Was Erdogan wirklich denkt
Türkei Auf dem Rückflug aus Deutschland vergisst er die Diplomatie wieder und beschwert sich über die Behandlung durch seine Gastgeber
Istanbul Kaum hat Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan seinen Besuch in Deutschland beendet, greift der Türke wieder die Politik Berlins an. Im Gespräch mit türkischen Journalisten auf der Heimreise aus der Bundesrepublik stellte Erdogan zwar fest, dass beide Seiten einen engeren wirtschaftlichen Austausch anstreben. Beim zentralen politischen Streit über das Wesen des Rechtsstaates und die Meinungsfreiheit erneuerte Erdogan aber seine Vorwürfe an die Bundesrepublik. Nach wie vor betrachtet Erdogan die in Deutschland lebenden türkischen Regierungsgegner als Verbrecher und Terroristen, die an Ankara ausgeliefert werden müssen. Zudem lehnt er eine Freilassung von Bundesbürgern ab, die in der Türkei aus politischen Gründen in Haft sitzen.
Während seines Besuches hatte sich Erdogan noch lobend über die deutschen Gastgeber geäußert und seinen Kollegen Frank-walter Steinmeier einen „Freund“genannt. In seinen Kommentaren auf der Heimreise im Präsidenten-jet, die ans heimische Publikum gerichtet waren, klang dies ganz anders. Steinmeiers Tischrede beim Staatsbankett, in der das deutsche Staatsoberhaupt die schlechte Menschenrechtslage in der Türkei ansprach, sei „nicht sehr nett“gewesen.
Steinmeier habe in der Rede wohl auf die deutsche Innenpolitik geschielt, beschwerte sich Erdogan. In der Türkei werde ein Gast jedenfalls nicht auf diese Art behandelt. Beim Bankett hatte er in seiner Replik auf Steinmeier der Bundesrepublik vorgeworfen, „Terroristen“zu schützen und damit türkische Regierungsgegner gemeint, die in Deutschland leben.
Er könne nicht behaupten, dass alle Probleme zwischen beiden Staaten überwunden seien, sagte Erdogan im Flugzeug: Die Meinungen darüber, was „Terrorismus“darstelle und was nicht, gingen nach wie vor auseinander. Der Präsident bestätigte, dass die türkische Seite den deutschen Behörden eine Liste von 136 Personen übergeben hat, die Ankara ausgeliefert haben will. Von den deutschen Behörden verlangte er, sie sollten nicht nur auf die Darstellung von Regierungskritikern hören, sondern auch auf die „wahren Informationen“der zuständigen türkischen Stellen.
Mit besonderer Verärgerung kommentierte Erdogan das deutsche Verhalten im Fall des in Berlin lebenden Journalisten Can Dündar, der auch auf der Auslieferungsliste steht. Dündar hatte als Chefredakteur der Oppositionszeitung Cumhuriyet über mutmaßliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an syrische Rebellen berichtet und war deshalb wegen Geheimnisverrates in der Türkei zu knapp sechs Jahren Haft verurteilt worden. Berlin lehnt seine Auslieferung an die Türkei ab. „Was habt ihr denn mit dem zu schaffen?“, fragte Erdogan in dem Gespräch mit den Journalisten an die Deutschen gerichtet. „Wir haben ein Auslieferungsabkommen. Es ist eure Pflicht, ihn auszuliefern.“
Erst vor kurzem hatte Ankara eine Wiederbelebung politischer Reformen angekündigt, doch Erdogans Bilanz des Deutschland-besuches zeigt, dass substanzielle Veränderungen kaum zu erwarten sind. Dabei weisen Regierungskritiker und Wirtschaftsvertreter in der Türkei darauf hin, dass eine Rückkehr zu rechtsstaatlichen Verhältnissen eine Bedingung dafür ist, dass die krisengeschüttelte türkische Wirtschaft bei Investoren neues Vertrauen schaffen kann. Ankara setzt große Hoffnungen auf den Besuch von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, der am 25. Oktober mit einer großen Unternehmerdelegation in Ankara erwartet wird.
Er verlangt die Auslieferung des Journalisten Dündar