Eine Flutpolder Reise ins Ungewisse
Das Wasserwirtschaftsamt fuhr Anlieger und Betroffene zum Polder-Schauen an den Oberrhein
Landkreis Johannes Ebermayer steuerte den doppelstöckigen 500-PSReisebus sicher durch Nacht und Nebel Richtung A8. Als sich kurz vor Günzburg die dicken Schleier lüfteten und einen makellos blauen Himmel freigaben, hatte der 41-jährige Mann übers Mikrofon bereits einige Ansagen gemacht, etwa übers Getränkeangebot der bordeigenen Bar. Wohl nicht alle der rund vier Dutzend Insassen – Vertreter vom Wasserwirtschaftsamt Donauwörth, Bürgermeister und Gemeinderäte aus drei Landkreisen, Bauernverband und vor allem betroffen Landwirte – wussten um die Herkunft des Buschauffeurs: Der überaus lebenslustige Ebermayer ist ein Kraftfahrt-Profi aus Schwenningen an der Donau und hält von dem Megaprojekt, dessentwegen sich die bunte Reisegruppe auf den 255 Kilometer langen Weg zur Flutpolder-Besichtigung ins rheinland-pfälzische Neupotz machte, gar nichts. Und setzte dabei einen ernsten Blick voraus in Fahrtrichtung. „Ich mag diese Riesen-Badewanne einfach nicht.“
Wenig zu lachen gab es auch zwölf Stunden später, nach einer Informations-Ochsentour durch die beschaulichen Rheinauen und entlang von Deichbauwerken und mächtigen Polderanlagen nebst aufwendiger Bauten. Sieht man mal davon ab, dass es zu vorgerückter Stunde und nach Passieren der Landesgrenze zum Freistaat einige heitere, bierselige Momente zwischen den Sitzreihen hinter Johannes Ebermayer gab. Doch wie bei den leichten Schwankungen im Oberdeck des 14 Meter langen 400000 Euro-Transporters verhielt es sich den ganzen sonnigen Tag über mit der Stimmungslage vor allem bei den vom Hochwasserbau möglicherweise betroffenen Landwirten unserer Region. Zwar hatte sich der Veranstalter in Person von Behördenleiter Ralph Neumeier vom Wasserwirtschaftsamt schon beim frühmorgendlichen Aufbruch ins Pfälzische redlich um die Aufmerksamkeit der Polder-Gegner bemüht: „Danke, dass Sie dabei sind und diesen wichtigen Termin mitgestalten wollen“, betonte der Chef eines Teams, das zurzeit an die 40 Hochwasserprojekte „durchspielen“muss. Im Namen seiner Abordnung mit Projektleiterin Marion Keyl sowie Viola Mettin versprach der Beamte, sich diesmal zurückzuhalten, damit die Schwaben ausführlich mit Betroffenen wie Beteiligten vor Ort „fachsimpeln“konnten.
Tatsächlich trafen die Gäste aus Bayern dort auf höchst auskunfts- willige Projektverantwortliche des sogenannten Hochwasserrückhalteraums Wörth/Jockrim, die mit einer Gesamtfläche von 440 Hektar Bodens die größte Auffanganlage des Landes bildet. Dort kann die gewaltige Menge von über 18 Millionen Kubikmeter Wasser gespeichert werden. Zur Erinnerung: Ein Kubikmeter des Nass entspricht dem Volumen von 1000 Litern. Rund 50 Millionen Euro wurden verbaut, bis der Standort vor vier Jahren fertiggestellt war. Neben großräumigen Arealen, in deren Nachbarschaft derweil Mähdrescher und Traktoren summten, stachen vor allem zwei Bauten ins Auge: Das Schöpfwerk, das etwa zur Regulierung des Grundwasserstandes dient. Dazu eine Ein- und Auslassanlage mit riesigen „Stöpseln“des Polders, jeweils drei Meter hoch und 13,5 Meter breit. Der brückenartige Aufbau reicht zehn Meter hoch. Ausführlich wie geduldig stellten sich die Experten um den Leiter der Neubaugruppe, Wolfgang Koch, den ganz im Sinne von Neumeier immer wieder nachbohrenden Besuchern von der Donau. „Der Widerstand gegen das Projekt war groß“, gab der Vertreter des Bundeslandes unumwunden zu.
Dass man sich – nach langen Jahren der massiven Proteste sowie gerichtlichen Auseinandersetzungen bis zum Bundesverwaltungsgericht Leipzig – wieder zusammenraufte, darüber informierte in sehr emotionaler Weise der erste Mann des 2000 Einwohner zählenden Dorfes mit Fischer- und Tabakanbauhistorie, Roland Bellaire: „Als Landwirt wie Kommunalpolitiker schlagen da immer zwei Herzen in meiner Brust“, gestand der Bürgermeister und ehemalige Mitstreiter der Bürgerinitiative „Kein Polder Neupotz“aus den 1990er-Jahren und verwies auf die „äußerst fruchtbaren Flächen“in der Umgebung. Diese ehrlichen Worte fielen beim Haus „Leben am Strom“, ein für zwei Millionen Euro zur Akzeptanzförderung umgestaltetes Fachwerkhaus aus dem Jahr 1785, das heute das sehenswerte Rheinauen- und Hochwasserschutz-Informationszentrum beherbergt. Dort konnten die schwäbischen Abgesandten buchstäblich mit Füßen auf einem überdimensionierten Luftbild vom Flutpolder herumtreten. In fünf Ausstellungsräumen geht es beim Kampf gegen das Rhein-Hochwasser um ähnliche Thematiken wie bei einer Schau der Fünf-Buchstaben-Schwester Donau. Deren angereiste Anlieger blieben wie Schwenningens Rathauschef Reinhold Schilling bis zum Schluss skeptisch: „War aber gut, das mal zu sehen.“
Der Nebenerwerbslandwirt Günter Huber (Blindheim) wartet noch immer auf Antworten auf wichtige Fragen wie der Kontamination des Ackerbodens nach einer Flutung. Ähnlich geht es Georg Mairshofer aus Gremheim: „Für einen Zentimeter weniger Flut soll im Donauried so ein großer Aufwand wie hier betrieben werden.“Kollege Albert Rieblinger kam mit Kopfschütteln kaum nach, während ein enttäuschter Günter Huber ins Prognostizieren verfiel: „Da schwebt eine große dunkle Wolke über uns, wir wissen aber noch nicht, ob es dann blitzen oder schneien wird.“Bei bestem Herbstwetter fand die Rückreise statt. Behördenchef Neumeier schloss: „Ich hoffe, dass es sich für Sie rentiert hat. Wir sehen uns wieder.“