„ Die längsten Minuten meines Lebens“
Philipp Lahm erinnert sich an das WM-Finale 2014 und stellt eine Rückkehr zum FC Bayern in Aussicht
Lyon Atlético Madrid hat zum dritten Mal nach 2010 und 2012 die Fußball-Europa-League gewonnen. Im Finale von Lyon besiegte der spanische Topklub am Mittwochabend Olympique Marseille 3:0 (1:0). In einem umkämpften Spiel schoss der französische Nationalstürmer Antoine Griezmann die ersten beiden Tore für das Team des gesperrten Trainers Diego Simeone (21./49. Minute). Griezmann soll kurz vor einem Wechsel zum FC Barcelona stehen.
Kapitän Gabi erhöhte in der Schlussphase (89.). Die vor allem zu Beginn starken Franzosen verpassten damit ihren ersten europäischen Titel seit 25 Jahren. Im Stadion seines Rivalen Olympique Lyon musste Marseille, das im Viertelfinale RB Leipzig ausgeschaltet hatte, früh auf seinen Topspieler Dimitri Payet verzichten, der wegen einer Verletzung ausgewechselt wurde (32.). Wie sehr vermissen Sie es, vor 70000 Zuschauern Fußball zuspielen? Philipp Lahm: Ich vermisse nicht das Stadion, nicht die Zuschauer und nicht das Spielen auf dem Platz. Wenn ich etwas vermisse, ist es die Atmosphäre in der Kabine. Die ist speziell. Aber Profi war ich lange genug.
Wie sehr hat sich Ihr Leben nach dem Karriereende verändert?
Lahm: Mein Tagesablauf ist abwechslungsreicher geworden. Ich darf mich mit meinen Unternehmen Sixtus und Schneekoppe beschäftigen. Zudem habe ich die PhilippLahm-Stiftung für Sport und Bildung, die in diesem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum feiert. Im Moment planen wir das 25., 26. und 27. Sommercamp. Fast 2000 Kinder haben sich bisher mit gesunder Lebensführung beschäftigt und viel über Bewegung, Ernährung und Persönlichkeitsentwicklung gelernt. Und ich genieße die Zeit mit meiner Familie, meinem Sohn und meiner neun Monate alten Tochter sehr. Ausruhen gibt es da sowieso nicht. Es macht mir auch immer Freude, meinen Sohn morgens in den Kindergarten zu bringen. Welche Rolle spielt der Fußball in Ihrem neuen Leben?
Lahm: Im Augenblick schaue ich mir gerne Spiele im Fernsehen an. Es ist interessant zu beobachten, wer wie Fußball spielt. Und ich bin als EMBotschafter dafür verantwortlich, die EURO 2024 mit dem DFB nach Deutschland zu holen. Diese 2024 in Deutschland zu veranstalten, ist wieder eine gute Gelegenheit, die Gastfreundschaft und den Zusammenhalt in Deutschland und Europa zu zeigen.
Sie werden auch zur DFB-Delegation bei der WM in Russland gehören und zumindest das Auftaktspiel der deutschen Mannschaft in Moskau gegen Mexiko miterleben. Was erwarten Sie sich von der WM?
Lahm: Ich freue mich und bin gespannt auf die WM, die übrigens meine erste als Zuschauer seit 2002 ist. Als Spieler bekommt man wenig von der Organisation und den Abläufen bei solch einem Turnier mit. Genau das Drumherum möchte ich kennenlernen. Beim Brasilien-Spiel in Berlin habe ich zuletzt die Organisatoren getroffen und die freiwilligen Helfer, die eine Choreografie vorbereitet haben, damit die Zu- schauer im Stadion und vor dem Fernseher ein beeindruckendes Bild zu sehen bekommen.
Neu ist, dass Sie während der WM für die ARD arbeiten. Was erwartet den Zuschauer?
Lahm: Ich freue mich auf die Gespräche mit Jessy Wellmer. Fußball ist immer auch Unterhaltung. Deshalb wollen wir über die Ereignisse rund um das Turnier und über den Zustand unserer Mannschaft sprechen – vor einem Spiel, bei einem Sieg oder auch einer Niederlage. Da hilft mir meine Erfahrung von sechs großen Turnieren.
Wenn Sie auf Brasilien 2014 zurückblicken: Woran denken Sie zuerst? Lahm: An den Schlusspfiff im Finale. Vom Tor von Mario Götze bis zum Abpfiff, das waren die längsten Minuten meines Fußballlebens. Da dachte ich nur: Bitte, bitte, pfeif endlich ab! Ich weiß noch, kurz vor Schluss gab es noch einen Freistoß für Argentinien, den Lionel Messi drübergeschossen hat. Dann hat Manuel Neuer einen Abstoß gemacht – und dann wurde abgepfiffen. Diese letzten Minuten und die ein, zwei Stunden danach, daran werde ich immer als Erstes denken.
War es die richtige Entscheidung, als Nationalspieler auf dem Höhepunkt aufzuhören, obwohl Sie damals erst 30 Jahre alt waren?
Lahm: Ja. Ich habe mir vorher schon Gedanken gemacht, dass es mein letztes Spiel ist. Am Höhepunkt abtreten zu können, dazu gehört natürlich auch Glück. Aber es war für mich die richtige Entscheidung. Vor einem Jahr haben Sie mit dem Profifußball aufgehört. Es sah eine Zeit lang so aus, als würden Sie direkt eine neue Aufgabe beim FC Bayern übernehmen. Warum kam es nicht dazu?
Lahm: Weil wir verschiedene Auffassungen von der Tätigkeit hatten, von Verantwortungsbereichen und von der Strukturierung der Verantwortlichkeiten.
Könnte es trotzdem irgendwann ein Lahm-Comeback beim FC Bayern geben?
Lahm: Klar. Ich bin 34 Jahre alt. Ich habe hoffentlich noch viel vor mir in meinem Leben. Ich habe aktuell interessante Aufgaben, aber wie gesagt: Ich bin erst 34, ich kann mir das natürlich vorstellen!
Haben Sie auch über das bemerkenswerte Comeback von Jupp Heynckes gestaunt, auch wenn er nach dem Champions-League-Aus gegen Real Madrid nicht noch einmal mit dem Titel-Triple abtreten kann?
Lahm: Überrascht bin ich überhaupt nicht. Die Mannschaft hat ja Qualität. Und Jupp Heynckes ist einer, der die Leute hinter sich bringt. Und ich war schon gar nicht überrascht, dass sie die Bundesliga gewonnen haben. Da muss schon viel passieren, dass Bayern nicht deutscher Meister wird.
Im letzten Spiel von Jupp Heynckes kommt es nun zum Duell mit seinem Nachfolger Niko Kovac. Werden Sie beim Pokalfinale Bayern gegen Frankfurt in Berlin dabei sein? Und wie geht es aus?
Lahm: Ja, ich werde als EM-Botschafter in Berlin sein und ich gehe davon aus, dass Bayern gewinnt. Ich weiß noch, dass wir Pep Guardiola und seinem Trainerteam 2016 einen schönen Abschied bescheren wollten. Auch da waren wir schon Meister. Damals ging es gegen Dortmund ins Elfmeterschießen. Ich bin überzeugt, dass die jetzige Mannschaft Jupp auch einen schönen Abschied bescheren will. Die Qualität des FC Bayern gegenüber Eintracht Frankfurt ist viel höher. Ich glaube, darum wird der Mannschaft das auch gelingen. ● Philipp Lahm beendete 2017 sei ne Karriere als Spieler. Der 34 Jährige gewann unter anderem die WM und acht Mal die deutsche Meisterschaft. (AZ)