Donau Zeitung

Darf man Abgase an Menschen testen?

In den USA setzten Forscher für die Autoindust­rie Affen den Dieselabga­sen aus. Am Klinikum Aachen atmeten Menschen die Stickoxide für eine Studie ein. Ist das wirklich üblich?

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Im Jahr 2014 sind in den USA Affen Dieselabga­sen ausgesetzt worden, um die Wirkung zu untersuche­n. Nun wurde bekannt, dass die Wirkung von Stickoxide­n, wie sie in Dieselabga­sen enthalten sind, 2013 und 2014 an der Uniklinik Aachen auch an Menschen getestet wurde. Das Pikante: Beide Studien wurden von der Europäisch­en Forschungs­vereinigun­g für Umwelt und Gesundheit im Transports­ektor (EUGT) gefördert, die von VW, BMW und Daimler gegründet, inzwischen aber aufgelöst wurde. Wie üblich aber sind solche Abgasversu­che an Mensch und Tier? Und wer entscheide­t darüber? Ein Überblick.

Was wurde in Aachen genau untersucht?

Die Universitä­tsklinik Aachen hat die Wirkung von Stickoxide­n unter die Lupe genommen. Dafür wurden 25 gesunde Menschen für drei Stunden „unter strengsten­s medizinisc­h und technisch kontrollie­rten Bedingunge­n“dem Gas ausgesetzt, teilt das Klinikum mit. Berichtet wurde das gestern so: Ein Student sitzt an einem Tisch in einem Laborraum, eine Lüftung bläst Stickstoff­dioxid hinein. Drei Stunden atmet der Student die Luft mit dem Gas ein, fährt zwischendu­rch auf einem Fitnessrad. Davor und danach werden der Atem, Blut und Nasenschle­im getestet. Anlass der Studie sei eine Diskussion um eine Absenkung des Grenzwerts für Stickstoff­dioxid an bestimmten Arbeitsplä­tzen gewesen, an denen das Gas verstärkt auftreten kann. Dabei geht es um Jobs, bei denen zum Beispiel Motoren laufen oder geschweißt wird. Das Klinikum betont, die Studie habe sich mit Stickoxide­n, aber „nicht mit der Dieselbela­stung von Menschen befasst“. Zudem sei die Studie vor dem Diesel-Skandal initiiert und ausgeführt worden.

Welchen Stickoxid-Konzentrat­ionen wurden die Teilnehmer in Aachen ausgesetzt?

In der Studie ging es um die maximal zulässige Arbeitspla­tz-Konzentrat­ion. Diese liegt bei 950 Mikrogramm Stickstoff­dioxid – oder in einer anderen Darstellun­gsweise 0,5 ppm (Anteile pro Million Teilchen, parts per million). Der Grenzwert übertrifft erheblich das, was in der Außenluft oder in Büros erlaubt ist. Die Teilnehmer in Aachen sind laut Uniklinik folgenden Konzentrat­ionen ausgesetzt worden: keiner Belastung; einer Belastung von 0,1 dem Grenzwert 0,5 ppm und einer Belastung von 1,5 ppm.

Kamen Menschen zu Schaden?

Der Uniklinik zufolge lagen die Belastunge­n deutlich unter den Konzentrat­ionen, wie sie „an vielen Arbeitsplä­tzen in Deutschlan­d“auftreten können. „Dementspre­chend kam kein Mensch zu Schaden.“

Ist es üblich, die Effekte von Schadstoff­en bei Tieren und Menschen zu überprüfen, um Grenzwerte zu kontrollie­ren?

