Im Grenzbereich
Bei einem Acceptance-Flug wird ein Flieger bis ins kleinste Detail geprüft. Erst danach dürfen Passagiere mit
Airbus in Toulouse, das ist wie eine Stadt in der Stadt, überall stehen die großen Vögel rum, manche schon lackiert in den Farben der Airlines, andere als Prototypen. Wir, eine kleine Gruppe Journalisten, von Lufthansa zum Abnahmeflug des A350-900 eingeladen, dürfen ins „Allerheiligste“, nicht ohne genau überprüft zu werden und ein Badge umgehängt zu bekommen.
Abnahmeflug, in der Pilotensprache Acceptance Flight. Das heißt, ein neues Flugzeug wird auf „Herz und Nieren“geprüft, wobei die Crew die Maschine an die zugelassenen Flugbetriebsgrenzen führen wird, in einen Grenzbereich also, an den Linienflieger nicht kommen. Auf was habe ich mich da bloß eingelassen? Ich grüble schon mal darüber nach, ob ich nicht sicherheitshalber eine Tablette gegen Reisekrankheit schlucken sollte.
Beim Sicherheitsbriefing treffen wir erstmals unsere Piloten. Da sitzen sie, in deren Hände wir uns in den nächsten zwei Stunden begeben, und sie wirken ganz entspannt: Matthias Queck, bei Airbus Flugtestingenieur und Pilot mit 41-jähriger Flugerfahrung. Der Augsburger Thomas Wilhelm, seit viereinhalb Jahren Flugversuchspilot bei Airbus und Projektpilot für den A330neo. Andreas Jasper, Lufthansa-Kapitän mit 33-jähriger Flugerfahrung, stellvertretender Flottenchef und seit 2016 beim A 350 mit dabei. Und der Jüngste in der Runde, Andreas Eder aus Nördlingen, seit zwölf Jahren bei der Lufthansa, Senior First Officer und Ausbildungspilot.
Wir arbeiten das Flugprofil Schritt für Schritt durch – vom „Start mit maximaler Startleistung“(TOGA) bis zum „Start des Hilfstriebwerks in Dienstgipfelhöhe“. Eine Trockenübung sozusagen. Trotzdem macht sich Nervosität breit, und Queck beschwichtigt: „Das ist ein ganz ruhiges Manöver, nichts, wovor man sich fürchten müsste.“Wir ziehen Warnwesten an und marschieren zum bereit stehenden A 350 „Mannheim“.
Platz ist reichlich in der Maschine, die in der Lufthansa-Ausführung 293 Passagiere befördern kann: 48 in der Business, 21 in der – noch nicht eingebauten – Premium Economy und 224 in der Economy. Außer uns sind noch Tester von Airbus und Lufthansa mit an Bord. Sie werden die Kabinenausstattung unter die Lupe nehmen, die Türen überprüfen, die Toiletten, die Gepäckfächer, die Bordküche. Zum Start sitzen wir alle gemeinsam in der Business Class. Wir werden über Marseille fliegen, den Mont Ventoux sehen, das Mittelmeer, die Pyrenäen.
Der A350 rollt ganz gemächlich zur Startbahn. Die Spannung steigt. Ich weiß, dass wir mit vollem Schub starten, also schneller abheben als normal. Normal wird in wenigen Sekunden von 0 auf 300 beschleunigt. Bei uns ist es ähnlich. Aber durch das relativ leichte Gewicht und den maximalen Schub spüren wir die Beschleunigung deutlicher. Ich habe das Gefühl, als würde ich in meinen Sitz gepresst und schlucke ein bisschen. Unter uns sollte jetzt Toulouse zu sehen sein – leider vernebelt. 190 Tonnen Abfluggewicht hat die Maschine heute nur, 268 Tonnen wären das Maximum. Weil wir aber so wenige Passagiere sind, werden 54 Tonnen zusätzliches Kerosin die fehlenden Passagiere „simulieren“.
Im Cockpit beginnen die Manöver mit ersten Flugsteuerungskontrollen. Es geht steil nach oben, und das Flugzeug dreht die Nase nach unten. Für einen kurzen Moment fühle ich mich, als würde ich in meinem Sitz abheben. Der Fotoapparat ist ein Fliegengewicht. Dann neigt sich der A350 um 67 Grad nach links, kurz darauf nach rechts. Das geht so schnell, dass ich gar keine Möglichkeit habe, mich schlecht zu fühlen. Leider habe ich in der Aufregung auch verpasst zu fotografieren. Ein bisschen aus dem Gleichgewicht bin ich wohl schon.
Ab jetzt dürfen wir rumlaufen. Die Airbus- und Lufthansa-Mitarbeiter schwärmen aus, um Türen, Klappen, Sitze und das Inflight Entertainment zu überprüfen. Matthias Queck widmet sich den Geräuschen. Wo klappert eine Tür, rauscht etwas? Je leiser der Flug, desto stressfreier die Reise. Die „Mannheim“besteht den Lärmtest mit Bestnote.
