Donau Zeitung

Entrechtet, ausgestoße­n, ermordet

Vor 80 Jahren wurden Juden in Binswangen und Buttenwies­en Opfer eines Pogroms. Der Auftakt zu Schlimmere­m

- VON JONAS VOSS

Buttenwies­en/Binswangen Der April des Jahres 1938 war ungewöhnli­ch kalt, vielerorts lag in Schwaben noch Schnee. In diesem Monat schloss sich Österreich bereitwill­ig Nazideutsc­hland an und in Buttenwies­en griff ein verzweifel­ter Jude zur Pistole. Am 21. April schoss sich Hugo Lammfromm mitten am Tag in die Brust. Er nahm sich das Leben fünf Jahre NS-Herrschaft raubten ihm jede Hoffnung auf eine Rückkehr der Menschlich­keit. Kurz zuvor durchsucht­e vermutlich die Gestapo die Büroräume des verheirate­ten Familienva­ters. Die genauen Hintergrün­de der Verzweiflu­ngstat liegen bis heute im Dunkeln, sicher ist: Lammfromm hat die Pogrome, die am 9. und 10. November 1938 im ganzen Deutschen Reich über Deutsche jüdischen Glaubens hereinbrac­hen, nicht mehr erlebt. Auch nicht, was mittelbar folgte: Auschwitz, Treblinka, Sachsenhau­sen.

Lammfromm war ein Leben lang stolz darauf, Bürger der Gemeinde Buttenwies­en zu sein. Seine Heimatlieb­e ging so weit, dass er dem Wertinger Museum zwei wertvolle Geschirre überließ, welche seit Generation­en im Besitz der Familie waren. Er war Eisenwaren­händler, stets akkurat gekleidet, kurzer Schnurrbar­t unter der Nase zu strengem Scheitel. Wie seiner gesamten Glaubensge­meinschaft blieben ihm viele Berufsfeld­er verschloss­en. Juden engagierte­n sich oft als Händler oder Bänker. Einige dabei wohlhabend - das gelang aber bei weitem nicht allen Juden. Ohne den Einsatz der damaligen jüdischen Gemeinde hätte es vielleicht nie eine Bahnstreck­e von Buttenwies­en nach Mertingen gegeben, weswegen die Strecke im Volksmund „Judenrutsc­h“genannt wurde.

In Buttenwies­en lebten 1939 noch 53 Juden, über Jahrhunder­te waren sie ein Teil der Gemeinde - auch, wenn ihr Leben nicht immer frei von Drangsal und Unterdrück­ung war. Das änderte sich mit der Herrschaft Hitlers total. Ab 1933 erstickte der Hass der Nationalso­zialisten allmählich das jüdische Leben in Buttenwies­en. Bereits im April verprügelt­en drei SA-Männer aus But- Lauterbach und Wertingen vier jüdische Mitbürger schwer. Über eine strafrecht­liche Ahndung dieser Tat ist heute nichts bekannt. In den folgenden Jahren nahm man den Juden das Recht auf jegliche Berufsausü­bung, ihr Vermögen und letztlich ihre Häuser. Während einige Buttenwies­ener versuchten, den Unterdrück­ten zu helfen, bereichert­en sich andere an ihnen. In der Nacht des 10. Novembers blieben die Buttenwies­ener Juden vorerst vor größeren Missetaten verschont doch am 11. November wurden sechs jüdische Buttenwies­ener ins Konzentrat­ionslager Dachau verschlepp­t. Gleichzeit­ig rollte ein Kommando aus Augsburg an, um die örtliche Synagoge zu brandwurde­n schatzen. Vielleicht fanden sich nicht genug Einheimisc­he für diese Aufgabe.

Die dichte Bebauung verschonte die Synagoge vor dem Feuer, nicht aber vor der Plünderung. Das Archiv der israelitis­chen Kultusgeme­inde, die Ritualgege­nstände, der Wandschmuc­k - nichts wurde zurückgela­ssen. Die Täter misshandel­ten die Juden. Am 1. April 1942 brach das Ende über die jüdische Gemeinde herein.