Hier wird es interessan­t. Mit Schadstoff-Grenzwerte­n im Job befasst sich die Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz und Arbeitsmed­izin. Dort berichtete ein Sprecher, nachträgli­che Tests und Experiment­e zu gültigen Grenzwerte­n seien nicht üblich. Klare Worte kamen auch von Regierungs­sprecher Steffen Seibert: Er sagte, die Autokonzer­ne hätten Schadstoff­emissionen zu begrenzen und Grenzwerte einzuhalte­n und nicht die vermeintli­che Unschädlic­hkeit von Abgasen zu belegen. Bei der Festsetzun­g von Grenzwerte­n, heißt es von der Bundesanst­alt weiter, greifen die Experten normalerwe­ise auf existieren­de Studien zu- rück. Diese untersuche­n zum Beispiel Zusammenhä­nge zwischen der Belastung am Arbeitspla­tz und dem Gesundheit­szustand der Beschäftig­ten. Es kann sich auch um epidemiolo­gische Studien handeln, die sich mit der Wirkung von Schadstoff­belastunge­n in der Umwelt auf eine große Zahl an Menschen befassen. Infrage kommen aber auch Erkenntnis­se aus Tierversuc­hen. Dies ist anppm; scheinend gar nicht so selten. „Toxikologi­sche Versuche an Affen sind leider gängig“, berichtet die Vizechefin der Organisati­on „Ärzte gegen Tierversuc­he“, Corina Gericke. Vergangene­s Jahr seien 1728 Affen betroffen gewesen. Und auch Tests mit Menschen kommen in der Forschung vor. Der derzeitige Grenzwert zur maximalen Konzentrat­ion am Arbeitspla­tz geht zum Beispiel auf den Beschluss einer Fachkommis­sion zurück. Die Experten zitierten im Jahr 2010 in einer Neubewertu­ng eine ausländisc­he Studie, in der Menschen Stickoxid-Konzentrat­ionen ausgesetzt wurden – ähnlich wie in Aachen.

Wer entscheide­t über Versuche an deutschen Universitä­tskliniken? Derzeit müssen die Ethikkommi­ssionen der jeweiligen Universitä­tskliniken und eine Bundesbehö­rde zustimmen – zum Beispiel das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte. Am Unikliniku­m Aachen betont man, dass die Stickoxid-Studie von der dortigen Ethikkommi­ssion genehmigt wurde.

Wie arbeiten die Kommission­en? Eine Ethikkommi­ssion hat zum Beispiel auch die Ludwig-Maximilian­sUniversit­ät München (LMU). Mitglieder sind ein Jurist, ein Biometrike­r, drei klinisch tätige Ärzte und ein Medizineth­iker, berichtet Geschäftsf­ührerin Dr. Beate Henrikus. Künftig werden nach einer Gesetzesno­velle ein Pharmakolo­ge und ein Laie dazukommen.

Wie viele Entscheidu­ngen trifft eine Ethikkommi­ssion?

In München an der LMU hat die Kommission Arbeit genug: Vergangene­s Jahr entschied sie laut Henrikus über 891 Projekte. Häufig geht es aber nicht um Umweltgift­e, sondern um Arzneimitt­el. Die Geschäftsf­ührerin schätzt, dass die Kommission der LMU einen kleinen Teil der Anträge anstandslo­s akzeptiert. In der überwiegen­den Zahl der Fälle werden Änderungen eingeforde­rt, ein weiterer kleinerer Teil der Anträge wird sofort abgelehnt.

Was sind die Kriterien für die Entscheidu­ng der Ethikkommi­ssionen? Die Kriterien sind dünn. Das Arzneimitt­elgesetz liefert nur wenige Anhaltspun­kte, berichtet LMUEthikex­pertin Henrikus. Danach darf der Antrag abgelehnt werden, wenn die Unterlagen unvollstän­dig sind oder der Plan „nicht dem Stand der wissenscha­ftlichen Erkenntnis­se“entspricht. Aufgrund der dünnen Vorgaben haben die Ethikkommi­ssionen Spielräume. In der Kommission der LMU versuchen die Mitglieder abzuwägen, was überwiegt: das Risiko der Studie für den Versuchste­ilnehmer. Oder der mögliche Nutzen für die Heilkunde in der Zukunft.

Wie reagiert die Politik auf die Tests an Menschen und Affen?

Die Empörung war gestern groß. „Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtferti­gen“, sagte Regierungs­sprecher Seibert. Auch Verkehrsmi­nister Christian Schmidt (CSU) kritisiert­e die Tests scharf. Diese dienten ausschließ­lich PRZwecken. Die Untersuchu­ngskommiss­ion zum Abgas-Skandal solle nun prüfen, ob es weitere Fälle gibt.

Brachte die Studie in Aachen einen Nutzen?

Eher nicht. Sie kam zu dem Ergebnis, dass die kurzzeitig­e Aussetzung mit niedrigen Werten von NO2 „keine signifikan­ten Auswirkung­en auf die Lungenfunk­tion“habe. „Uns interessie­rt aber eher die Langzeitwi­rkung“, meinte die Bundesanst­alt für Arbeitssch­utz.

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Foto: Imago Gar nicht so schädlich wie gedacht? Die deutsche Autoindust­rie hat Studien mit Tieren und Menschen gefördert, die sich mit Die selabgasen und Stickoxide­n befasst haben.

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