Bei der Überprüfung ist jedes Detail wichtig – auch in der Optik. Alles soll perfekt sein. Schließlich bekommt der Kunde „ein nagelneues Fluggerät“, das „absolut fehlerfrei“sein sollte. Eine klitzekleine Ausbuchtung an der Deko-Folie, die Queck entdeckt hat, könnte dazu führen, dass die ganze Wandfolie ausgetauscht wird. Das kann einen Tag Verzögerung bedeuten – und Mehrkosten. Für Queck keine Frage. „Da darf man nicht aufs Geld schauen.“
Unter uns zieht die Küste vorbei, kaum zu spüren, dass das Flugzeug die höchste Flughöhe erreicht hat – 13 100 Meter. Hier werden noch einmal alle Systeme überprüft – auch der Druckabfall in der Kabine wird simuliert. Aber heute fallen nicht automatisch Sauerstoffmasken aus dem Fach über uns, nur die Klappen öffnen sich einen Spalt. Auch das ist nur ein Test, selbst wenn die Stimme in der Ansage immer dringlicher klingt.
Im Cockpit hat eine spannende neue Arbeitsphase begonnen. Der Kapitän drosselt die Geschwindigkeit bis auf 110 Knoten, rund 200 Stundenkilometer. Es fühlt sich an, als sei das Flugzeug zum Stillstand gekommen, die Pyrenäen ganz nah. Mir fallen die Ohren zu, und ich spüre eine leichte Vibration. Da ertönt auch schon der Befehl „Please be seated“. Der Kapitän simuliert ein Durchstart-Manöver. Ein bisschen grummelt es im Magen, der Druck auf die Ohren nimmt zu. Aber alles im grünen Bereich.
Im Cockpit wird weiter getestet, Kabinendruck, Hydraulikausfall... Die Instrumente springen auf Rot. „Wir machen alles falsch, und der Autopilot muss alles richtig machen,“erklärt Queck den Sinn des Manövers. Und der Autopilot macht, was man von ihm erwartet. Er hält die Maschine auf Kurs, so dass die Piloten die Fehlermeldungen in Ruhe abarbeiten können. Schon sehr komfortabel, denke ich, obwohl ich mich nach dem Abschalten der gesamten Hydraulik im Cockpit nicht mehr ganz so wohl fühle. Aber Airbus-Pilot Thomas Wilhelm bleibt cool: „Das Flugzeug fliegt völlig normal, selbst wenn wir hier den äußerst unwahrscheinlichen Ausfall des gesamten Hydrauliksystems simulieren.“
Mittendrin in den Schlussmanövern hat ein Airbus-Mitarbeiter die Nachricht empfangen, dass Emirates 36 A380 geordert hat. Das spricht sich rum wie ein Lauffeuer. Die Airbus-Leute atmen hörbar auf. Der Auftrag sichert Arbeitsplätze bis ins nächste Jahrzehnt.
Und dann ist dieser aufregende Flug schon beinahe wieder vorbei. „Das war’s schon,“verkündet Kapitän Jasper fast unterkühlt – und zaubert eine meisterhafte Landung hin.
Und das Fazit des Abnahme-Fluges? „Alles perfekt,“sagt Kapitän Jasper. „Wir haben schon am Vortag das Cockpit auf Herz und Nieren geprüft.“Für Andreas Eder ist der A350 „mit seinem komfortablen Arbeitsplatz“das schönste Flugzeug, mit dem er bisher geflogen ist. Auch Airbus-Testpilot Wilhelm ist voll des Lobes über das „ausgereifte Fluggerät“. 30 Tonnen weniger Kerosin als seine Vorgänger wird der A350 auf der Strecke MünchenHongkong verbrauchen, eine Ersparnis von 25 Prozent – dank aerodynamischen Flügeldesigns und weil er ein „Leichtgewicht“ist: 70 Prozent des Flugzeugs bestehen aus Materialien wie Titan, Carbon und Aluminiumlegierungen. Solche Teile werden übrigens auch in Augsburg bei Aerospace hergestellt.
Wie es weitergeht? Inzwischen sind die Verträge unterschrieben, ist die Zulassung in Braunschweig geregelt, und die „Mannheim“in München eingetroffen. Hier wird die Premium Eco eingebaut. Danach muss der Flieger noch einmal abgenommen werden – und dann kann’s losgehen. Lufthansa hat 25 Flugzeuge vom Typ Airbus A350-900 bestellt. München erhält die ersten 15 Flieger zum Listenpreis von rund 310 Millionen Dollar pro Flugzeug. Erste Ziele sind derzeit Delhi, Boston, Mumbai, Hongkong, Peking und Tokio. Im März kommt Singapur dazu.
Und ich? Fühle mich nach der aufregenden „Testfahrt am Himmel“fast schon wie ein Flugprofi.
Ich fühle mich, als würde ich in meinem Sitz abheben