Wenn der Bus eine Stunde zur Schule braucht
Eine Elfjährige aus Dattenhausen braucht knapp eine Stunde zur Schule in Dillingen. Bessere Busverbindungen würden nicht nur ihr helfen. Ihre Familie warnt: So stirbt das Dorf aus
Eine Familie aus Ziertheim-Dattenhausen warnt: Will man die Dörfer retten, muss man den Nahverkehr verbessern.
Dattenhausen Pias Wecker schellt um 6 Uhr. Die Elfjährige macht sich bereit für den Schultag, zu einer Zeit, zu der ihre Freundinnen noch schlummern. Doch die müssen ja nicht den Bus nach Dillingen erwischen, der um 6.50 Uhr an der Dattenhauser Haltestelle vorfährt.
Mit dem Auto sind es vom Ziertheimer Ortsteil etwa 20 Minuten zur Schule. Doch mit dem Auto würde man eine andere Strecke fahren. Klar, dass der Bus die anderen Gemeinden, Ortsteile und Siedlungen innerhalb der Verwaltungsgemeinschaft Wittislingen abfährt. Doch dann geht es nach Lauingen, bevor der Bus den Weg nach Dillingen einschlägt. An der Rosenstraße, wo Pia aussteigt, kommt der Bus laut Fahrplan um 7.37 Uhr an – wenn er keine Verspätung hat. Laut Familie Guffler wird es für Pia oft knapp, rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn um 7.55 im Klassenzimmer zu sitzen. Wenn in der ersten Stunde eine Schulaufgabe ansteht, nehmen einige Kinder den Bus eine halbe Stunde früher. Mutter Sabine Guffler fragt: „Warum kann nicht ein Bus nach Lauingen und einer nach Dillingen fahren?“
Nun ist den Gufflers bewusst, dass Dattenhausen mit seinen 291 Einwohner nicht für die gute Anbindung bekannt ist. Pias älteren Geschwister Jonas und Lena sind auch nach Dillingen gependelt. Mutter Sabine Guffler ist in dem Ziertheimer Ortsteil aufgewachsen und ebenfalls mit dem Bus nach Dillingen in die Schule gefahren. Vor 30 Jahren war der Fahrplan, so erzählt sie, genau der gleiche. Nur nachmittags gebe es zwei zusätzliche Fahrten. Und seit Kurzem sind die Busse klimatisiert – eine wichtige Neuerung, über die sich die Gufflers freuen. Die Strecke aber ist die gleiche. Das hat die Familie bereits mehrfach moniert, hat sich mit dem Landkreis und der Betreiberfirma Regionalbus Augsburg in Verbindung gesetzt. Passiert ist nichts. Das sei sehr kompliziert, habe man gesagt. „Das macht natürlich einen Haufen Arbeit“, sagt Sabine Guffler. Doch nach 30 Jahren sei eine Verbesserung angemessen.
Vater Manuel Guffler kommt aus Dillingen, ist als Schulkind gegen halb 8 Uhr aufgestanden und erklärt: „Klar kann man sagen: Die hätten ja auch nach Dillingen ziehen können. Aber wenn das jeder macht, dann stirbt das Dorf aus.“
Das Problem betrifft nicht nur Schulkinder. Jonas, der 17-jährige Sohn der Familie, fährt für seine Ausbildung nach Donaualtheim. Mit dem Moped, weil es keine vernünftige Verbindung gibt. Im Winter fahren ihn meistens seine Eltern.
Lena, 18, die ältere Tochter der Gufflers, studiert in Neu-Ulm. Sie fährt mit dem Auto nach Giengen und von dort mit dem Zug weiter. Ihr Semesterticket deckt fast ausschließlich Baden-Württemberg ab. Dort kommt sie bis zum Bodensee. Doch im Landkreis gilt das Ticket weder für Züge noch für Busse.
Auch für ältere Dorfbewohner ist die Anbindung ein Problem. Für diejenigen, die nicht fit genug zum Autofahren sind, ist jeder Einkauf eine Tortur. Ehrenamtliche Nachbarschaftshilfen gibt es, ohne sie wäre es für einige Senioren kaum möglich, im Dorf zu wohnen. Für die, die den Bus viel nutzen, kommen die aus ihrer Sicht zu hohen Ticketpreise hinzu. Wer kann, nimmt das Auto.
Manuel Guffler sagt: „Wenn man nicht will, dass die Dörfer aussterben, muss man etwas am Nahverkehr tun.“Dattenhausen ist dafür lediglich ein Beispiel. Sabine Guffler erklärt: „Das ist ja in Bissingen und anderswo genauso schwierig.“
Dabei ist es erklärter politischer Wille, etwas gegen das Dörfersterben zu tun. Knapp 90 Prozent der Wähler haben bei der Volksabstimmung, die mit der Landtagswahl 2013 stattfand, dafür gestimmt, dass der Freistaat „gleichwertige Lebensbedingungen und Arbeitsverhältnisse in ganz Bayern, in Stadt und Land, fördert und sichert“. Die Enquetekommission für gleichwertige Lebensbedingungen hat dafür Empfehlungen vorgelegt. Dazu gehört ein Mindesttakt für Busse im ländlichen Raum.
Hans Peter Müller von der Betreibergesellschaft Regionalbus Augsburg (RBA) sagt: „Der ÖPNV ist sehr schwer eigenwirtschaftlich zu betreiben.“Über Ticketpreise sei der Betrieb nicht finanzierbar, stattdessen subventioniert der Landkreis. Wie viele Busse welche Strecken wie oft fahren, sei immer ein Abwägen. „So ist das Angebot für einzelne Personen nicht unbedingt attraktiv“, sagt Müller. Strecken und Fahrzeiten sind vertraglich geregelt. Das heißt: „Ohne Kreis können wir gar nichts ändern.“Zur Höhe der Ticketpreise sagt er: „Tarife sind im Gefühl derer, die sie bezahlen müssen, immer zu hoch. Auf der anderen Seite reichen sie nicht aus.“
Landrat Leo Schrell erklärt: „Wenngleich aus organisatorischen und finanziellen Gründen nicht jeder Wunsch erfüllt werden kann, sind wir der Meinung, dass unsere Busanbindungen an die Schulorte gut sind.“Dazu würden auch die zwischenzeitlich eingeführten Rufbusverbindungen beitragen. Direkte Verbindungen von allen Orten zu jedem einzelnen Schulstandort, seien aus Gründen der Fahrgastzahlen und der Wirtschaftlichkeit kaum zu realisieren. „Dabei bitten wir auch zu bedenken, dass wir die weiterführenden Schulen an mehreren Standorten im Landkreis verteilt haben, sodass die Anfahrtswege vom jeweiligen Wohnort vergleichsweise kurz sind“, erklärt der Landrat.
Die Gufflers holen Pia, wenn es der Alltag der Berufstätigen zulässt, ab und zu mit dem Auto von der Schule ab. Das machen viele Eltern. Zuletzt wurde darüber berichtet, im Zusammenhang mit „Helikopter-Eltern“– eine Abwertung für überfürsorgliche Väter und Mütter. „Das hat nun mal auch andere Gründe, als dass das alles Helikopter-Eltern sind“, sagt Sabine Guffler.