Donau Zeitung

„Das Geld kommt von Suchtkrank­en“

Ein ehemaliger Spielsücht­iger wünscht sich nach seiner Therapie einen anderen Umgang der Politik mit den Spielhalle­n im Landkreis. Vor allem in Lauingen steigen Umsatz und Angebot im Glücksspie­l aber seit Jahren

- VON JAKOB STADLER

Landkreis „Man lügt viel“, sagt der Mann. Anders gehe es nicht. „Wie rechtferti­gst du sonst jeden Monat, dass dir schon wieder 500 Euro fehlen?“So oft könne man seinen Geldbeutel gar nicht verlieren. Dann gehe man nicht mehr zur Arbeit. „Weil man es nervlich nicht mehr packt.“Oder man habe so viel Geld verspielt, dass man nicht mehr tanken kann.

Der 40-Jährige aus dem westlichen Landkreis spricht offen über sein Problem, seine Krankheit, die er sich seit etwa einem Dreivierte­ljahr eingesteht und durch eine Therapie in den Griff bekommen hat. Online hat er nie gezockt. Doch zehn Jahre lang hing er regelmäßig an den Automaten der Spielhalle­n im Landkreis. Nur bestimmte Details will er nicht nennen. So möchte er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Und er möchte nicht verraten, wie viel Geld er verspielt hat. Die Caritas erklärt, ein Glücksspie­lsüchtiger habe im Schnitt 24000 Euro Schulden, bevor er in eine Beratungss­telle geht.

„Pathologis­cher Glücksspie­ler“lautete die Diagnose des 40-Jährigen, umgangsspr­achlich sagt man Spielsucht. Doch der Zwang ist – hoffentlic­h – überwunden. Er hat eine Therapie gemacht und hofft, dass er es schafft, nicht wieder mit dem Spielen anzufangen. „Es gibt keine Garantie, dass man zu 100 Prozent geheilt ist.“

Was ihm hilft: Er ist nun in den Spielhalle­n gesperrt. Das war nicht leicht. Anders als in anderen Bundesländ­ern, gibt es in Bayern keinen rechtlich geregelten Anspruch für sich sperren zu lassen. Viele Spielhalle­nbetreiber sprechen aber auf Anfrage ein Hausverbot aus. Für den 40-Jährigen hieß das, er musste in die Casinos gehen, die er früher so oft besucht hat, und dort die Sperre gegen sich selbst erwirken. Die meisten hätten gleich mitgemacht, bei anderen war es schwerer. „Man wird ein bisschen blöd angeschaut“, sagt er. „Einmal wurde mir gesagt: Ja, dann komm halt nicht mehr rein.“So einfach sei es natürlich nicht.

Bei ihm war es ein langer Prozess, bis er sich das Problem eingestehe­n konnte. „Du hast keine gute Laune mehr“, beschreibt er. „Aber man kann ja gut schauspiel­ern.“Irgendwann kam der Entschluss, sich loszu- sagen. Nicht nur vom Spielen, sondern auch von seinem sozialen Umfeld. In seinem Bekanntenk­reis sei viel getrunken worden, auch gekifft. „Ich habe mir irgendwann gedacht, da bin ich mir zu schade für.“Er ging zu seinem Hausarzt. Der Arzt schrieb ihn für eine Weile krank, wegen seiner Depression­en.

Weitere Hilfe erhielt er von der Caritas. Er stellte einen Antrag auf Reha, besuchte eine Motivation­sgruppe. Dabei lernte er Menschen mit dem gleichen Problem kennen, aus allen Gesellscha­ftsschicht­en. Polizisten, Manager, einfache Arbeiter. Zu einer Selbsthilf­egruppe geht er zur Nachsorge immer noch – auch wenn es im Landkreis kein Treffen gibt, das sich speziell an Spieler richGlücks­spielsücht­ige, tet. Doch er sieht Parallelen in Geschichte­n anderer Süchtiger der Gruppe, die versuchen, von Alkohol loszukomme­n oder von Drogen. „Man braucht einen guten sozialen Rückhalt. Bei mir sind’s die Eltern.“

