Die Nacht der Taktiker
Heute muss eine Entscheidung fallen. Tief in der Nacht werden die Parteichefs ein Paket für ein Bündnis schnüren. Doch ihre Ausgangslagen könnten unterschiedlicher nicht sein
Berlin Ob eine Jamaika-Koalition zustande kommt oder nicht, ist vor der alles entscheidenden „Nacht der langen Messer“völlig offen. Die Entscheidung, das gehört zum Ritual, fällt nicht in der großen Runde, sondern tief in der Nacht auf morgen im kleinen Kreis der acht Verhandlungsführer. Wenn alle Argumente ausgetauscht sind, werden sie sich zurückziehen, um ein großes Kompromisspaket zu schnüren. Wer verfolgt dabei welche Taktik?
Angela Merkel/Peter Altmaier (CDU) Viel hat die Bundeskanzlerin in ihrer zwölfjährigen Amtszeit schon erlebt, an Erfahrung mit nächtlichen Krisensitzungen ist sie allen anderen haushoch überlegen. Doch dieses Mal geht es für sie um ihre eigene Zukunft. Weil sie Jamaika dringend braucht, dürfte sie zu weitreichenden Kompromissen bereit sein, in den bisherigen Gesprächen hat sie sich inhaltlich nie festgelegt, was ihr im Finale einen Verhandlungsspielraum gibt. Ginge es einzig nach ihr und ihrem Chefunterhändler Peter Altmaier, wäre man in den meisten strittigen Themen mit den Grünen längst handelseinig, Schwarz-Grün war im Grunde längst vorbereitet. Doch die CDU-Chefin muss auch Rücksicht auf die CSU und die FDP nehmen, die ebenfalls Erfolge vor- weisen müssen. So sind Merkels Fähigkeiten als Moderatorin und Vermittlerin gefragt, um die Differenzen im Einzelgespräch, dem sogenannten Beichtstuhlverfahren, so weit herunterzudimmen, dass sie nicht mehr unüberbrückbar sind. Der CDU reicht das Minimalziel, das mittlerweile fast schon das Maximalziel darstellt: Jamaika muss kommen, damit Merkel Kanzlerin bleibt und die Union auch die nächste Regierung stellt.
Horst Seehofer/Alexander Dobrindt (CSU) Wären die Schwesterparteien wirkliche Schwestern, würden sie in den Sondierungen gemeinsam an einem Strick ziehen, geschlossen auftreten und den Kleinen mit einer abgestimmten Position gegenübertreten. Doch zwischen CDU und CSU liegen mittlerweile Welten in der inhaltlichen Ausrichtung. Bei den Sondierungen zeigt sich immer wieder, wie brüchig der im Wahlkampf mühsam geschlossene Burgfrieden ist. Gemeinsam kämpfen CSU und FDP gegen zu viel Grün in der Koalition und gegen eine schwarz-grüne Dominanz. Gleichzeitig strahlt der in München ausgetragene innerparteiliche Machtkampf um die Nachfolge von Horst Seehofer bis nach Berlin. In der CSU führt Landesgruppenchef Alexander Dobrindt das große Wort und präsentiert sich als der neue starke Mann, Seehofer lässt ihn gewähren. Dabei braucht auch Seehofer einen Erfolg, mit leeren Händen kann er nicht nach München kommen. Am Ende dürfte Jamaika an der CSU allerdings nicht scheitern – wenn die weiß-blaue Staatspartei eines weder kann noch will, dann ist dies Opposition.
Christian Lindner/Wolfgang Kubicki (FDP) Es wäre die Krönung seiner Arbeit an der Spitze der FDP: Nachdem Christian Lindner die Liberalen, die nach dem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde vor vier Jahren am Boden lagen, wieder in den Bundestag geführt hat, hätte er sie auf Anhieb auch wieder zur Regierungspartei gemacht. Doch der FDP-Chef, der stets gemeinsam mit seinem Stellvertreter Wolfgang Kubicki auftritt, stapelt tief und gibt sich gelassen. Die FDP müsse nicht um jeden Preis regieren, sagt er bei jeder sich bietenden Gelegenheit, sie könne auch Opposition und habe keine Angst vor Neuwahlen. Tatsächlich fürchtet Lindner, dass seine Liberalen nur zum Anhängsel einer schwarz-grünen Regierung werden könnten und seine Partei, wie in der Koalition mit der Union zwischen 2009 und 2013, von Angela Merkel an den Rand gedrängt und nicht ernst genommen werde. Dieses Trauma sitzt bei den Liberalen tief. Ob der smarte FDP-Chef allerdings das Risiko auf sich nimmt, in der Stunde der Entscheidung die Verantwortung für das Scheitern der Sondierung auf sich zu nehmen, darf bezweifelt werden.
Cem Özdemir/Katrin Göring Eckardt (Grüne) Die Angst der Liberalen haben auch die Grünen. Auch in der Öko-Partei ist die Sorge groß, in einer Jamaika-Koalition von Union und FDP marginalisiert zu werden und nur als Mehrheitsbeschaffer dienen zu müssen, ohne inhaltlich Akzente setzen zu können. Um das zu verhindern, pochen die beiden Spitzenkandidaten darauf, dass alle Fragen möglichst exakt geregelt werden, um mögliche Auseinandersetzungen zu verhindern. Das aber geht vor allem der Union zu weit. Auch wenn der Führungsanspruch der beiden „Realos“Özdemir und Göring-Eckardt von niemandem in der Partei bestritten wird, achten doch die „Fundis“, angeführt von Jürgen Trittin, sorgsam darauf, dass ur-grüne Positionen in der Asylund Umweltpolitik nicht auf dem Altar der Koalition geopfert werden. Das schränkt den Spielraum der Verhandlungsführer ein. Zudem muss ein Parteitag dem Sondierungsergebnis zustimmen. Das wiederum erhöht den Druck auf Union und FDP. Denn sollte die grüne Basis am 25. November den Daumen senken, war alles umsonst.