Die Hölle in der Höhe
Flugangst ist ein sehr verbreitetes Problem. Sie kann sich sogar bei routinierten Vielfliegern plötzlich entwickeln. Etwa, wenn im Leben vieles aus dem Ruder läuft. Was man dagegen tun kann
Schon auf der Fahrt zum Flughafen geht es los: Das Herz schlägt heftig und der Puls rast, die Atemfrequenz ist erhöht. Die hektische Atmosphäre am Flughafen erhöht das ohnehin mulmige Gefühl. Schweißausbruch, Schwindel und zitternde Hände kommen hinzu. Instinktiv will man umkehren, auf dem Boden bleiben. So oder ähnlich beschreiben Betroffene ihre Angstzustände vor dem Abflug. Andere spüren die Flugangst schon Tage vor dem Abheben und manche planen erst gar keine Flugreise. Ihre Flugangst lässt jedes noch so attraktive Urlaubsziel verblassen. Ferne Strände und exotische Reiseziele scheinen unerreichbar. Doch oft gehört es auch zum beruflichen Alltag, mobil zu sein: Heute das Treffen in Hamburg, morgen der Termin in Mailand. Was tun, wenn die Flugangst einen nicht ins Flugzeug steigen lässt?
Die Aviophobie, wie Flugangst im wissenschaftlichen Sprachgebrauch heißt, ist kein seltenes Phänomen. Ungefähr 16 Prozent aller Deutschen leiden unter Flugangst. Dazu kommen weitere 22 Prozent, die sich beim Fliegen nicht wohl fühlen. „Flugangst macht sich – wie andere Phobien auch – mit starken körperlichen Symptomen bemerkbar“, erklärt Sascha Thomas. Der DiplomPsychologe und psychologische Psychotherapeut mit eigener Praxis in München ist seit seiner Studienzeit auch als Flugbegleiter bei der Lufthansa tätig und hat sich auf Flugangst spezialisiert. Er leitet Seminare, in denen Betroffene lernen, mit ihrer Angst umzugehen oder sie im besten Fall ganz zu verlieren. „Schwindel, Herzrasen, Harndrang, Übelkeit – das ganze vegetative System ist in Aufruhr“, schildert er die typischen Anzeichen. Was sich im Innern der betroffenen Person abspielt, kann ganz unterschiedlich sein und hängt davon ab, wo die Angst gelagert ist.
Der eine hat Angst vor einer Panikattacke, vor Kontrollverlust im Flugzeug, was für ihn total peinlich sein würde. Ein anderer hat Katastrophenfantasien, denkt nur noch an Turbulenzen und Absturz. Die enge Röhre im Flugzeug kann für Passagiere, die unter Klaustrophobie leiden, belastend sein, wieder andere haben Höhenangst und kommen nicht damit zurecht, dass sie sich im Flugzeug in großer Höhe über dem Erdboden befinden.
Darüber hinaus fühlen sich manche Flugreisende äußerst unwohl, weil sie an Bord die Kontrolle abge- und den Piloten vertrauen müssen. Wo die Ursachen auch liegen – das Auftreten von Flugangst hat nichts mit Flugerfahrung zu tun. „Die Angst kann sich entwickeln, auch bei Vielfliegern“, erläutert Sascha Thomas. „Meist ist es so: Da passiert etwas, das haut einen von den Beinen. Das kann der Tod eines Angehörigen sein oder die Scheidung vom Ehepartner. Aber auch eine schlechte Erfahrung beim Fliegen wie etwa ein Durchstartmanöver oder wetterbedingte heftige Turbulenzen können die Auslöser sein.“In diesen zuletzt genannten Fällen habe die anschließende Verarbeitung des Geschehens nicht geklappt, so Thomas. Falsche oder zu wenig Informationen vom Kabinenpersonal oder den Piloten können dann zur Phobie führen.
Wie die meisten Angststörungen kann auch die Flugangst erfolgreich oder zumindest gelindert werden. Manchmal hilft schon die Lektüre eines der vielen Ratgeberbücher zum Thema, die näher auf die Ursachen der Flugangst eingehen, Hintergründe des Fliegens erläutern und Entspannungsmethoden vorstellen.
Wer es alleine nicht schafft, sollte sich psychologischen Beistand holen, entweder in Einzeltherapiesitzungen oder in Form einer Gruppentherapie. So bieten beispielsweise Fluggesellschaften wie die Lufthansa in Kooperation mit Seminaranbietern Kurse gegen Flugangst an. Sie dauern ein oder zwei Tage und schließen am Ende auch einen begleiteten innerdeutschen Flug der Kursteilnehmer mit ein.
„In den meisten Fällen hilft die Konfrontationsmethode. Man muss die bestehenden Befürchtungen angehen“, meint Thomas. In den Semiben naren wird zunächst die individuelle Ausprägung der Flugangst thematisiert, die bei jedem Kursteilnehmer unterschiedlich sein kann. Oft bedeutet schon die Tatsache, mit seiner Angst ernstgenommen zu werden, eine Erleichterung. Einen wesentlichen Bestandteil der Seminare stellen die Unterrichtseinheiten mit einem Piloten dar. Mancher Passagier fühlt sich schon sicherer, wenn er mehr darüber erfährt, was rund um den Flug passiert. Gerade in leichteren und frühen Phasen der Flugangst kann das Wissen über die Wartung der Flugzeuge, über das Durchchecken aller Funktionen vor dem Start und über Probeläufe beruhigen. Wie sind die physikalischen Abläufe beim Fliegen? Was passiert, wenn ein Triebwerk ausfällt? Was haben die vielen Geräusche im Flugzeug zu bedeuten? Die Beantwortung dieser Fragen macht aus nebulösen Gefahbehandelt ren beherrschbare Fakten, mit denen die Angst in Schach gehalten werden kann.
Darüber hinaus sind Entspannungsübungen hilfreich, um die Angst beim Flug in den Griff zu bekommen. Bei Angst verspannt sich die Muskulatur. Gelingt es, sie zu lockern, kann auch das Angstempfinden nicht so stark werden. Mit Yoga, Atemtechniken oder Progressiver Muskelentspannung kann man zudem sofort reagieren, wenn die Ängste hochsteigen. „Manchen hilft auch schon ein Talisman“, sagt der Psychologe Sascha Thomas. Andere schreiben sich Mut machende Sätze auf Karteikärtchen, die sie in der Tasche bei sich tragen.
Medikamente wie etwa Psychopharmaka gegen Angststörungen sind nicht zu empfehlen. „Sie entkoppeln den Geist vom Körper, aber die eigentliche Befürchtung bleibt bestehen. Sie stellen höchstens eine kurzfristige Lösung für den Moment dar“, so Thomas. Die starken Beruhigungsmittel tragen nicht dazu bei, die Flugangst zu überwinden, sondern übertünchen sie nur. Hört ihre Wirkung auf, kommt die Angst mitunter stärker zurück als sie zuvor war. Sascha Thomas rät dem Passagier mit Flugangst, sich dem Kabinenpersonal mitzuteilen, denn das nimmt oft schon einen Teil der Anspannung. Ein vermehrter Blickkontakt mit der Stewardess kann dann schon reichen, die Angst abzuschwächen.