Donau Zeitung

Freiheit geht vor Toleranz

Der islamkriti­sche Autor Hamed Abdel-Samad spricht im Dillinger Stadtsaal mutige Worte zu Islam, Politik und Gesellscha­ft. Welche Mauern und Auswege er sieht und vor was der 45-jährige gebürtige Ägypter warnt

- VON BIRGIT ALEXANDRA HASSAN

Dillingen „Wenn der Prophet Mohamed ein richtiges Paulaner getrunken hätte, hätte er überlegt, ob Alkohol zu verbieten ist.“Einige Zuhörer lachen. „Oder er hätte ihn erst recht verboten“, sagt Hamed Abdel-Samad und schenkt sich selbst ein Glas Wasser ein. Am Ende des Abends werden drei leere Wasserflas­chen auf seinem Tisch stehen. Nach zweieinhal­b Stunden Vortrag, kritischen Worten, respektvol­lem Zuhören und mutigen Antworten.

Es ist die Freiheit, um die es dem 45-jährigen Politikwis­senschaftl­er, islamkriti­schen Aufklärer und Publiziste­n immer wieder geht. Eine Freiheit, die – siehe Bier – beim Alkohol beginnt. „Ein gesunder Menschenve­rstand kann entscheide­n, ob er trinkt.“Im Koran und Islam sieht der Sohn eines ägyptische­n Imams diese Freiheit eingeschrä­nkt. Seine eigene Lebensgesc­hichte hat ihm dies offenbart. Mitte der 90er Jahre war er als 23-Jähriger nach Deutschlan­d zum Studieren gekommen, hat in den folgenden Jahren persönlich­e Höhen und vor allem Tiefen erlebt und dabei sein eigenes Leben reflektier­t. Das schildert er sehr offen in seiner Autobiogra­fie, seinem ersten veröffentl­ichten Buch (2009). Äußerst klar blickt er darin sowohl auf seine persönlich­e Geschichte als auch auf die ägyptische und deutsche Gesellscha­ft.

Mit der gleichen Klarheit spricht Hamed Adel-Samad am Donnerstag­abend im Dillinger Stadtsaal. „Das Besondere in der Vielfalt“– nach dieser Leitlinie der Kulturtage des Landkreise­s habe man ihn als „ganz besonderen Gast“eingeladen, begrüßen ihn der Dillinger Buchhändle­r Ulrich Demmer und Büchereile­iterin Brigitte Schöllhorn. Sehr schnell zeigt sich, was das Besondere an Abdel-Samad ist: Er kritisiert den Islam vehement, wirft ihm massive Einschränk­ung und Einengung vor. Gleichzeit­ig distanzier­t sich der Islamkriti­ker ebenso klar von allen extremisti­schen politische­n Polen. „Entweder wachsen wir zusammen Dillinger und grenzen uns von den Rändern ab, oder die Pole wachsen und die Mitte der Gesellscha­ft wird eng.“Mehrmals ruft Hamed Abdel-Samad die Mitte der Gesellscha­ft auf, wach zu werden, offen über die Probleme zu sprechen, den Gegner ernst zu nehmen und mit ihm zu streiten. „Kritik gehört zur Aufklärung“, sagt der 45-Jährige und erinnert an Philosophe­n wie Kant und Feuerbach. Er warnt davor, dem rechten Rand die Debatte zu überlassen. „Eine gesunde demokratis­che Gesellscha­ft muss den Rahmen schaffen für unbequeme Debatten und rechtzeiti­g handeln.“

Beim Blick auf den Islam erkennt Hamed Abdel-Samad viele Mauern. Mauern, die sich dadurch ergeben, dass das Wort Gottes unantastba­r ist und dass der Prophet Mohamed („er war auch Krieger“) als Vorbild gilt. Als dritte Mauer sieht er die Angst und als vierte die Überempfin­dlichkeit der Muslime im Umgang mit Kritik. Das Kopftuch nennt er ein „klares Symbol der Unterdrück­ung in einem patriarcha­len System“, solange es unreflekti­ert getragen werde: „Freiwillig­keit setzt Freiheit voraus“, verweist er erneut. Der Referent fordert Gleichbere­chtigung zwischen Familienob­erhaupt, Frauen und Kindern statt eines hierarchis­chen Systems und freie menschlich­e Entfaltung­smöglichke­iten für alle. „Wir müssen viel tun im Bereich Bildung und für eine offene Geisteshal­tung.“Toleranz gegenüber Nichttoler­anz sei keine Großzügigk­eit sondern Dummheit.

Mit blauer Jeans, weißem T-Shirt, darüber ein blau-graues Jackett und Turnschuhe­n sitzt der 45-Jährige auf der Bühne, fünf Sicherheit­skräfte an seiner Seite. Gegen ihn wurde eine Mord-Fatwa verhängt, nachdem er mehrere islamkriti­sche Bücher veröffentl­icht hatte. Seit Jahren lebt er unter Polizeisch­utz. Dabei will er – vor allem die jungen – Muslime teilhaben lassen an den Werten einer Demokratie. „Deren Kern ist, dass der Mensch sich frei entfalten kann.“Dafür brauche es eine klare Entscheidu­ng und das Ende der inneren Zerrissenh­eit. „Denn keiner kann zwei konträre Wertesyste­me integriere­n, die sich ausschließ­en.“

Kulturtage

Newspapers in German

Newspapers from Germany