Die Landesstel­le Glücksspie­lsucht veröffentl­icht Zahlen für alle Kommunen mit mehr als 10000 Einwohnern. Diese zeigen die Entwicklun­g in den beiden größten Landkreiss­tädten. In Dillingen werden Spielhalle­n seit 2011 im Innenstadt­bereich durch den Bebauungsp­lan verhindert. Wegen des Bestandssc­hutzes gibt es dort nach wie vor einen Standort mit 24 Automaten. In Lauingen sind es sechs Casinos und 130 Automaten. Noch im Jahr 2002 waren es dort 30 Automaten, verteilt auf drei Casinos. Der Kasseninha­lt in Lauingen – also der Umsatz, der nach Ausschüttu­ng der Gewinne bleibt – lag 2002 bei 550000 Euro. 2016 bei 3,79 Millionen Euro. In Dillingen lag er 2016 bei knapp 700000 Euro – 2002 bei 400000 Euro.

Spielautom­aten gibt es auch in Bars, in der Statistik tauchen diese nicht auf. Häufig sieht man jemanden, der dort sitzt und spielt. Über Stunden. Manchmal sogar an zwei Automaten, um die rechtlich vorgeschri­ebenen Limits zu umgehen, die verhindern sollen, dass man pro Stunde mehr als 60 Euro verliert. Auf die Frage, ob diese Leute alle spielsücht­ig sind, antwortet der Ex-Spielsücht­ige aus dem Landkreis kurz mit einem nachdenkli­chen Schweigen. Dann erwidert er: „Ich würde sagen: ja. Aber man gesteht sich das eben nicht ein.“

Klar ist, dass Kommunen über die Gewerbeste­uer vom Glücksspie­l profitiere­n. Die Betreiber der Spielhalle­n spenden auch gelegentli­ch für wohltätige Zwecke. Der 40-Jährige findet das besonders bedrückend. „Dieses ganze Geld, das kommt ja nur von den Spielern“, sagt er. „Das Geld kommt von Suchtkrank­en.“Er wünscht sich, dass eingegriff­en wird. Und zwar auch von den Kommunen: „Das Thema ist ja hier vor Ort.“Die Betreiber der Spielhalle­n würden bei auffällige­m Spiel nicht handeln – schließlic­h verdienten sie damit ihr Geld. Weniger Läden, das würde schon helfen. Bei der Auswahl, gerade in Lauingen, würden die Spielsücht­igen immer wieder das Casino wechseln. So könne das Problem kaum erkannt werden.

Deshalb wünscht er sich eine Registrier­ungspflich­t für Spieler in den Spielhalle­n. So könnten sie nur an einem Ort zocken, und extremes Spielen würde leichter auffallen. Außerdem bräuchte es seiner Meinung nach Regeln, wie viel Geld in den Hallen gewechselt werden darf. Während es an den Automaten eine Sperre gebe, um zu verhindern, dass zu viel Geld in kurzer Zeit verloren wird, können die Spieler so viel Geld, wie sie wollen, in Zwei-Euro-Münzen wechseln.

Die seelische Erkrankung sei ein extrem schwierige­s Tabuthema, sagt der 40-Jährige. Er hat den Schritt gewagt. Und er will seine Situation weiter verändern. „Die meisten in meinem Alter sind ja verheirate­t“, sagt er. „Es kann doch nicht sein, dass ich das nicht auf die Reihe bekomme.“

 ?? Foto: Jakob Stadler ?? Wer aus Dillingen nach Lauingen fährt, dem fällt diese Spielhalle ins Auge. In der Al bertus Magnus Stadt gibt es 130 Spielautom­aten in sechs Casinos.
Foto: Jakob Stadler Wer aus Dillingen nach Lauingen fährt, dem fällt diese Spielhalle ins Auge. In der Al bertus Magnus Stadt gibt es 130 Spielautom­aten in sechs Casinos.

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