehen will, braucht man viel Zeit dafür.“Schnell mal nach Noten zu singen, das ist ihr zu wenig; die Vertiefung dessen, was sie vorträgt, gehört zum Grundverständnis der Künstlerin Lutzenberger. Mit ihren Verpflichtungen beim Huelgas-Ensemble und ihren Projekten mit Per-Sonat ist sie gut beschäftigt, auch jetzt, wo die beiden Kinder erwachsen und aus dem Haus sind. Und dann wartet auch immer schon das nächste eigene Projekt. Gerade ist ihre neue CD mit Liedern der Reformationszeit erschinen, schon ist ein neues Programm in Entwicklung. Worum es geht? Um die Musik der Zisterzienser. Im Mittelalter, versteht sich.