Donau Zeitung

Wenn der Bus eine Stunde zur Schule braucht

Eine Elfjährige aus Dattenhaus­en braucht knapp eine Stunde zur Schule in Dillingen. Bessere Busverbind­ungen würden nicht nur ihr helfen. Ihre Familie warnt: So stirbt das Dorf aus

- VON JAKOB STADLER

Eine Familie aus Ziertheim-Dattenhaus­en warnt: Will man die Dörfer retten, muss man den Nahverkehr verbessern.

Dattenhaus­en Pias Wecker schellt um 6 Uhr. Die Elfjährige macht sich bereit für den Schultag, zu einer Zeit, zu der ihre Freundinne­n noch schlummern. Doch die müssen ja nicht den Bus nach Dillingen erwischen, der um 6.50 Uhr an der Dattenhaus­er Haltestell­e vorfährt.

Mit dem Auto sind es vom Ziertheime­r Ortsteil etwa 20 Minuten zur Schule. Doch mit dem Auto würde man eine andere Strecke fahren. Klar, dass der Bus die anderen Gemeinden, Ortsteile und Siedlungen innerhalb der Verwaltung­sgemeinsch­aft Wittisling­en abfährt. Doch dann geht es nach Lauingen, bevor der Bus den Weg nach Dillingen einschlägt. An der Rosenstraß­e, wo Pia aussteigt, kommt der Bus laut Fahrplan um 7.37 Uhr an – wenn er keine Verspätung hat. Laut Familie Guffler wird es für Pia oft knapp, rechtzeiti­g zum Unterricht­sbeginn um 7.55 im Klassenzim­mer zu sitzen. Wenn in der ersten Stunde eine Schulaufga­be ansteht, nehmen einige Kinder den Bus eine halbe Stunde früher. Mutter Sabine Guffler fragt: „Warum kann nicht ein Bus nach Lauingen und einer nach Dillingen fahren?“

Nun ist den Gufflers bewusst, dass Dattenhaus­en mit seinen 291 Einwohner nicht für die gute Anbindung bekannt ist. Pias älteren Geschwiste­r Jonas und Lena sind auch nach Dillingen gependelt. Mutter Sabine Guffler ist in dem Ziertheime­r Ortsteil aufgewachs­en und ebenfalls mit dem Bus nach Dillingen in die Schule gefahren. Vor 30 Jahren war der Fahrplan, so erzählt sie, genau der gleiche. Nur nachmittag­s gebe es zwei zusätzlich­e Fahrten. Und seit Kurzem sind die Busse klimatisie­rt – eine wichtige Neuerung, über die sich die Gufflers freuen. Die Strecke aber ist die gleiche. Das hat die Familie bereits mehrfach moniert, hat sich mit dem Landkreis und der Betreiberf­irma Regionalbu­s Augsburg in Verbindung gesetzt. Passiert ist nichts. Das sei sehr komplizier­t, habe man gesagt. „Das macht natürlich einen Haufen Arbeit“, sagt Sabine Guffler. Doch nach 30 Jahren sei eine Verbesseru­ng angemessen.

Vater Manuel Guffler kommt aus Dillingen, ist als Schulkind gegen halb 8 Uhr aufgestand­en und erklärt: „Klar kann man sagen: Die hätten ja auch nach Dillingen ziehen können. Aber wenn das jeder macht, dann stirbt das Dorf aus.“

Das Problem betrifft nicht nur Schulkinde­r. Jonas, der 17-jährige Sohn der Familie, fährt für seine Ausbildung nach Donaualthe­im. Mit dem Moped, weil es keine vernünftig­e Verbindung gibt. Im Winter fahren ihn meistens seine Eltern.

Lena, 18, die ältere Tochter der Gufflers, studiert in Neu-Ulm. Sie fährt mit dem Auto nach Giengen und von dort mit dem Zug weiter. Ihr Semesterti­cket deckt fast ausschließ­lich Baden-Württember­g ab. Dort kommt sie bis zum Bodensee. Doch im Landkreis gilt das Ticket weder für Züge noch für Busse.

Auch für ältere Dorfbewohn­er ist die Anbindung ein Problem. Für diejenigen, die nicht fit genug zum Autofahren sind, ist jeder Einkauf eine Tortur. Ehrenamtli­che Nachbarsch­aftshilfen gibt es, ohne sie wäre es für einige Senioren kaum möglich, im Dorf zu wohnen. Für die, die den Bus viel nutzen, kommen die aus ihrer Sicht zu hohen Ticketprei­se hinzu. Wer kann, nimmt das Auto.

Manuel Guffler sagt: „Wenn man nicht will, dass die Dörfer aussterben, muss man etwas am Nahverkehr tun.“Dattenhaus­en ist dafür lediglich ein Beispiel. Sabine Guffler erklärt: „Das ist ja in Bissingen und anderswo genauso schwierig.“

Dabei ist es erklärter politische­r Wille, etwas gegen das Dörferster­ben zu tun. Knapp 90 Prozent der Wähler haben bei der Volksabsti­mmung, die mit der Landtagswa­hl 2013 stattfand, dafür gestimmt, dass der Freistaat „gleichwert­ige Lebensbedi­ngungen und Arbeitsver­hältnisse in ganz Bayern, in Stadt und Land, fördert und sichert“. Die Enquetekom­mission für gleichwert­ige Lebensbedi­ngungen hat dafür Empfehlung­en vorgelegt. Dazu gehört ein Mindesttak­t für Busse im ländlichen Raum.

Hans Peter Müller von der Betreiberg­esellschaf­t Regionalbu­s Augsburg (RBA) sagt: „Der ÖPNV ist sehr schwer eigenwirts­chaftlich zu betreiben.“Über Ticketprei­se sei der Betrieb nicht finanzierb­ar, stattdesse­n subvention­iert der Landkreis. Wie viele Busse welche Strecken wie oft fahren, sei immer ein Abwägen. „So ist das Angebot für einzelne Personen nicht unbedingt attraktiv“, sagt Müller. Strecken und Fahrzeiten sind vertraglic­h geregelt. Das heißt: „Ohne Kreis können wir gar nichts ändern.“Zur Höhe der Ticketprei­se sagt er: „Tarife sind im Gefühl derer, die sie bezahlen müssen, immer zu hoch. Auf der anderen Seite reichen sie nicht aus.“

Landrat Leo Schrell erklärt: „Wenngleich aus organisato­rischen und finanziell­en Gründen nicht jeder Wunsch erfüllt werden kann, sind wir der Meinung, dass unsere Busanbindu­ngen an die Schulorte gut sind.“Dazu würden auch die zwischenze­itlich eingeführt­en Rufbusverb­indungen beitragen. Direkte Verbindung­en von allen Orten zu jedem einzelnen Schulstand­ort, seien aus Gründen der Fahrgastza­hlen und der Wirtschaft­lichkeit kaum zu realisiere­n. „Dabei bitten wir auch zu bedenken, dass wir die weiterführ­enden Schulen an mehreren Standorten im Landkreis verteilt haben, sodass die Anfahrtswe­ge vom jeweiligen Wohnort vergleichs­weise kurz sind“, erklärt der Landrat.

Die Gufflers holen Pia, wenn es der Alltag der Berufstäti­gen zulässt, ab und zu mit dem Auto von der Schule ab. Das machen viele Eltern. Zuletzt wurde darüber berichtet, im Zusammenha­ng mit „Helikopter-Eltern“– eine Abwertung für überfürsor­gliche Väter und Mütter. „Das hat nun mal auch andere Gründe, als dass das alles Helikopter-Eltern sind“, sagt Sabine Guffler.

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