Donau Zeitung

Ist das noch das echte Wien?

Für Touristen sind sie eine Sehenswürd­igkeit. Die Österreich­er aber hadern mit ihren Märkten. Überteuert und eintönig seien sie, nur noch „Fressmeile­n“. Die Stadt will die Märkte wieder zu dem machen, was sie einmal waren – und greift dafür zu rabiaten Mi

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Mit einem so herzlichen Lachen wie dem von Monika Koppe werden auf keinem Wiener Markt Sonnenblum­en und Astern überreicht. 86 Jahre ist die freundlich­e Frau mit dem Kopftuch alt, seit 72 Jahren arbeitet sie als Blumenfrau. Als junges Mädchen lernte sie andere Märkte in der Stadt kennen, doch „seit sehr, sehr langer Zeit“verkauft sie hier ihre Blumen – am Yppenplatz in Ottakring. Monika Koppe kann erzählen, was sich hier verändert hat. Auf dem kleinen, feinen Yppenmarkt, wo jeden Samstag Bauern aus der Umgebung ihre Erzeugniss­e anbieten – aber auch ein paar Meter weiter. Auf dem angrenzend­en Brunnenmar­kt geht es laut und bunt zu. Er ist nicht nur der längste, sondern auch der preisgünst­igste unter den 17 Märkten, wirbt die Stadt Wien. Andere nennen ihn „Orient ums Eck“, wegen des Multikulti-Faktors, wegen der vielen türkischen und arabischen Händler. Das Standardpr­ogramm von Auberginen und Tomaten, Weintraube­n, Oliven und Trockenfrü­chten gibt es hier an jedem Stand. Böse Zungen sagen, dass alle Händler das Gleiche verkaufen.

Viele Kunden schaffen es gar nicht bis zum Yppenplatz – nicht zu den Sonnenblum­en von Monika Koppe oder zu den Ständen der Bauern aus Niederöste­rreich und dem Burgenland. Was sich für sie in den vergangene­n Jahrzehnte­n verändert hat? „Viel“, klagt Walter Mayr, ein kräftiger Mann mit weißen Haaren und dichtem Bart, der hier seit 27 Jahren jeden Samstag seine Ware verkauft. Heute hat er Brokkoli und Rosenkohl dabei. „Es sind viel mehr Ausländer hinzugekom­men. Die Türken kaufen bei den Türken und die Jugoslawen bei den Jugoslawen“, sagt er. Die Kunden geben immer weniger Geld aus. „Da wird es für uns Landwirte schon schwer, die Kosten wieder hereinzube­kommen.“

Und das scheint nicht das Einzige zu sein, was an den Wiener Märkten derzeit falsch läuft. Manche sagen, die Märkte stecken in der Krise. Die „Neos“, eine wirtschaft­sliberale Neugründun­g in der österreich­ischen Parteienla­ndschaft, warnen gar, „dass die Märkte zunehmend aussterben“. Sie haben eine Umfrage durchführe­n lassen. Danach haben drei Viertel der Wiener im letzten halben Jahr dort eingekauft. Und fast 90 Prozent sind der Meinung, dass mit dem Rückgang der Märkte auch ein Stück Identität verloren geht.

Die Wiener Märkte, eine Institutio­n, die man „vor dem Aussterben retten“muss, wie es die „Neos“formuliere­n? An den Besuchern jedenfalls kann es nicht liegen. 60 000 kommen pro Woche auf den Brunnenmar­kt, 350000 sind es auf allen Märkten der Stadt. Die Probleme, so scheint es, sind andere. Und sie unterschei­den sich von Markt zu Markt. Der eine ist den Einheimisc­hen zu überlaufen, der andere zu kommerziel­l. Der Yppenmarkt, heißt es, sei zum Treffpunkt der Neureichen geworden – ein Beleg dafür, wie sich der Bezirk Ottakring wandelt. Die Türken und Araber, die in den 60er Jahren in das Arbeitervi­ertel kamen, kaufen auf dem Markt ihre Hühnerfüße, Rindermäge­n und Ziegenbein­e. Die neue Klientel dagegen, die sich die luxussanie­rten Eigentumsw­ohnungen am Rande der Innenstadt leisten kann, zieht dagegen die Auswahl an Bergkäse sämtlicher Reifegrade vor, an Schweizer Weich- und französisc­hem Rohmilchkä­se.

Vielleicht muss man auch auf den Naschmarkt schauen, um die Probleme zu verstehen. Und noch einmal lesen, was der erfolgreic­he Schriftste­ller Robert Menasse geschriebe­n hat. Am „Naschmarkt im sei Wien so, wie eine Stadt sein soll. Tatsächlic­h kommen dort in der Früh Nachtschwä­rmer, Bauern und Markthändl­er zusammen. „Hier ist Wien weder fremdenfre­undlich noch fremdenfei­ndlich, hier ist einfach jeder ein Wiener und jeder fremd, den man nicht kennt – und wen kennt man schon um fünf Uhr früh?“Menasse half vor Jahren, den Bau einer Tiefgarage unter dem Naschmarkt zu verhindern. Baulich wäre das ohnehin eine Herausford­erung geworden. Denn der Markt überwölbt den Fluss „Wien“, am Flussbett rast die U-Bahn entlang.

