Was tun gegen den Hass im Netz?
Beleidigungen und Hetze schwappen immer stärker aus der digitalen in die reale Welt. Wie man dagegen ankommt, diskutierten Experten im Augsburger Rathaus
Augsburg Zu ihrer Schulzeit, sagt die österreichische Journalistin und Buchautorin Ingrid Brodnig, hat es immer einen gegeben, der für die anderen der Fußabtreter war. Der ausgeschlossen und gemobbt wurde. Doch wenn er zu Hause war, hatte selbst dieser Schüler seine Ruhe. Heute gehe das Mobbing in von Schülern eingerichteten geschlossenen WhatsApp-Gruppen weiter. Etwa so: „Die Jessica hat wieder nicht geduscht.“
Es ist nur ein – echtes – Beispiel von vielen für ein Thema, das in seinen zahlreichen Erscheinungsformen jeden angeht: Hass im Netz. Es ist das Thema der 15. Augsburger Mediengespräche, die gestern Abend von der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM) in Zusammenarbeit mit den Augsburger Hörfunk- und Fernsehsendern sowie der Stadt Augsburg im Rathaus veranstaltet wurden. Thema auch: „Was wir gegen Beleidigungen und Hetze tun können.“Sich wegducken? Ignorieren? Reagieren? Aber wie? Gar Strafanzeige erstatten?
Viele Fragen. Und jede Menge Antworten. Beispielsweise diese von BLM-Präsident Siegfried Schneider, der sagt: „Das Internet braucht die Zivilcourage der Nutzer.“Eine unmissverständliche Aufforderung zur Gegenrede also. Ansonsten, so ergänzt Eva Weber, Bürgermeisterin der Stadt Augsburg, könne Gewalt salonfähig werden. Eine Ge- fahr, vor der Thomas-Gabriel Rüdiger eindringlich warnt. Er ist Cyberkriminologe am Institut für Polizeiwissenschaft der Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg. Und kennt die hässlichen Seiten der (digitalen) Welt. Der Hass aus dem Netz ist aus seiner Sicht in der Gesellschaft angekommen.
Denn: Wer im Netz die Erfahrung mache, er könne ungestraft tun, was er wolle, übertrage das eben in die Realität. Rüdiger, der Kriminologe, spricht von einer „fundamentalen Schwäche“des Rechtsstaats im digitalen Raum – ein erschütternder Befund.
Dass sich der Hass im Netz und den sozialen Netzwerken zu einem großen Problem ausgewachsen hat, ist keine neue Erkenntnis mehr und Konsens bei den Augsburger Mediengesprächen. Wie man mit ihm umgehen sollte, ist aber umstritten. So meint Ronja von Rönne: Humor hilft. Oder: den Laptop zuklappen. Sie erlebte bereits einige Shitstorms, zuletzt nach ihrer Moderation der TV-Sendung „Der Politikercheck“im Bundestagswahlkampf. Der Vorwurf: Sie habe weniger moderiert als agitiert. Ihr Panzer sei dicker geworden, sie stehe drüber. „Man muss aufhören, solche Leute ernst zu nehmen“, meint sie. Die Pöbler einfach ignorieren?
Für Stefan Glaser von jugendschutz.net eine „gefährliche Haltung“. Er beobachtet seit 2010 eine massive Zunahme von Hasskommentaren auf Facebook oder Twitter, inzwischen gebe es Kommentare, die von 150000 Menschen gesehen und geteilt werden. Seine Antwort: Man müsse Kinder und Jugendliche stark machen – was ihr Selbstvertrauen angeht und ebenso ihre Medienkompetenz.
Gertrud Nigg-Klee vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband im Bezirk Schwaben nickt da zustimmend. Sie kennt das Problem mit den WhatsApp-Gruppen, mit Bewertungsportalen wie „Hot or Not“; erzählt von einem Schüler, der in die Klasse kam und sagte, er wolle sich umbringen. Wegen einer überhöhten Telefonrechnung.
Wie der schwäbische Medienstaatssekretär Franz Josef Pschierer meint sie, das Problem lasse sich nicht durch mehr Richter oder Staatsanwälte in den Griff bekommen. Wie Pschierer fordert sie, dass „wesentlich mehr in Ausbildung und Fortbildung für Lehrer in Sachen Medienkompetenz passieren“müsse. Und wie Pschierer denkt sie, dass es dazu kein eigenes Schulfach brauche. Aber verbindliche Vorgaben in den Lehrplänen.
Was tun gegen den „Hass im Netz“? Ingrid Brodnig, die ein gleichnamiges Buch verfasst hat, sagt, es helfe bereits, unter einen Hasskommentar zu schreiben: „Ich finde es nicht in Ordnung, wie hier diskutiert wird.“Das sei zumindest ein Anfang. Die perfekte Antwort gebe es nicht. Und das ist eine gute Zusammenfassung der Debatte um Hass im Netz, in Augsburg wie bundesweit. Sie steht noch am Anfang.