Der melancholische Kraftkerl
Josef Bierbichler ist ein Ereignis, ob auf der Theaterbühne oder im Kino. Über seine bayerische Herkunft hat er einen Roman geschrieben und ihn jetzt verfilmt
Zwölf Jahre ist es her, da sagte Josef Bierbichler den Satz: „Ich merke, es geht auf die Truhe zu.“Die Truhe? Ja, „auf die Kiste … aufs Sterben“. Ein ungewöhnlicher Satz für einen damals 58-Jährigen, eigenartig auch der Zusammenhang. Bierbichler begründete mit seinem Verweis auf „die Truhe“seinen Rückzug von der Theaterbühne: In der Vorstellung der Endlichkeit kämen ihm „die gruppendynamischen Prozesse“am Theater immer alberner vor.
Der Schauspielerei hat er aber nicht gänzlich abgeschworen, Gott sei Dank. Nur hat er sich inzwischen mehr auf Filme verlegt. Und das fortgesetzt, wofür man ihn zuvor drei Jahrzehnte lang auf den großen Theaterbühnen bestaunte: Mannsbilder darzustellen von enormer Wucht – Kerle, durch deren Körperpräsenz aber immer auch eine berührende Empfindsamkeit hindurchscheint. Faszinierende Männer, oftmals Vaterfiguren, die roh und zugleich verletzlich sind, janusköpfig aggressiv und fein besaitet. Seine massive Statur, im Kontrast zur Melancholie des Gesichts, beglaubigt solche Gestalten.
Ein derartiges Gemenge, das kraftvoll In-sich-Ruhende vereint mit dem vulkanisch Aufbegehrenden, das bekommt man wahrscheinlich nur dann so überzeugend hin, wenn man im Altbayerischen wurzelt. Josef Bierbichler – schon der Name eine scharfgeschnittene regionale Signatur! – ist in Ambach am Starnberger See geboren, die Eltern hatten eine Landwirtschaft und betrieben einen Gasthof. Der Sepp aber wollte weg, zunächst jedenfalls. Nach ein paar Jahren auf dem katholischen Internat in Donauwörth und einer Hotelfachlehre entschied er sich für die Schauspielerei, ging an die Münchner Falckenberg-Schule und stieg dann kometenhaft schnell zum umschwärmten Charakterdarsteller auf. Furore machte er besonders in Stücken von Herbert Achternbusch, mit dem er bei sich zu Hause in Ambach eine Wohngemeinschaft gründete, Bierbichlers Schwester Annamirl war ebenfalls mit dabei. Zusammen drehte man kauzige Filme, bis es nach zehn Jahren zum großen Zerwürfnis kam. Trotz aller Erfolge in deutschen Theatermetropolen, trotz der Engagements in Filmen von Herzog, Tykwer, Steinbichler oder Caroline Link, die Herkunft hat Bierbichler nie losgelassen. Dieses spezifische Milieu hat er vor einigen Jahren in einen Roman gepackt, der ihm weithin Lob einbrachte – „Mittelreich“, eine bayerische Jahrhundert-Saga mit autobiografischen Anklängen, ein Stoff, den er jetzt sogar selbst verfilmt hat („Zwei Herren im Anzug“), unschwer zu sagen, mit wem in der tragenden Rolle. Aber auch sonst ist der unverheiratete Vater dreier Kinder der Gegend am Starnberger See treu geblieben. Bierbichler, der in ein paar Wochen 70 wird, lebt in Ambach in seinem Geburtshaus, den Gasthof hat er verpachtet. Wenn er nicht gerade irgendwo in einer Filmrolle steckt, kümmert er sich um sein eigenes Stück Wald.