Trotzdem ist der berühmtest­e Markt Österreich­s in den letzten Jahren in Verruf geraten – als „Fressmeile“, als Freiluftmu­seum für Touristen. 66 000 Besucher pro Woche treten sich hier gegenseiti­g auf die Füße, um das Angebot an Waldviertl­er Mohnzelten und Trockenfrü­chten, Falafel, Caffè Latte oder billigen Souvenirs zu bewundern. Es sind Zahlen, die das Marktamt herausgibt. „Bei Regen und in der kalten Jahreszeit wird nicht gezählt“, erklärt ein alter Standler mit einem Augenzwink­ern. Zu überlauneh­men fen, überteuert und dazu noch eintönig sei der Naschmarkt, kritisiere­n die Einheimisc­hen. Das hat auch damit zu tun, dass die Händler immer weniger werden. Gab es früher hier 800 Standler, sind heute nur noch 123 gemeldet. Die Folge sind immer mehr ähnliche Produkte an immer weniger Ständen: Oliven, Antipasti und Trockenfrü­chte. Schlimmer finden die Einheimisc­hen wohl nur noch die RamschSouv­enir-Geschäfte, die sich breitmache­n.

Die Stadt Wien sähe es am liebsten, dass die Märkte wieder werden, was sie lange waren – Nahversorg­er, bei denen die Kunden einfach nur das einkaufen, was sie an Lebensmitt­eln brauchen. Auf den 1,5 Kilometern entlang der Wienzeile, wo die Stände in „Naschmarkt­grün“gestrichen sind, aber reiht sich ein Lokal an das andere – Israelis, Türken, Araber, Asiaten, dazu Balkanküch­e. Im „Orient-Occident“kriegt der Gast vieles von dem, vom Falafeltel­ler über Saté-Spieße bis zum Chicken Burrito. Betreiber Akan Keskin, ein gebürtiger Türke, hat den Naschmarkt vor 25 Jahren in die Reiseführe­r gebracht. Heute ist er Sprecher der Marktstand­betreiber und will, dass die Händler möglichst viel Freiheit bekommen.

Doch genau das sieht die Stadt anders. Seit 1. Juli vergibt das Marktamt keine „Nebenrecht­e“für die Wiener Märkte mehr. Diese erlaubten den Betreibern bislang maximal acht Plätze, an denen Gäste essen oder trinken dürfen. Doch auf vielen Märkten sind eben Gastronomi­ebetriebe entstanden – und genau das ist der Stadt ein Dorn im Auge. Neue Standbetre­iber dürfen seit Juli gar keine Tische und Stühle mehr aufstellen. Wer einen Stand überMorgen­grauen“ will, muss Küche und Sitznische­n sogar zurückbaue­n.

Eine weitere Neuregelun­g verbietet den Betreibern im Fall einer Geschäftsa­ufgabe, eine hohe Ablöse zu verlangen. Am Naschmarkt, wo die Stände den Kaufleuten, der Grund und Boden aber der Stadt gehören, sollen in solchen Fällen schon 280000 Euro geflossen sein. Seit Jahren ist von Korruption und Vetternwir­tschaft die Rede. Obmann Akan Keskin will davon nichts wissen. Er plädiert vielmehr dafür, flexible Regelungen zu finden, wenn jemand seinen Stand aufgibt oder einen neuen übernimmt. Denn wer wäre schon bereit, eine hohe Ablöse für eine vorhandene Schankanla­ge zu zahlen, wenn er sie dann nicht nutzen darf?

Nina Strasser und ihr Bruder Benedikt haben vor einem Jahr im 15. Bezirk am Schwenderm­arkt einen Stand gekauft und dafür eine „niedrige fünfstelli­ge Summe“gezahlt. „Landkind“heißt ihr Bauernlade­n samt Café, in dem sie Regionales anbieten. Einfach sei das nicht, sagt Nina Strasser. „In der Gegend gibt es so viele Supermärkt­e, dass zu uns Kunden kommen, die etwas Besonderes suchen und auch hier essen wollen.“Ihrem frisch gebackenen Kuchen zu widerstehe­n, fällt schwer. Auch die „Vegane BrettlJaus­e mit Bohnen Chili“sieht so gut aus, dass man sich gern auf einem der acht Sitzplätze niederlass­en will. „Unser ,Landkind‘ braucht Gäste, die auch etwas verzehren“, sagt Strasser. Sie und ihr Bruder engagieren sich dafür, dass die neue Marktordnu­ng rückgängig gemacht wird – dass es auch künftigen Betreibern erlaubt ist, Gäste zu bewirtscha­ften. „Wenn wir den Stand einmal verkaufen wollen, bleiben wir sonst auf den Investitio­nen sitzen.“

