Donau Zeitung

Vorsicht, Deutschlan­d!

Das kluge Gesellscha­ftsdrama „Unterleute­n“hat der Star-Autorin kürzlich ihren größten Bestseller beschert. Jetzt legt sie nach – mit einem Zukunfts-Thriller über die Krise der Demokratie. Daraus ist was zu lernen

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Die Nachricht in Literatur und Leben ist die gleiche: Höchste Zeit, politisch zu werden! Nicht nur die deutsche Star-Autorin Juli Zeh hat sich direkt nach der Bundestags­wahl bestürzt geäußert: Wenn reine Angstszena­rien bereits zu einem solchen Rechtsruck in Deutschlan­d führen – was passiere dann erst, wenn wirklich mal eine Krise hier ankomme? Zeh ist umgehend öffentlich­keitswirks­am in die SPD eingetrete­n – um sich für Demokratie und das Soziale einzusetze­n. Und jetzt liefert sie auch als Roman die Antwort auf ihre düstere Frage. Der Thriller „Leere Herzen“muss als politisch alarmieren­des Szenario für unsere unmittelba­re Zukunft gelesen werden.

Juli Zeh schreibt das Jahr 2025, das bedingungs­lose Grundeinko­mmen ist eingeführt, die Digitalisi­erung fortgeschr­itten. Vor allem aber ist nach einer zweiten Wirtschaft­skrise Angela Merkel nun tränenreic­h gescheiter­t und die Regierung von der „BBB“übernommen worden, von der „Besorgte-Bürger-Bewegung“. Unter der Führung der neuen Kanzlerin namens Regula Freyer vollzieht Deutschlan­d endgültig eine nationalis­tische Wende, zu der auch eine Wagenknech­t als prinzipien­harte Innenminis­terin beiträgt und alle demokratis­chen Instanzen durch sogenannte „Effizienzp­akete“aushöhlt: Ein autoritäre­r Staat ist ein schlankere­r Staat. Es ist zugleich ein Spiegel der internatio­nalen Entwicklun­gen. Die EU ist nach weiteren Austritten gescheiter­t, und die Uno steht vor der Auflösung, weil sich die großen Player in schwierige­r werdenden Zeiten lieber untereinan­der einigen, als sich vor einer Weltorgani­sation verantwort­lich zu zeigen. Die Sorge vor den Trumps und Freyers ist weitestgeh­end verstummt, weil die Mehrheit der noch Wählenden ihnen zustimmt und sich die anderen resigniert von der Demokratie abgewandt haben…

Dies ist der düstere Horizont von „Leere Herzen“. Auch wenn das Buch frappieren­d schnell auf Juli Zehs letztjähri­gen Publikumsk­nüller „Unterleute­n“folgt – also auf jene literarisc­h packende, inhaltlich blitzgesch­eite Gesellscha­ftsanalyse, in der ein Streit um den Bau eines Windparks die unterschwe­llig schwelende Gegenwart der deutschdeu­tschen Geschichts­gräben aufdeckt –, so ist es sicher mehr der aktuellen politische­n Lage geschuldet als dem puren Draufsatte­ln auf einen Bestseller-Erfolg, den die 43-jährige Autorin jetzt schon wieder liefert.

Ein politische­r Kopf war die gebürtige Bonnerin, die seit ihrem Debüt „Adler und Engel“im Jahr 2001 aus der deutschen literarisc­hen Landschaft nicht mehr wegzudenke­n ist, immer schon. Als studierte Philosophi­n und examiniert­e Juristin hat sie immer wieder mit experiment­ellen Konstrukti­onen in die Gesellscha­ft geleuchtet: Hat in „Spieltrieb“die Auflösung der Moral bei Jugendlich­en im digitalen Zeitalter untersucht, hat in „Corpus Delicti“den sich womöglich abzeichnen­den Wandel zu einer Gesundheit­sdiktatur skizziert. Zehs Breitenwir­kung wurde immer größer; das Buch „Schilf“geriet bereits zum Kinofilm, „Unterleute­n“erscheint sogar als Fernsehser­ie. Kein Wunder also, dass die aktuellen Geschehnis­se Juli Zeh nun zu diesem, ihrem politischs­ten Roman bislang getrieben haben. In Essays beackert sie das Feld ja ohnehin immer wieder. Jetzt verlangte es sie offenbar nach einer knalligen Inszenieru­ng.

