Aufstieg durch Bildung muss weiter möglich sein
In keinem Industrieland entscheidet die soziale Herkunft so stark über den Schulabschluss wie in Deutschland. Aber seit dem Pisa-Schock hat sich etwas getan
Die Spitze könnte breiter kaum sein. Der Ansturm auf die deutschen Universitäten und Hochschulen hält unverändert an, die Zahl der Studentinnen und Studenten erreicht jedes Semester einen neuen Höchststand. 2,847 Millionen Studierende sind in diesem Wintersemester immatrikuliert, das sind 40000 mehr als vor einem Jahr und fast 150000 mehr als vor drei Jahren. Um ihre Zukunft müssen sie sich wenig Sorgen machen – Bildung ist noch immer das beste Mittel gegen Arbeitslosigkeit.
Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die Kehrseite: Die Akademiker bleiben unter sich. Von 100 Kindern aus Akademikerfamilien studieren wiederum 77, von 100 Kindern aus Arbeiter- und Facharbeiterfamilien hingegen nur 23. Für Kinder, die aus einem sozial schwachen oder bildungsfernen Elternhaus kommen, ist die Aussicht, einmal studieren zu dürfen und somit den gesellschaftlichen Aufstieg durch Bildung zu schaffen, in etwa so realistisch wie ein Lottogewinn. Die Chancengerechtigkeit endet auf dem Campus: Die einen gehören dazu, die anderen nicht, oben bleibt oben und schließt sich nach unten ab.
Immerhin, die Zeiten, in denen die schwachen Kinder schon in der Grundschule aussortiert wurden, sind vorbei. Sie werden zum Teil mit großem Aufwand gezielt gefördert, zumal die Politik erkannt hat, dass die Zahl der Schulabbrecher ohne Abschluss mit fast sechs Prozent nicht nur viel zu hoch ist, sondern in den vergangenen Jahren auch wieder gestiegen ist. 2013 lag die Quote noch bei 5,6 Prozent.
In einer hoch technisierten Arbeitswelt, in der immer mehr Anforderungen an die Beschäftigten gestellt werden, ist das die denkbar schlechteste Ausgangsposition. Ein Teufelskreis: ohne Abschluss keine Ausbildung, ohne Ausbildung kein Job, ohne Job kein Auskommen.
An Baustellen herrscht in der Bildungspolitik also kein Mangel. Aber es gibt auch Erfolge. Nach einer aktuellen Studie der OECD haben die Kinder aus benachteiligten Elternhäusern erhebliche Fortschritte erzielt und schneiden heute bei den gefürchteten PisaTests deutlich erfolgreicher ab als noch vor zehn Jahren. Waren 2006 gerade einmal 25 Prozent in der Lage, ordentliche Lese-, Rechenund Schreibfähigkeiten vorzuweisen, sind es heute bereits 32,3 Prozent. Damit liegt Deutschland zwar noch immer unter dem Durchschnitt der OECD-Staaten, doch der Aufwärtstrend scheint nachhaltig und langfristig zu sein.
Es ist der Mix an Maßnahmen, der mittlerweile wirkt: Frühkindliche Förderung in den Kindergärten, Zusammenführung von Haupt- und Realschulen und flächendeckender Ausbau der Ganztagesbetreuung mit einem entsprechenden Angebot kommen denen zugute, die die Förderung am dringendsten benötigen. Vor allem aber zeigt sich, dass stabile Verhältnisse an den Schulen mit geringer Fluktuation bei den Lehrkräften, einem klaren Führungsstil der Schulleitung, motivierten Lehrkräften, gemeinsamer Unterrichtung von starken und schwachen Schülern und enger Zusammenarbeit von Lehrern, Eltern und Kindern ein positives Lernklima erzeugen. In dem fühlen sich die Kinder wohl und bringen auch Leistung.
Nicht jeder Schüler muss auf die Uni gehen. Aber jeder Schüler hat einen Anspruch darauf, so gefördert zu werden, dass er einen Abschluss schafft. Für seine soziale Herkunft kann kein Kind etwas. Aber in einer wirklich offenen Gesellschaft, in der auch in Zukunft sozialer Aufstieg durch Bildung möglich sein muss, darf niemand nur wegen seiner Herkunft benachteiligt werden. Dabei spielt die Schule eine entscheidende Rolle – hier werden die Weichen fürs Leben gestellt.
Jedes Kind sollte einen Abschluss schaffen