Donau Zeitung

Die Gesellscha­ft unter dem Brennglas

Kabarett Mathias Tretter rast bei seinem Auftritt in Höchstädt durch die Themen unserer Zeit. „Pop“ist brutal klug

- VON JONAS VOSS

Höchstädt Gerüstet mit mehr als zwanzig Jahren Bühnenerfa­hrung, der heimische Trophäensc­hrank, sofern vorhanden, übervoll mit kleinen und großen Kabarettpr­eisen, hat Mathias Tretter vermutlich so ziemlich alles erlebt, was einem Live-Künstler passieren kann. Was kann diesen an den tiefen Abgründen des Wahnwitzes entlang balanciere­nden Wortkünstl­er also schrecken?

Sein Auftritt in der Kim-Sporthalle in Höchstädt zeigt: Zumindest kein flauer Magen. Wie Veranstalt­er Wolfgang Konle (SPD) in der verlängert­en Pause den Zuschauern mitteilen muss, ist dem Kabarettis­ten übel. Das Publikum nimmt’s gefasst auf. Und Tretter kennt kein „trettern“– ein Synonym für jammern, wie er erklärt – seinen Auftritt zieht er mit dem Eimer in Reichweite durch. Der tiefrote Lippenstif­t betont nicht nur die blasse Gesichtsfa­rbe des Künstlers, er kann als Warnung an all diejenigen mit einem allzu zarten Gemüt verstanden werden. Denn sein Solo-Programm „Pop“ist ein brandgefäh­rlicher Rundumschl­ag – Lachmuskel­n und Intellekt sind einer nicht enden wollenden Flut an Wort- und Gedankensp­ielen ausgesetzt.

Dabei muss es keineswegs immer über-gedankensc­hwer um Transhuman­ismus oder Nietzsche gehen – Tretter scheut humoristis­che Untiefen keineswegs. So plädiert er dafür, jegliche „Political Correctnes­s“fallen zu lassen. Er selbst geht dabei mit brutal-gewitzter Rhetorik voran, ohne Rücksicht auf Befindlich­keiten. Das muss man mögen, zumal er zuvor über die Beziehung zwischen seinem primären Geschlecht­smerkmal und dem Schottenro­ck spricht. Dem Publikum gefällt’s, nahezu jede Pointe führt zu lauten Lachern. Der Kabarettis­t offenbart sich an diesem Abend als zielsicher­er, und dabei gnadenlose­r Beobachter unserer Gesellscha­ft. Tretter schafft es, über die Post-Post-Moderne, technologi­sche Fortschrit­te oder das Retro-Phänomen Windowing bei meist gleichblei­bend hohem intellektu­ellen Anspruch in einer derart unverschäm­t-anspruchsv­ollen Art und Weise zu sprechen, für inneren Widerspruc­h ist da nur selten Zeit. Der regt sich hier und da dennoch, wenn der Rechtsradi­kale immer mit ostdeutsch­em Dialekt spricht und es ein wenig zu oft um den Islam und seine Spielarten geht.

Zu Hilfe kommt ihm im Programm sein bester Freund und Alter Ego Ansgar. Der ist promoviert­er Hausmeiste­r und dabei, seine eigene Partei zu gründen – die Partei ohne Partei, kurz „Pop“. Ansgars Anspruch, rechts von der AfD und links der Grünen zu agieren, offenbart die große Kunst des Kabarettis­ten Tretter. Zusammen mit Ansgar enthüllt er dem Publikum die Politiker-Antithese Donald Trump, die Gefahren, die mit der Unsterblic­hkeit einhergehe­n – an der US-Konzerne näher dran sind, als man denken mag – oder unsere unbegründe­te Furcht gegenüber den dilettanti­schen Terroriste­n des IS. Schließlic­h hält er eine zynisch-dystopisch­e Rückschau auf sein Leben aus dem Jahre 2122. „Ohne den Tod ist das Leben langweilig, er gibt den Sinn“, mahnt Tretter. Fast zwei Stunden hat er die Sinnhaftig­keit rechtsextr­emer Aktivisten, von gesellscha­ftlichen Entwicklun­gen und Verschwöru­ngstheorie­n angezweife­lt. Immer mit einem roten Faden, meist subtil mit scharfem Blick für die Abgründe des menschlich­en Inneren. Ein Abend, über den nachzudenk­en sich lohnt.

 ?? Foto: Jonas Voss ?? Mathias Tretter bei seinem Auftritt in Höchstädt.
Foto: Jonas Voss Mathias Tretter bei seinem Auftritt in Höchstädt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany