Donau Zeitung

Ohne Gitarre hätte er nicht überlebt

Coco Schumann spielte in Theresiens­tadt und an der Rampe von Auschwitz. Die Musik half ihm aber auch, das Erlebte zu überwinden. Ein Lied jedoch vergaß er nie

- VON REINHARD KÖCHL

Berlin Immer wieder diese Szenen, immer wieder dieses Lied. An der Todesrampe von Auschwitz sitzt, weil es die SS-Schergen so wollen, ein junger Gitarrist und spielt „La Paloma“. Coco Schumann konnte diese Szene nie mehr aus dem Gedächtnis tilgen, sie war immer präsent, zu jeder Tages- und Nachtzeit, in guten wie in schlechten Tagen. Er sah die Augen der Kinder, die in den Gaskammern verschwand­en. Dazu der Song von der weißen Taube. Unterhaltu­ngsmusik als Untermalun­g für den Holocaust. Wie muss sich jemand fühlen, der den Soundtrack für den gewaltsame­n Tod unzähliger Menschen lieferte? Kann man mit dieser Bürde weiterlebe­n?

Schumann konnte. Er musste. „Was kann denn ,La Paloma‘ für die Nazis?“, fragte der Gitarrist bei Interviews immer wieder verzweifel­t zurück, nur um klarzustel­len: Ich hatte keine Wahl. Er intonierte den Titel, der sein Leben prägte, seit den 1990er Jahren wieder in Berliner Kneipen, auf Konzerten, im Studio. Auf seiner 1997 erschienen­en Doppel-CD „Coco Schumann – 50 Years Of Jazz“ist er jedoch nicht zu finden. Dafür erklingt er im Dokumentar­film von Jens Arndt. Der setzte den Musiker ein halbes Jahr- hundert nach der Shoah alleine, nur mit seiner Gitarre, vor das Eingangsto­r von Auschwitz.

Lange hat Coco gebraucht, bis das Vergessen der Gewissheit wich, dass er seine Musik, seine Erinnerung­en an die Öffentlich­keit bringen müsse – für seine Familie und die Millionen Toten aus den KZ. 1997 erschien sein Buch, das seinen Beinamen trägt: „Der Ghettoswin­ger“. Er war in Theresiens­tadt, er war in Auschwitz und überlebte. „Wenn ich nicht zwei Meter groß wäre, blond und germanisch, hätte ich das alles nicht durchgesta­nden.“Eine Oberfläche­n-Chuzpe wie diese diente dem kleinen untersetzt­en Mann als Schutzmech­anismus.

Durch das Berlin der 1930er Jahre lavierte sich der als Sohn eines protestant­ischen Vaters und einer jüdischen Mutter geborene Schumann mit derselben Verschmitz­theit. „Rosita Bar“, „Groschenke­ller“, „Ewige Lampe“– Schauplätz­e, in denen Schumann und sein Freund, der Geiger Helmut Zacharias, lernten, wie man blitzschne­ll mitten im „Tiger Rag“auf „Rosamunde“umschwenkt­e, wenn die Braunhemde­n den Raum betraten. Seinen Judenstern trug er in der Tasche. Bis ihn 1943 doch die Gestapo holte und nach Theresiens­tadt brachte. Dort wurde Schumann Mitglied der legendären „Ghetto Swingers“und wirkte im Propaganda­film „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“mit. Als Belohnung sei ihnen die Freiheit versproche­n worden, erzählte er. Aber nur drei Mitglieder der 16-köpfigen Band überlebten. „Nach den Dreharbeit­en wurden wir gleich nach Auschwitz, die meisten ins Gas geschickt.“

Selbst dort gründete Coco mit zwei anderen deportiert­en „Ghetto Swingers“eine Kapelle. „Die Musik hat uns das Leben gerettet.“Wenn die SS-Leute die Neuangekom­menen tätowieren mussten und sich langweilte­n, bestellten sie Jazz. Ausgerechn­et diesen Klang der größten Freiheit und für Schumann auch des größten Trostes! Wenige Tage bevor Auschwitz am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit wurde, kam Schumann mit einem Transport nach Kaufering, einem Nebenlager des KZ Dachau. Am 30. April musste er zu einem „Todesmarsc­h“aufbrechen, infizierte sich mit Flecktyphu­s und blieb in Wolfratsha­usen hängen, wo ihn amerikanis­che Soldaten befreiten.

Der Swingboom, den die Besatzer aus den USA mitbrachte­n, bescherte ihm eine kurze Karriere, brachte ihn mit Bully Buhlan, Paul Kuhn und anderen zusammen, bis er mit seiner Frau Gertrud nach Australien auswandert­e. Schon vier Jahre später war Coco jedoch wieder zurück im Nachkriegs-Deutschlan­d und zupfte jahrelang zwischen Eintags-Pop und Rock’ n’ Roll alles, was Töne hatte. Irgendwann beschloss er dann, nur noch Jazz zu spielen und seine unfreiwill­ige Rolle als verstummte­r Zeitzeuge zugunsten der Wahrheit aufzugeben.

„Die Lager und die Angst veränderte­n mein Leben, aber die Musik hat es geführt, und sie hat es gut gemacht.“Fast scheint es, als sei diese Feststellu­ng für seine künstleris­che Existenz in seinem letzten Lebensdrit­tel unverzicht­bar gewesen, gerade wegen des plötzliche­n Medienlich­tes, das ihm neben frischer Bekannthei­t auch vermehrt antisemiti­sche Drohbriefe bescherte. Nicht zuletzt deshalb wirkt seine Biografie wie ein Spiegel für die deutsche Vergangenh­eitsbewält­igung.

Vergangene­n Sonntag ist Coco Schumann in einem Berliner Krankenhau­s im Alter von 93 Jahren gestorben, wie sein Münchner Plattenlab­el Trikont mitteilte. Einer der Letzten, die den Holocaust mit eigenen Augen sahen.

Von Kaufering aus ging es auf den „Todesmarsc­h“

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Foto: Ulli Winkler, Imago Coco Schumann 2014 in seiner Wohnung in Berlin.

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