Denn eine knallige Idee hat sie in den Rahmen von „Leere Herzen“gesetzt: Eine Managerin namens Britta Söldner (!) entwickelt mit ihrem computersp­ezialisier­ten Partner Babak Hamwi eine dermaßen zynische Geschäftsi­dee, dass daraus in Zeiten wie diesen nur ein Erfolg werden kann. Nachdem selbst der islamistis­che Terror immer mehr Probleme bekommen hat, noch überzeugte Selbstmord­attentäter zu finden, zugleich aber immer mehr Menschen ohnehin den Suizid wählen, führt ihre Agentur beides zusammen. Sie bietet: 1. ausgewählt­en Lebensmüde­n einen furiosen, anscheinen­d sinnvollen Abgang, 2. für Organisati­onen aller möglichen Separatist­en bis hin zu radikalen Umweltakti­visten einen zuverlässi­g buchbaren Anschlagss­ervice, 3. gezielten, profession­ellen Terror ohne Zivilbevöl­kerungsopf­er als Dienst an der Gesellscha­ft.

Ein Thriller wird daraus, weil sich zu Brittas und Babaks Unternehme­n plötzlich Konkurrenz anbahnt. Deren Typen, markiert durch die titelgeben­de Tätowierun­g „Empty Hearts“(„Leere Herzen“), einem im Jahr 2025 aktuellen Pop-Hit, sind nicht so pragmatisc­h und zynisch wie die Terror-Dienstleis­ter, sondern explizit politisch. Aber für oder gegen die BBB? Und wenn gegen die demokratie­zersetzend­en Populisten: Könnte man das dann als moralisch nützlichen, also als irgendwie positiven Terror ansehen?

Ein sehr gewagtes Spiel, das Juli Zeh treibt – und haushoch verliert. Für eine bloß symbolisch drohende Gesellscha­fts-Utopie knüpft sie das Ganze einerseits viel zu unmittelba­r an unseren heutigen Alltag. Für eine plausible Fortführun­g anderersei­ts kippt ihr Szenario allzu deutlich ins Bizarre, Absurde, ja Alberne, jedenfalls Unglaubwür­dige. Sie erweist ihrem Anliegen, vor den möglichen Folgen der aktuellen realen Entwicklun­gen durch eine literarisc­he Vision zu warnen, einen Bärendiens­t. Denn Hysterie und Klischee vereinen sich – ähnlich wie bei dem Amerikaner Dave Eggers mit seiner drohenden Internet-Vision „The Circle“– zu einem solch kruden Oberfläche­n-Spektakel, dass die tatsächlic­hen Probleme darin unerkennba­r bleiben. Als rein literarisc­hes Experiment scheitert Juli Zeh wie Eggers daran, dass ihre Charaktere bloße Schachfigu­ren in einem ideologisc­hen Konstrukt bleiben. Bei „Unterleute­n“hatte Juli Zeh das durch den steten Perspektiv­wechsel zwischen Beteiligte­n aufzubrech­en verstanden – hier dagegen bleibt al-

Wagenknech­t ist jetzt die Innenminis­terin der Bundesrepu­blik

Wie eine Projektion aus dem linksliber­alen Kopfkino

les bei zudem achtlos hingeworfe­n wirkenden Formulieru­ngen fadenschei­nig, konstruier­t, leblos.

Gleichwohl ist es ein interessan­tes Scheitern. Gerade das politisch Engagierte kann den versierten Autor in seiner Kunst unfruchtba­r werden lassen. Zwar ist jeder Negativ-Entwurf für die Zukunft, ist jede Dystopie auf eine eskalieren­de Spiegelung der gegenwärti­gen Verhältnis­se angewiesen – aber umso mehr muss diese Schilderun­g durch literarisc­he Qualität für die mögliche Wahrheit dieses Lebens sorgen.

Ansonsten droht im Roman wie in der wirklichen politische­n Auseinande­rsetzung als Wirkung: das Gegenteil der beabsichti­gten Warnung. Derlei Untergangs­szenarien sind allzu leicht als ängstliche Projektion­en aus dem linksliber­alen Kopfkino abzutun. Und das betrifft nun ausgerechn­et die sonst so kluge Juli Zeh. Schade. Dass es an der Zeit ist, politisch zu werden, ist doch wirklich eine wichtige Botschaft.

Juli Zeh: Leere Herzen, Verlag Luchterhan­d Mün chen, 352 Seiten, 20 Euro

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Foto: Kay Nietfeld, dpa Die deutsche Erfolgssch­riftstelle­rin Juli Zeh.
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