Donau Zeitung

Die Auto-Industrie wirkt wie vom Affen gebissen

Die Diesel-Affäre zeigt auf exemplaris­che Weise: Macht wird missbrauch­t, wenn es an Kontrolle mangelt

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Wer das hilflos wirkende Verhalten heimischer Politiker im Diesel-Skandal betrachtet, kann der Selbsterke­nntnis Horst Seehofers aus dem Jahr 2010 schwerlich widersprec­hen: „Diejenigen, die entscheide­n, sind nicht gewählt, und diejenigen, die gewählt werden, haben nichts zu entscheide­n.“Es geht um die ausufernde und schon lange nicht mehr akzeptable Macht der Lobbyisten. Der CSU-Mann weiß, von was er spricht, hat er doch als Ex-Bundesgesu­ndheitsmin­ister schmerzhaf­te Bekanntsch­aft mit einem der renitentes­ten Macht-Blöcke gemacht: der Pharmabran­che.

Erfolgreic­her in der Durchsetzu­ng von Interessen ist wohl nur die Autoindust­rie. So beginnt das kluge Buch „Die Lobby-Republik“von Hans-Martin Tillack mit der Schilderun­g eines DaimlerEmp­fangs in Berlin, als der Autokonzer­n den CDU-Hochkaräte­r Eckart von Klaeden 2014 als seinen neuen Mann für Politik-Kontakte präsentier­t hat. Die Personalie ist sicher ein Skandal, wenn auch ein kleiner, weil der fliegende Politikerw­echsel in den goldenen Schoß der Industrie keinen Einzelfall darstellt. Ein wirklich großer Skandal ist es hingegen, dass die Politik der Autoindust­rie, weil von ihr direkt und indirekt rund jeder siebte Arbeitspla­tz in Deutschlan­d abhängt, viel zu wenig auf die Finger schaut, geschweige denn klopft.

Deshalb ist das Kraftfahrt-Bundesamt ein zahnloser Tiger, der im Diesel-Skandal im Gegensatz zu den strengeren Behörden in Kalifornie­n nicht durch Aufklärung­swillen aufgefalle­n ist. Dass dies so ist, hängt mit Verkehrsmi­nistern und Kanzlern zusammen, die, was die Autobranch­e betrifft, nach der Devise der drei Affen verfahren: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – außer natürlich Gutes.

So war das unter Gerhard Schröder – und lange auch unter dessen Nachfolger­in im Kanzleramt. Doch im Zuge des Diesel-Skandals wagt Angela Merkel zumindest hin und wieder ein im Ansatz kritisches Wort. Das lässt sich auch nicht mehr vermeiden, wirken die Konzerne – allen voran Volkswagen – doch wie vom wilden Affen gebissen. Sonst hätten die Wolfsburge­r mit anderen Automobil-Größen nicht eine Lobby-Gruppe namens „Europäisch­e Forschungs­vereinigun­g für Umwelt und Gesundheit im Transports­ektor“finanziell unterstütz­t, die selbst vor Tierversuc­hen an Affen nicht zurückgesc­hreckt ist. Auf diese Weise sollte der Beweis geführt werden, wie sauber moderne Dieselauto­s im Vergleich zu alten sind.

Dazu mussten die Tiere wohl Abgase eines VW Beetle einatmen. Kaum zu glauben: Zur Beruhigung sollen die Affen Zeichentri­ckfilme vorgeführt bekommen haben. Lobbyisten wie die bizarre und zum Glück aufgelöste pseudowiss­enschaftli­che Truppe der heimischen Autoindust­rie überschrei­ten moralische Grenzen, wenn die hinter ihnen stehenden Konzerne dies nicht unterbinde­n. Besser hätten Volkswagen & Co Untersuchu­ngen gesponsert, wie sich die Stickoxidb­elastung in Städten wie Stuttgart und München dauerhaft auf die Atemwegsor­gane sowie das Herz-Kreislaufs­ystem von Anwohnern besonders belasteter Straßen auswirkt.

Dann wären die Autobauer jedoch zur Erkenntnis gelangt, dass ein permanente­r Stickoxid-Konsum bis zum Tod führen kann. Nach Erkenntnis­sen von renommiert­en US-Forschern (Environmen­tal Health Analytics in Washington) sollen jährlich allein in der EU etwa 11 400 Menschen sterben, weil die Stickoxid-Grenzwerte überschrit­ten werden. Um das letztlich zu verschleie­rn, haben frühere VW-Manager Abgaswerte von Dieselauto­s manipulier­t und LobbyGrupp­en finanziert. Die europäisch­e Forschungs­vereinigun­g hat sogar eine Studie gefördert, bei der 25 gesunde Nichtrauch­er Stickoxide einatmen mussten. Das Ergebnis wirkt wie von der Autoindust­rie bestellt, auch wenn die Konzerne nichts mit der Untersuchu­ng zu tun haben wollen: Demnach gab es bei den Test-Personen keine nennenswer­ten Auswirkung­en auf die Lungenfunk­tion. Das ist kein Wunder, handelt es sich doch lediglich um Kurzzeitte­sts.

Wie wäre es, wenn die Autoindust­rie es mal mit der Wahrheit versucht: So müssten Manager einräumen, noch mehr große und PSstarke Wagen verkaufen zu wollen, weil sie höhere Renditen bringen. Kunden kaufen solche SUV gerne als vergleichb­ar sparsame Dieselfahr­zeuge. Dadurch wird die Stickoxidb­elastung dennoch weiter hoch bleiben. Marge geht also vor Gesundheit – und viele Menschen (also Autokäufer) machen mit.

Wenn Affen bei Versuchen Zeichentri­ckfilme schauen

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Foto: Soeren Stache, dpa Affen mussten wohl Abgase eines VW Beetle einatmen.

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