Das Buch der Stunde?
Deutschland muss gerechter werden und stabil bleiben. Oder? Alexander Schimmelbusch legt dazu einen provokativen Roman vor
Immer wieder wird ein Roman zum „Buch der Stunde“ausgerufen, weil er zielgenau in die Fragen der Gegenwart schneidet. International waren das zuletzt etwa der Amerikaner Dave Eggers mit seiner Vision vom digitalen Totalitarismus in „The Circle“und Michel Houellebecq mit seiner Kapitulationsvision der westlich liberalen Gesellschaft vor dem Islam in „Unterwerfung“. In Deutschland versuchte vergangenes Jahr Star-Autorin Juli Zeh einen solchen Treffer mit ihrer letztlich aber ziemlich missglückten PolitGroteske „Leere Herzen“. Und jetzt: Andreas Schimmelbusch!
Wer? Der ehemalige Investmentbanker, 1975 in Frankfurt geboren, ist mit seinen bislang drei Romanen kaum aufgefallen – sein neues Werk „Hochdeutschland“aber hat tatsächlich das Potenzial, zumindest ein bisschen, jenes ominöse „Buch der Stunde“zu sein. Denn es verhandelt, angesiedelt kurz vor der Bundestagswahl 2017, bei aller ironischen Überspitzung doch zentrale Probleme der aufgewühlten Gesellschaft, der kriselnden Politik. Nämlich: In unsicheren Zeiten wie diesen und angesichts der Verwerfungen durch die Globalisierung empfinden es viele als notwendig, für die Stabilität und die Gerechtigkeit dieses Landes ein Fundament zu setzen. Und damit das nicht ein ewiggestriges Fundament wird, gesetzt von „Playmobil-Nazis“, wie es bei Schimmelbusch heißt, übergibt der Autor seinem Helden das Wort. Der heißt Viktor, ist tatsächlich ein Sieger unserer Zeit, weil er als moralfreier und über alle privaten Grenzen hinweg leistungsbereiter Investmentbanker bereits mit Ende 30 ein dreistelliges Millionenvermögen angehäuft hat. Aber gerade weil er damit zu den wirklich Mächtigen in Land und Welt gehört und auch mit Ministern wie mit Marionetten spielt, beschleicht ihn ein Unbehagen, das auch durch noch so dekadente Genüsse nicht zu verscheuchen ist. Weil er in seiner sehr fürsorgenden Liebe für die von ihm getrennt lebende Tochter das Herz der Menschlichkeit pochen fühlt? Oder vielleicht doch eher, weil er mit seinem geschulten Analystenblick sieht, wo einerseits die Probleme des Landes liegen und wie andererseits die Wählerwut abzuschöpfen ist?
Jedenfalls schreibt Viktor ein Manifest, das dann tatsächlich zum politischen Durchbruchskonzept wird. Name der Partei: DAG, also die Deutschland AG. Programmpunkte unter anderem: Eine Obergrenze für Reichtum – alles, was über 25 Millionen Euro Vermögen geht, geht ans Land; eine rigide Umsetzung der liberalen Werte – wer gegen Toleranzgebote verstößt, fliegt raus; geschlossene EU-Grenzen, Flüchtlingslager in Nordafrika, Aufnahme hierzulande nur nach Flüchtlingskonvention … Und die AG im Namen verrät schon: Organisiert werden soll das alles mit unternehmerischer Stringenz und Effizienz, weil: So muss ein Land ehrlicher Weise doch sowieso geführt werden in Zeiten des global herrschenden Marktprinzips. Oder?
» Alexander Schimmelbusch: Hochdeutschland. Tropen, 214 S., 20 ¤