Donau Zeitung

Richter im Zeugenstan­d

Der Angeklagte habe seine Frau misshandel­t und zum Oralsex gezwungen, für den Dillinger Richter Patrick Hecken war das erwiesen. In der Berufungsv­erhandlung muss er selbst aussagen

- VON JAKOB STADLER

Augsburg Einen Gerichtssa­al wie diesen hat Patrick Hecken schon hunderte Male betreten. Doch statt auf dem Richterstu­hl Platz zu nehmen, wie er es im Dillinger Amtsgerich­t macht, muss sich Hecken in der Mitte des Saales auf den Stuhl für Zeugen setzen. Von der Anklageban­k aus beobachtet ihn ein Mann, den Hecken im Mai verurteilt hat. Nach mehr als sechs Stunden, die der Prozess am Amtsgerich­t gedauert hatte, war er sich sicher: Der Mann aus dem südlichen Landkreis hat seine russische Ehefrau misshandel­t, erniedrigt und zum Oralsex gezwungen. Drei Jahre und zehn Monate solle er nun hinter Gittern verbringen, entschied Hecken.

Der Angeklagte ging in Berufung. Seit dem ersten Prozesstag vor dem Landgerich­t in Augsburg sitzt er nicht mehr in Untersuchu­ngshaft. Der Verdacht auf Vergewalti­gung habe sich nicht erhärtet.

Richterin Caroline Hillmann bittet ihren Zeugen und Kollegen, zu schildern, was die Geschädigt­e ihm im ursprüngli­chen Prozess gesagt Hecken weiß, dass sein Gegenüber exakte Antworten braucht. Zu seinen Aussagen fügt er gleich hinzu, was er mit Sicherheit weiß und woran er sich nur vage erinnert. Er erzählt die Geschichte, die wie ein Krimi klingt. Über das Internet hätten sich die Russin und der Angeklagte kennengele­rnt. Nach einem Jahr trafen sich die beiden, kurz darauf heirateten sie in Kroatien. Das Eheleben, wie es die Frau schilderte und wie Hecken es wiedergibt, war die Hölle. Der Mann habe die Frau massiv beleidigt, auch geschlagen, etwa als sie beim Pfannkuche­nkochen Zucker und Salz verwechsel­te. Sie habe fliehen wollen, kam aber nur bis zum Münchner Flughafen, wo sie ohne Geld und ohne Ticket strandete. Ihr Mann holte sie ab. Auf der Rückfahrt und zu Hause sei die Situation eskaliert. Erst sei der Angeklagte von der Autobahn abgefahren, in einen Wald. Dort habe er die Frau an den Haaren gezogen, geschlagen und bedroht. Zuhause habe er sie zum Oralsex gezwungen, ihr dabei die Hände auf den Hinterkopf gepresst, sodass sie wehrlos gewesen sei.

Dass ein Amtsgerich­ts-Richter in einer Berufungsv­erhandlung als Zeuge geladen wird, ist ungewöhnli­ch. Beantragt hatte das Thomas Demel, der Anwalt der geschädigt­en Frau, die im Prozess Nebenkläge­rin ist. Die Anwälte des Angeklagte­n versuchen, Demels Mandantin unglaubwür­dig erscheinen zu lassen – sie ist die Einzige, die von den Misshandlu­ngen berichtet. Wohl, um die Glaubwürdi­gkeit wieder zu stärken, fragt Demel: „Wie hat die Nebenkläge­rin diese Situation im Wald geschilder­t?“Hecken antwortet: „Sie hat gesagt, dass sie Todesangst hatte, dass sie nicht wusste, ob sie den Wald wieder verlassen würde.“

Verteidige­r Thomas Dick hingegen sucht nach Fehlern in Heckens Prozessfüh­rung. Wie eigentlich der Dolmetsche­r für die Russisch sprechende Frau ausgewählt wurde, möchte er wissen. „Der macht, wenn es um Russisch geht, neun von zehn Fällen in Dillingen“, antwortet Hecken. Was sein Mandant denn eingeräumt habe, so Dicks nächste Frage. „Er hat die Vergewalti­gung von sich gewiesen“, gibt Hecken zurück. Der Angeklagte hatte behauphabe. tet, der Frau sei es nur um die Aufenthalt­serlaubnis gegangen. Ob er sie damit konfrontie­rt habe? „Sie hat gesagt, sie habe sich in ihn verliebt.“

Die Verteidigu­ng hingegen vermutet einen Plan hinter der Hochzeit. Die Frau habe kein Geld gehabt, habe durch den Angeklagte­n nach Deutschlan­d kommen und ihn durch die Beschuldig­ungen loswerden wollen. „War denn ihre finanziell­e Situation für Sie ein wichtiges Kriterium?“– „Diese Frage stand für mich nicht im Vordergrun­d.“Dick setzt nach: „Wenn der Angeklagte sagt, sie sei aus finanziell­en Gründen gekommen, warum wurde dann ihre finanziell­e Situation nicht mehr zum Thema?“– „Da hätte sie sich ja jemanden mit Geld suchen müssen.“Die Antwort scheint den Verteidige­r zu überrasche­n, es entsteht eine kurze Pause. Hecken ergreift noch einmal das Wort. „Die wirtschaft­lichen Verhältnis­se des Angeklagte­n sind auch nicht so rosig. Ein Jackpot ist das nicht.“

Richterin Hillmann will den Prozess am Freitag, 17. November, fortsetzen. Dann spricht sie voraussich­tlich auch das Urteil.

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