„Aufhängen oder erschießen“
Reichsbürger geraten in Konflikt mit einem Jobcenter-Mitarbeiter. Nicht nur dafür verurteilt sie das Amtsgericht
Dillingen Es ging um versuchte Nötigung, falsche Verdächtigung und Urkundenfälschung. Angeklagt waren eine Frau (55) und ein Mann (52) aus dem westlichen Landkreis sowie ein Ehepaar (42 und 27) aus dem angrenzenden Baden-Württemberg. Vom Amtsgericht Dillingen (Vorsitzende Richterin Gabriele Held) wurden alle vier zu Geldstrafen verurteilt, außerdem müssen sie die Kosten des Verfahrens tragen.
Der Ausgangspunkt: Eine arbeitslose 55-Jährige und Arbeitslosengeld-II-Bezieherin aus dem westlichen Landkreis erhielt 2016 vom Jobcenter die Aufforderung, sich bei Arbeitgebern für eine Stelle zu bewerben. Gegenüber dem Sachbearbeiter des Jobcenters habe sie immer ihren Arbeitswillen betont, sagte sie. Allerdings, so die Frau, habe sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie nicht für Zeitarbeitsfirmen arbeiten wolle sowie für Firmen, „die konträr zu meiner Weltanschauung“stehen. Als man sich nach einigem Hin und Her schließlich auf eine Firma geeinigt hatte, schickte die Frau per E-Mail einen Fragebogen an den potenziellen Arbeitgeber. Darin wurde dieser gefragt, ob das Unternehmen Schulden habe, bei wem und in welcher Höhe. „Sind Sie schwanger oder planen Sie, es zu werden?“, war eine weitere Frage. Und schließlich: „Sind Sie Mitglied einer Freimaurerloge beziehungsweise einer linksextremistischen Vereinigung, wenn ja welcher?“Die letzte Frage lautete: „Beteiligen Sie sich an der herrschenden Überfremdungs- und Umvolkungspolitik der Berliner Besatzungspolitik?“Als Folge erhielt sie von dem Unternehmen weder eine Antwort, geschweige denn den Job.
Das Arbeitsamt zweifelte daraufhin am Arbeitswillen der Angeklagten. Sie habe die Fragen nur gestellt, um eine Ablehnung seitens der Firma herbeizuführen. Es kam zu einer Kürzung des Arbeitslosengeldes für drei Monate. Die 55-jährige Angeklagte unterstellte daraufhin dem Sachbearbeiter des Jobcenters psychische Probleme und stellte gegen ihn einen Antrag auf Betreuung. Die Angeklagten gingen zudem mit Strafanzeigen bei der
Staatsarbeiter, anwaltschaft Augsburg gegen den Sachbearbeiter vor.
Im August 2016 kam es zu einem weiteren, längeren Gespräch im Jobcenter. Dazu hatte die 55-Jährige aus dem Landkreis den 42-Jährigen aus Baden-Württemberg als Rechtsbeistand mitgebracht. Auch der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebende Partner sowie die Frau des 42-Jährigen waren bei diesem Gespräch im Jobcenter anwesend. Dabei kam es zu einer schwerwiegenden Aussage, um deren Zuordnung es sich bei der Verhandlung am Amtsgericht Dillingen intensiv drehte. Nach einhelligen Angaben der Angeklagten habe der 42-Jährige aus Baden-Württemberg dem Sachbearbeiter damals die Frage gestellt, wo er sich in fünf Jahren beruflich sehe. Dieser habe geantwortet, dass er sich immer noch in seinem Job sehe, wobei er laut Behauptung der Angeklagten hinzugefügt habe, sofern es die BRD in fünf Jahren noch gebe. Der Angeklagte aus Baden-Württemberg habe dann nachgefragt, ob er ernsthaft glaube, dass es die BRD in fünf Jahren noch gebe. Dies habe der Sachbe- so die Behauptung der 55-jährigen Angeklagten, mit einem Achselzucken quittiert. Laut der 55-Jährigen habe der JobcenterSachbearbeiter damals zudem gesagt, wenn es die BRD dann nicht mehr geben würde, sei ihm klar, dass er entweder aufgehängt oder erschossen würde, wenn dann Leute wie der 42-jährige Baden-Württemberger etwas zu sagen haben würden.
Zum Termin vor dem Amtsgericht hatte Richterin Held den Jobcenter-Mitarbeiter als Zeugen geladen. Sie fragte ihn, ob es stimme, was die Angeklagten behaupteten. Der Zeuge antwortete: „Nein. Ich schließe aus, dass ich das gesagt habe.“Vielmehr habe es eine Person aus dem Kreis der Angeklagten gesagt. Allerdings könne er sich heute nicht mehr daran erinnern, wer es damals im Jahr 2016 gewesen sei, so der Zeuge. In einer früheren Aussage hatte er diese Aussage dem 42-Jährigen zugewiesen, der sich bei der Verhandlung im schwarzen T-Shirt mit weißer Fraktur-Schrift als sogenannter „Reichsbürger“zu erkennen gab. Er war es auch, der „eine beeindruckende“(Held) Vorstrafenliste von Diebstahl über Körperverletzung, Nötigung und Unterschlagung bis zum wiederholten Zeigen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorzuweisen hatte. Die Angeklagte aus dem westlichen Landkreis bezeichnete sich ebenso wie die anderen Angeklagten als Staatsangehörige des „Deutschen Reiches“und lehnte die Zuständigkeit des Gerichts ab. „Reichsbürger“leugnen die Existenz der Bundesrepublik als souveräner Staat und behaupten, das Deutsche Reich bestehe bis heute fort. Den Vertretern des Staates sprechen sie die Legitimation ab oder definieren sich als außerhalb des Rechtssystems stehend. Viele folgen verschwörungstheoretischen Argumentationsmustern. Sie statten sich mit Fantasie-Ausweisdokumenten (Aussteller: „Deutsches Reich“) aus.
Das war auch bei der Verhandlung in Dillingen Thema, da sich zwei der Angeklagten mit einem derartigen, von ihnen selbst unterschriebenen Dokument bei der Polizei in Dillingen ausgewiesen hatten, was ihnen als Urkundenfälschung angelastet wurde. Die Angeklagten haben gegen das Urteil Berufung eingelegt.