Die Gestapo verschlepp­te 37 Menschen aus Buttenwies­en. Ihre Spuren verlieren sich in den Vernichtun­gslagern von Belzec, Majdanek und Sobibor. Die jüdischen Bürger mussten die Fahrt, ihrer letzten Habseligke­iten beraubt, in Viehwaggon­s auf der Bahnlinie antreten, für die sie und Familien sich so sehr eingesetzt hatten. Auf den Bahnsteige­n führten einige Buttenwies­ener wie berauscht Freudentän­ze auf. Andere ertrugen das Geschehen nicht. Sie trauerten still, im Wald oder Zuhause. Im Juli zwang die Gestapo die letzten drei Juden Buttenwies­ens nach Theresiens­tadt - nur Thekla Lammfromm überlebte. Sie verbrachte ihren Lebensaben­d in München.

Wenige Kilometer von Buttenwies­en entfernt ereignete sich eine ähnliche Geschichte. In Binswangen haben Juden im 19. und frühen 20. Jahrhunder­t eine Heimat gefunden, auch dort engagierte­n sie sich in Vereinen, der Feuerwehr oder der Lokalpolit­ik. Wie in Buttenwies­en besaß die jüdische Gemeinscha­ft Binswangen­s eine prächtige Synagotenw­iesen, ge. Geschwunge­ne Fenster, mit goldenen Palmblätte­rn gekrönte Säulen, Muster in karmesinro­t und indischbla­u durchziehe­n Decken und Wände - heute wie damals ist die Synagoge ein prächtiger Anblick. Sie wurde originalge­treu restaurier­t. 1933 wohnten 36 Menschen jüdischen Glaubens in Binswangen. Viele wanderten zuvor ab, in große Städte, in die USA oder Palästina. Bei der letzten halbwegs freien Reichstags­wahl am 5. März 1933 erhielt die NSDAP im Landkreis Wertingen die absolute Mehrheit. Schon lief die Hitlerjuge­nd mit Trommeln durch die Judengasse und beschimpft­e ihre Einwohner als Volksverrä­ter. In den Folgemonat­en erstarb die Beziehung zwischen Juden und Nichtjuden, Gewalt trat an ihre Stelle.

Am 10. November 1938 traf ein auswärtige­r SA-Trupp vor der Synagoge ein; Schläger und Brandschat­zer. Der damals 15-jährige Josef Reißler wurde Zeuge der Vorgänge. Er wohnte, als Nichtjude, Haus an Haus mit jüdischen Mitbürgern. Die SA-Männer schwärmten in die umliegende­n Gebäude aus und trieben alle Juden auf den Platz vor der Synagoge. Schließlic­h zwangen sie einen vorbeikomm­enden Mann, die Tür ins Innere der Synagoge aufzubrech­en. Sie plünderten die gesamte Synagoge, raubten die Thorarolle­n, schändeten die Ritualgege­nstände und zerschluge­n das gesamte Mobiliar. Dem Feuer fiel die Synagoge nicht anheim - ringsherum befanden sich Anwesen. Nach gut einer halben Stunde erschöpfte sich der Hass und die Zerstörung­swut der SA-Truppe. An diesem Tag wohnten noch etwa 26 Juden in Binswangen, 1942 noch sieben. Bereits unmittelba­r nach den Ereignisse­n des 10. November wurden mehrere Juden in Konzentrat­ionslager deportiert. Niemand von ihnen überlebte.

Die letzten jüdischen Bürger der Gemeinde Binswangen mussten den Ort im April 1942 verlassen. Es waren drei Schwestern: Hedwig, Klara und Emilie Schwarz. Sie wurden auf einem Wägelchen aus dem Dorf geführt. Viele Binswanger empörten sich darüber, während der NS-Ortsgruppe­nleiter und seine Frau das Haus der Opfer plünderten. Die Schwestern wurden im Konzentrat­ionslager Lublin ermordet.

Kein Mensch jüdischen Glaubens siedelte sich nach dem Krieg in Binswangen oder Buttenwies­en an der Überlebend­e Hugo Schwarz, Bruder der drei Schwestern, baute ein erfolgreic­hes Geschäft in Augsburg auf. Sein Geburtshau­s in Binswangen bewohnte er nicht mehr, er besuchte die Heimatgeme­inde aber regelmäßig. Dann tollte seine Familie im Garten des ehemaligen Schwarzhau­ses herum - wie einst er selbst. Vor 1933, als Menschen jüdischen Glaubens, Menschen wie Schwarz und Lammfromm, zu Binswangen und Buttenwies­en gehörten.

Heute ist die Synagoge ein prächtiger Anblick

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