Eine lange und großartige Gitarrennacht
Ein Höhepunkt folgt dem anderen in Wertingen. Vier Künstler, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, zeigen im Schloss die Vielseitigkeit und Faszination des Instruments auf
Wertingen Die Bühne ist sein Zuhause. Carlos Barbosa-Lima macht kein großes Aufsehen um seine Person. Dennoch versprüht er Glanz und Aura, wenn er dort sitzt, wo er sich am wohlsten fühlt und feinfühlig in die Saiten greift. Schon nach den ersten Tönen im Festsaal des Wertinger Schlosses spürt das Publikum, dass es hier ein Erlebnis von besonderer Qualität erwartet, dass hier ein Meister, ja ein Klassiker der südamerikanischen Gitarrenkunst am Werk ist. Wer könnte die lange Gitarrennacht in Wertingen besser einstimmen, als dieser Grandseigneur des schönen Tons, der zauberhaften Klänge und der vollendeten Schwingung, an der er mit seinem Instrument das Publikum teilhaben lässt?
Johannes Tonio Kreusch, künstlerischer Leiter des Gitarrenfestivals in Wertingen, kündigt die lange Gitarrennacht – sie dauert von 19 bis 24 Uhr – als eine Begegnung mit der Musik und unkonventionellen Menschen an. Carlos Barbosa Lima ist ein Beispiel dafür. Seit 60 Jahren gibt der aus Brasilien stammende und überall lebende Weltbürger Barbosa Konzerte rund um die Erdkugel. Gelernt bei und zusammengearbeitet hat er mit vielen namhaften Komponisten und Künstler, seinen eigenen Stil entwickelt und sich selbst als Komponist und Arrangeur um die südamerikanische Gitarrenmusik verdient gemacht.
Warum gerade „Carlos“, wie ihn seine Wertinger Fans nennen, Gefallen am Zusamstädtchen gewonnen hat, das hat sehr viel mit seinem jungen Freund Johannes Tonio Kreusch zu tun, der ihn nach Wertingen gebracht hat. Den Konzertgitarristen aus München und seinen Freund Carlos verbindet eine musikalische und menschliche Harmonie, die besonders beim Zusammenspiel auf der Gitarre zum unvergleichlichen Ausdruck kommt. So dürfen die Wertinger im Duo die Uraufführung genial von Barbosa arrangierter, beziehungsweise neu interpretierter brasilianischer Melodien genießen. Anschließend legt der Stargast des Abends die Noten beiseite und spielt eine Stunde lang solo, frei aus dem Gedächtnis. Mit Nonchalance fängt er die Menschen ein, die vor ihm sitzen, lauschen, staunen und mit einem nahezu umarmenden Beifall verabschieden. Das Wertinger Publikum hat inzwischen begriffen, wen es sich da vor sich hat – einen Ausnahmekünstler und eine „Gitarrenlegende“von der Johannes Kreusch erzählt.
Cut – Pause, Sekt und Häppchen – weiter geht die Gitarrenshow mit Christina Lux, geboren in Karlsruhe, derzeitiges Leben in Köln. Eine Frau, die mitten im Leben steht, die etwas zu sagen hat, ihre Stimme erhebt und mit drei verschiedenen Gitarren unterschiedliche Stile aufzeigt. Die Liedermacherin ist ein Geheimtipp unter Kennern, lässt sich nicht beirren, schreibt und komponiert, was ihr auf der Seele brennt, verpackt in einfühlsame Balladen und soulig-rockige Protestsongs. Die musikalische Selfmade-Frau, die in jungen Jahren als Backgroundsängerin arbeitete, hat ihren eigenen Stil kreiert, ihr Publikum gefunden und kann es sich leisten, damit zu touren. Ihre Fangemeinde dürfte sich laut der Intensität des Beifalls in Wertingen erweitert haben.
Ja, es ist tatsächlich schon Zeit für die nächste Verschnaufpause an diesem langen Gitarrenabend, den der „Förderverein Gitarrenfestival Wertingen“unter Regie von Bärbel Schoen und mit Unterstützung der Stadt organisiert. Ein ausverkauftes Haus übrigens, die Gäste kommen bis aus dem Württembergischen, viele Gitarrenfans sind darunter, aber auch viele Wertinger, die das Internationale Gitarrenfestival, das die Stadt jedes Jahr veranstaltet, mit wachsender Begeisterung annehmen.
Klar, dass auch You-Tube-Star und Ex-Rapper Adam Rafferty, musikalisch groß geworden in New York, für sie kein Unbekannter mehr ist. Wie Carlos Barbosa stand auch Rafferty schon auf der Bühne in Wertingen. „Adam“wäre nicht „Adam“, würde er nicht mit unverkennbarer Schildkappe und viel zu großen Jeans zunächst mal aufgeregt um das Kabelgewirr herumtanzen, das zu seinen Füßen liegt. Adam arbeitet, wenn er musiziert, mit dem ganzen Körper, tanzt und steppt, gestikuliert, macht Grimassen, gibt den Spaßvogel – und macht doch mitreißende Musik. Seine Gitarre muss dabei einiges aushalten. Bekannte Songs erfindet Adam neu, mischt sie mit Sprachakrobatik, ohne richtig zu singen. „Mitsingen, mittanzen, mitschreien!“, fordert er die Wertinger auf. Viel verlangt. Denn es ist nun doch schon ein bisschen spät geworden, ein langes Wochenende liegt hinter den Zuhörern. Adam hat begriffen, stimmt sanftere Töne an wie „Yesterday“, das nun doch alle mitsummen. Doch dann haut er noch mal rein, rockt, dass ihm der Schweiß unter der Kappe hervor läuft. Es ist fast Mitternacht, als der letzte Beat das Konzert beendet: Beifall nochmals für alle und Beifall für die Ankündigung, dass es im nächsten Jahr wieder ein Gitarrenfestival geben wird.