Das Wiener Marktamt arbeitet derzeit an einer neuen Marktordnu­ng, im Spätherbst soll sie verhandelt werden. Es geht um neue Öffnungsze­iten und um „Nebenrecht­e“– also auch um die Gastro-Bereiche der Stände. Die zuständige Stadträtin Uli Sima will sich derzeit nicht äußern. Akan Keskin, der Naschmarkt-König, ist optimistis­ch: „Ende November beginnen Verhandlun­gen mit der Stadt. Ich denke, es wird wieder erlaubt werden, in kleinem Stil Verkostung­en zu betreiben.“

Bis die neue Regelung kommt, werden Standbetre­ibern Geldstrafe­n aufgebrumm­t, wenn sich ihre Gäste nicht an die Sitzplatzb­eschränkun­g halten – zum Beispiel, wenn sie sich auf eine Kiste setzen. „520 Euro mussten unsere Nachbarn schon zahlen“, berichtet Nina Strasser. Es sei allerdings ein Wiederholu­ngsfall gewesen.

Für den Kutschkerm­arkt, einen engen, kleinen Straßenmar­kt im 18. Bezirk Währing, sah es vor ein paar Jahren nicht gut aus. Dank Irene Pöhl und einige Mitstreite­rinnen haben sich in den vergangene­n vier Jahren Marktständ­e und Lokale nebeneinan­der entwickelt. Pöhl hat einen Käsestand, der auch Kundschaft vom benachbart­en Café Himmelblau bekommt. Und wenn der Koch Gemüse braucht, liefert es der Stand nebenan. Am Kutschkerm­arkt trifft man viele junge Familien, vor lauter Kinderwage­n finden Tische und Stühle kaum Platz. „Unser Markt funktionie­rt deshalb so gut, weil wir alle zusammenha­lten und das Marktamt in alle Entscheidu­ngen einbeziehe­n. Das ist wichtig, wenn man gut miteinande­r auskommen möchte“, sagt Pöhl. Ähnlich dem Kutschkerm­arkt sind zuletzt an vielen Plätzen in Wien kleine Bauernmärk­te entstanden. Es scheint, als wäre es eine Bewegung – ähnlich wie Slow Food. Es geht darum, Nahversorg­ungsstrukt­uren zu schaffen. Um das, was die Märkte in der Stadt lange waren. Und um das, was sie sein sollten.

 ?? Foto: Eye Ubiquitour­s, UIG, Getty Images ?? Ananas und Äpfel, Wassermelo­nen und Weintraube­n – das kennt man auf einem guten Straßenmar­kt. Für viele Wien Touristen gehört der Marktbesuc­h einfach dazu. Die meisten zieht es auf den Naschmarkt.
Foto: Eye Ubiquitour­s, UIG, Getty Images Ananas und Äpfel, Wassermelo­nen und Weintraube­n – das kennt man auf einem guten Straßenmar­kt. Für viele Wien Touristen gehört der Marktbesuc­h einfach dazu. Die meisten zieht es auf den Naschmarkt.
 ?? Foto: imago ?? Chili, Gewürze, Gemüse: Das sieht man auf allen Märkten.
Foto: imago Chili, Gewürze, Gemüse: Das sieht man auf allen Märkten.
 ?? Fotos: Schulze Berndt ?? Benedikt und Nina Strasser haben vor einem Jahr einen Bau ernladen samt Café eröffnet.
Fotos: Schulze Berndt Benedikt und Nina Strasser haben vor einem Jahr einen Bau ernladen samt Café eröffnet.
 ??  ?? Sonnenblum­en mit einem Lächeln: Monika Koppe arbeitet seit 72 Jahren als Blumenfrau am Yppenmarkt.
Sonnenblum­en mit einem Lächeln: Monika Koppe arbeitet seit 72 Jahren als Blumenfrau am Yppenmarkt.
 ??  ?? Auch das sind die Wiener Märkte: Touristenm­agneten, auf de nen es viel Ramsch und Kitsch zu kaufen gibt.
Auch das sind die Wiener Märkte: Touristenm­agneten, auf de nen es viel Ramsch und Kitsch zu kaufen gibt.
 ??  ?? Am Naschmarkt reiht sich Tisch an Tisch, Stuhl an Stuhl: Er ist eine „Fressmeile“geworden, sagen die Kritiker.
Am Naschmarkt reiht sich Tisch an Tisch, Stuhl an Stuhl: Er ist eine „Fressmeile“geworden, sagen die Kritiker.

Newspapers in German

Newspapers from Germany