„Das Geld kommt von Suchtkranken“
Ein ehemaliger Spielsüchtiger wünscht sich nach seiner Therapie einen anderen Umgang der Politik mit den Spielhallen im Landkreis. Vor allem in Lauingen steigen Umsatz und Angebot im Glücksspiel aber seit Jahren
Landkreis „Man lügt viel“, sagt der Mann. Anders gehe es nicht. „Wie rechtfertigst du sonst jeden Monat, dass dir schon wieder 500 Euro fehlen?“So oft könne man seinen Geldbeutel gar nicht verlieren. Dann gehe man nicht mehr zur Arbeit. „Weil man es nervlich nicht mehr packt.“Oder man habe so viel Geld verspielt, dass man nicht mehr tanken kann.
Der 40-Jährige aus dem westlichen Landkreis spricht offen über sein Problem, seine Krankheit, die er sich seit etwa einem Dreivierteljahr eingesteht und durch eine Therapie in den Griff bekommen hat. Online hat er nie gezockt. Doch zehn Jahre lang hing er regelmäßig an den Automaten der Spielhallen im Landkreis. Nur bestimmte Details will er nicht nennen. So möchte er seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Und er möchte nicht verraten, wie viel Geld er verspielt hat. Die Caritas erklärt, ein Glücksspielsüchtiger habe im Schnitt 24000 Euro Schulden, bevor er in eine Beratungsstelle geht.
„Pathologischer Glücksspieler“lautete die Diagnose des 40-Jährigen, umgangssprachlich sagt man Spielsucht. Doch der Zwang ist – hoffentlich – überwunden. Er hat eine Therapie gemacht und hofft, dass er es schafft, nicht wieder mit dem Spielen anzufangen. „Es gibt keine Garantie, dass man zu 100 Prozent geheilt ist.“
Was ihm hilft: Er ist nun in den Spielhallen gesperrt. Das war nicht leicht. Anders als in anderen Bundesländern, gibt es in Bayern keinen rechtlich geregelten Anspruch für sich sperren zu lassen. Viele Spielhallenbetreiber sprechen aber auf Anfrage ein Hausverbot aus. Für den 40-Jährigen hieß das, er musste in die Casinos gehen, die er früher so oft besucht hat, und dort die Sperre gegen sich selbst erwirken. Die meisten hätten gleich mitgemacht, bei anderen war es schwerer. „Man wird ein bisschen blöd angeschaut“, sagt er. „Einmal wurde mir gesagt: Ja, dann komm halt nicht mehr rein.“So einfach sei es natürlich nicht.
Bei ihm war es ein langer Prozess, bis er sich das Problem eingestehen konnte. „Du hast keine gute Laune mehr“, beschreibt er. „Aber man kann ja gut schauspielern.“Irgendwann kam der Entschluss, sich loszu- sagen. Nicht nur vom Spielen, sondern auch von seinem sozialen Umfeld. In seinem Bekanntenkreis sei viel getrunken worden, auch gekifft. „Ich habe mir irgendwann gedacht, da bin ich mir zu schade für.“Er ging zu seinem Hausarzt. Der Arzt schrieb ihn für eine Weile krank, wegen seiner Depressionen.
Weitere Hilfe erhielt er von der Caritas. Er stellte einen Antrag auf Reha, besuchte eine Motivationsgruppe. Dabei lernte er Menschen mit dem gleichen Problem kennen, aus allen Gesellschaftsschichten. Polizisten, Manager, einfache Arbeiter. Zu einer Selbsthilfegruppe geht er zur Nachsorge immer noch – auch wenn es im Landkreis kein Treffen gibt, das sich speziell an Spieler richGlücksspielsüchtige, tet. Doch er sieht Parallelen in Geschichten anderer Süchtiger der Gruppe, die versuchen, von Alkohol loszukommen oder von Drogen. „Man braucht einen guten sozialen Rückhalt. Bei mir sind’s die Eltern.“
Die Landesstelle Glücksspielsucht veröffentlicht Zahlen für alle Kommunen mit mehr als 10000 Einwohnern. Diese zeigen die Entwicklung in den beiden größten Landkreisstädten. In Dillingen werden Spielhallen seit 2011 im Innenstadtbereich durch den Bebauungsplan verhindert. Wegen des Bestandsschutzes gibt es dort nach wie vor einen Standort mit 24 Automaten. In Lauingen sind es sechs Casinos und 130 Automaten. Noch im Jahr 2002 waren es dort 30 Automaten, verteilt auf drei Casinos. Der Kasseninhalt in Lauingen – also der Umsatz, der nach Ausschüttung der Gewinne bleibt – lag 2002 bei 550000 Euro. 2016 bei 3,79 Millionen Euro. In Dillingen lag er 2016 bei knapp 700000 Euro – 2002 bei 400000 Euro.
Spielautomaten gibt es auch in Bars, in der Statistik tauchen diese nicht auf. Häufig sieht man jemanden, der dort sitzt und spielt. Über Stunden. Manchmal sogar an zwei Automaten, um die rechtlich vorgeschriebenen Limits zu umgehen, die verhindern sollen, dass man pro Stunde mehr als 60 Euro verliert. Auf die Frage, ob diese Leute alle spielsüchtig sind, antwortet der Ex-Spielsüchtige aus dem Landkreis kurz mit einem nachdenklichen Schweigen. Dann erwidert er: „Ich würde sagen: ja. Aber man gesteht sich das eben nicht ein.“
Klar ist, dass Kommunen über die Gewerbesteuer vom Glücksspiel profitieren. Die Betreiber der Spielhallen spenden auch gelegentlich für wohltätige Zwecke. Der 40-Jährige findet das besonders bedrückend. „Dieses ganze Geld, das kommt ja nur von den Spielern“, sagt er. „Das Geld kommt von Suchtkranken.“Er wünscht sich, dass eingegriffen wird. Und zwar auch von den Kommunen: „Das Thema ist ja hier vor Ort.“Die Betreiber der Spielhallen würden bei auffälligem Spiel nicht handeln – schließlich verdienten sie damit ihr Geld. Weniger Läden, das würde schon helfen. Bei der Auswahl, gerade in Lauingen, würden die Spielsüchtigen immer wieder das Casino wechseln. So könne das Problem kaum erkannt werden.
Deshalb wünscht er sich eine Registrierungspflicht für Spieler in den Spielhallen. So könnten sie nur an einem Ort zocken, und extremes Spielen würde leichter auffallen. Außerdem bräuchte es seiner Meinung nach Regeln, wie viel Geld in den Hallen gewechselt werden darf. Während es an den Automaten eine Sperre gebe, um zu verhindern, dass zu viel Geld in kurzer Zeit verloren wird, können die Spieler so viel Geld, wie sie wollen, in Zwei-Euro-Münzen wechseln.
Die seelische Erkrankung sei ein extrem schwieriges Tabuthema, sagt der 40-Jährige. Er hat den Schritt gewagt. Und er will seine Situation weiter verändern. „Die meisten in meinem Alter sind ja verheiratet“, sagt er. „Es kann doch nicht sein, dass ich das nicht auf die Reihe bekomme.“