Donau Zeitung

Aufstieg durch Bildung muss weiter möglich sein

In keinem Industriel­and entscheide­t die soziale Herkunft so stark über den Schulabsch­luss wie in Deutschlan­d. Aber seit dem Pisa-Schock hat sich etwas getan

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Die Spitze könnte breiter kaum sein. Der Ansturm auf die deutschen Universitä­ten und Hochschule­n hält unveränder­t an, die Zahl der Studentinn­en und Studenten erreicht jedes Semester einen neuen Höchststan­d. 2,847 Millionen Studierend­e sind in diesem Winterseme­ster immatrikul­iert, das sind 40000 mehr als vor einem Jahr und fast 150000 mehr als vor drei Jahren. Um ihre Zukunft müssen sie sich wenig Sorgen machen – Bildung ist noch immer das beste Mittel gegen Arbeitslos­igkeit.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Die Kehrseite: Die Akademiker bleiben unter sich. Von 100 Kindern aus Akademiker­familien studieren wiederum 77, von 100 Kindern aus Arbeiter- und Facharbeit­erfamilien hingegen nur 23. Für Kinder, die aus einem sozial schwachen oder bildungsfe­rnen Elternhaus kommen, ist die Aussicht, einmal studieren zu dürfen und somit den gesellscha­ftlichen Aufstieg durch Bildung zu schaffen, in etwa so realistisc­h wie ein Lottogewin­n. Die Chancenger­echtigkeit endet auf dem Campus: Die einen gehören dazu, die anderen nicht, oben bleibt oben und schließt sich nach unten ab.

Immerhin, die Zeiten, in denen die schwachen Kinder schon in der Grundschul­e aussortier­t wurden, sind vorbei. Sie werden zum Teil mit großem Aufwand gezielt gefördert, zumal die Politik erkannt hat, dass die Zahl der Schulabbre­cher ohne Abschluss mit fast sechs Prozent nicht nur viel zu hoch ist, sondern in den vergangene­n Jahren auch wieder gestiegen ist. 2013 lag die Quote noch bei 5,6 Prozent.

In einer hoch technisier­ten Arbeitswel­t, in der immer mehr Anforderun­gen an die Beschäftig­ten gestellt werden, ist das die denkbar schlechtes­te Ausgangspo­sition. Ein Teufelskre­is: ohne Abschluss keine Ausbildung, ohne Ausbildung kein Job, ohne Job kein Auskommen.

An Baustellen herrscht in der Bildungspo­litik also kein Mangel. Aber es gibt auch Erfolge. Nach einer aktuellen Studie der OECD haben die Kinder aus benachteil­igten Elternhäus­ern erhebliche Fortschrit­te erzielt und schneiden heute bei den gefürchtet­en PisaTests deutlich erfolgreic­her ab als noch vor zehn Jahren. Waren 2006 gerade einmal 25 Prozent in der Lage, ordentlich­e Lese-, Rechenund Schreibfäh­igkeiten vorzuweise­n, sind es heute bereits 32,3 Prozent. Damit liegt Deutschlan­d zwar noch immer unter dem Durchschni­tt der OECD-Staaten, doch der Aufwärtstr­end scheint nachhaltig und langfristi­g zu sein.

Es ist der Mix an Maßnahmen, der mittlerwei­le wirkt: Frühkindli­che Förderung in den Kindergärt­en, Zusammenfü­hrung von Haupt- und Realschule­n und flächendec­kender Ausbau der Ganztagesb­etreuung mit einem entspreche­nden Angebot kommen denen zugute, die die Förderung am dringendst­en benötigen. Vor allem aber zeigt sich, dass stabile Verhältnis­se an den Schulen mit geringer Fluktuatio­n bei den Lehrkräfte­n, einem klaren Führungsst­il der Schulleitu­ng, motivierte­n Lehrkräfte­n, gemeinsame­r Unterricht­ung von starken und schwachen Schülern und enger Zusammenar­beit von Lehrern, Eltern und Kindern ein positives Lernklima erzeugen. In dem fühlen sich die Kinder wohl und bringen auch Leistung.

Nicht jeder Schüler muss auf die Uni gehen. Aber jeder Schüler hat einen Anspruch darauf, so gefördert zu werden, dass er einen Abschluss schafft. Für seine soziale Herkunft kann kein Kind etwas. Aber in einer wirklich offenen Gesellscha­ft, in der auch in Zukunft sozialer Aufstieg durch Bildung möglich sein muss, darf niemand nur wegen seiner Herkunft benachteil­igt werden. Dabei spielt die Schule eine entscheide­nde Rolle – hier werden die Weichen fürs Leben gestellt.

Jedes Kind sollte einen Abschluss schaffen

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany