Vom Finden des Fussel-Rasierers
D er Welt haftet etwas Zwangsläufiges an. Was möglich ist, geschieht. Menschen kaufen Jeanshosen mit Schussloch-Optik, weil es Mode ist. Oder sie lassen sich die Namen ihrer wechselnden Partner in Schreibschrift tätowieren, auch wenn sie das nach Abbruch der Beziehung bereuen. Ja, manche verwachsen derart mit ihrem Smartphone, dass die Welt um sie herum nicht mehr existiert. Da können ihnen Kastanien auf den Kopf fallen oder heulende Kinder an ihren Armen zerren, die WhatsApp-Nachricht wird fertig getippt.
Mancher mag es fatalistisch hinnehmen, dass alles, was technisch möglich ist, Wirklichkeit wird. Ja, alles, was sich digitalisieren lässt, digitalisiert wird. Jetzt soll eine letzte Oase analogen Glücks fallen: der Supermarkt. Bald scheint die Zeit der Konsum-Tiefenentspannung vorbei, wenn wir wieder einen Einkaufswagen packen und ziellos durch die Gänge streifen.
Wo ist noch einmal der Ketchup? Irgendwo beim Senf sicher. Aber wo ist der Senf? Sicher nicht weit von den Steaksaucen und den Essiggurken entfernt. Die Fahndung beginnt. Wir biegen in den falschen Gang ein. Weit und breit kein Senf, dafür das ohnehin auf dem analogen Einkaufszettel stehende Klopapier. Was für eine Freude, welch schöne Entdeckungsreise durch die Warenwelt. Rechts um die Ecke kommt das Tchibo-Regal.
So ein Fussel-Rasierer steht seit Jahren auf dem ewigen inneren Einkaufszettel. Welch spontanes Glück. Vom Suchen und Finden des Fusselrasierers für 8,99 Euro. Doch das hat wohl bald ein Ende, denn Einkaufswagen sollen ein Navigationssystem bekommen. Dann erschallen vom Konsum-Navi Befehle gestrenger Frauenstimmen: Scharf links abbiegen bei der Chilisauce, dann geradeaus, vorbei am Dosenmais direkt zum Senf. Kein Irren mehr. Nur ein durch Algorithmen bestimmtes Blitzeinkaufen. Der rascheste Weg vom Senf zum Klopapier führt sicher nie wieder am Fussel-Rasierer vorbei. So finden wir in der schrecklichen neuen Supermarkt-Ära nur, was wir finden wollen. Um es in Anlehnung an den Philosophen Habermas zu sagen: Die alte Supermarkt-Unübersichtlichkeit bereicherte unser Leben mehr als die neue digitale Langeweile. Da kann man doch gleich online einkaufen.