Darf man an solch einer Geschichte verdienen?
Simon Fujiwara hat das Anne-Frank-Haus nachgebaut und verbindet damit unbequeme Fragen
Bregenz Simon Fujiwara hält den Leuten einen Spiegel vor. Darin sehen sie das, was in ihrem Kopf abläuft: Erwartungen, Vorstellungen, Urteile. Der Mensch braucht Einordnungen. Und diese werden nach Ansicht Fujiwaras in einer zunehmend komplexen Welt immer oberflächlicher. Darauf stößt er die Besucher seiner Bregenzer Ausstellung mit dem Titel „Hope House“. Als Spiegel dient dem englischen Künstler dabei ein 1:1-Nachbau des Anne-Frank-Hauses in Amsterdam. Eine verwegene Idee.
Und damit gerade richtig für das Kunsthaus Bregenz, das mit Freude und Akribie monumentale Installationen realisiert. Wer es also bisher nicht nach Amsterdam geschafft hat oder dort wegen endloser Schlangen vor dem Museum an der Prinsengracht von einem Besuch absah, kann sich nun in Bregenz die enge, steile Holztreppe hochzwängen, über die Anne Frank und ihre Familie in ihr Versteck vor den Nazis gelangten.
Dass sich dabei mitnichten irgendeine Art von Beklemmung einstellt, die am Originalschauplatz vermutlich viele erfasst, liegt auch daran, dass als Vorlage für die zwischen den teils geöffneten Glasdecken des Kunsthauses aus Platten hineingezimmerte und mit Ziegelsteinund Holztäfel-Tapeten ausgekleidete Konstruktion nicht das Anne-Frank-Haus selbst diente, sondern ein Bastel-Satz aus Karton, der im Museumsshop zu haben ist. Die Kopie einer Kopie also – und zugleich eines Verkaufsartikels, der in seiner Banalität fragwürdig wirkt.
Genau an diesem Punkt hakt Fujiwara ein: Was ist banal? Welches wäre der richtige Umgang mit einem solchen Ort, die richtige Deutung der Geschichte, die dahintersteht? Solche Fragen sollen den Ausstellungsbesucher beschäftigen beim Gang durch das „Hope House“, zwischen dessen Wänden eine Fülle von Exponaten mehr oder weniger schlüssige Verbindungen herstellt. Erschließen werden sich die meisten Andeutungen freilich nur denen, die an einer Führung teilnehmen.
Fujiwara verbaut Heutiges in seiner Anne-Frank-Kulisse. Im Schlafzimmer des durch sein Tagebuch berühmt gewordenen Mädchens, das die Wände mit Fotos von Filmstars wie Greta Garbo, Heinz Rühmann und Ginger Rogers schmückte, platziert er Portäts prominenter Besucher und stellt die Frage: Warum waren sie hier? Bietet dieses Ambiente Hillary Clinton nicht einfach die seltene Gelegenheit, sich menschlich zu zeigen? War die betont demütige Haltung der Popikone Beyoncé in Anne Franks Versteck tatsächlich angemessener als der selbstverliebte Auftritt Justin Biebers? Bieber erntete einen Sturm der Entrüstung für seinen egozentrischen Eintrag ins Gästebuch (auf dessen Veröffentlichung das Museum angesichts der Popularität des Stars nicht verzichten wollte). Beyoncé verursachte einen Kaufrausch: Ihr für den Museumsbesuch entworfener Hosenanzug ging millionenfach weg.
„Ich will die Konflikte zeigen, die den Dingen innewohnen“, sagt Simon Fujiwara. All die Objekte, Möbelstücke, Videos und Fotografien, mit denen er die im originalen Haus weitgehend leeren Räume füllt, verweisen auf das, was er als „herrschendes Weltregime“bezeichnet: den Kapitalismus. Zugleich spielt er mit naheliegender Kritik. Ist etwa die von einem Pariser Nobel-Chocolatier geschaffene SchokoladenMaske unpassend, weil sie die indigenen Züge eines Schwarzafrikaners trägt? Die Schokoladen-Bohnen stammen doch auch aus Ghana.
OHope House Kunsthaus Bregenz, bis 2. April, Di So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr.