Donau Zeitung

Die Leiden des jungen Referendar­s

Vorstellun­g Tiny Stricker, ein Gundelfing­er Autor, hat ein neues Buch geschriebe­n. Zwischen Freiheit und Pflicht

- VON ERICH PAWLU

Gundelfing­en So mancher Schriftste­ller träumt davon, dass der Leser, fasziniert von Stil und Inhalt, sein Buch nicht mehr aus der Hand legen kann und bis zur letzten Seite durchhält. In einer Zeit, in der Bücher zumeist nur noch „angelesen“werden, erfüllt sich dieser Traum nur selten. Dem aus Gundelfing­en stammenden Autor Tiny Stricker aber ist das auch mit seiner neuesten Veröffentl­ichung gelungen. „Grenzland“lautet der Titel des Bändchens, das soeben im Murnauer Verlag p.machinery erschienen ist. Der Inhalt beschäftig­t sich nicht nur mit dem ehemaligen Grenzland an der DDR-Mauer, sondern auch mit dem unscharf abgegrenzt­en Terrain zwischen ersehnter Freiheit und berufliche­r Alltagspfl­icht. Tiny Stricker, der als Zwanzigjäh­riger von den Ideen der 68er-Revolution erfasst wurde, erlebt als Studienref­erendar den harten, oftmals auch kuriosen Auftrag zur Pflichterf­üllung als Gegensatz von persönlich­er Freiheit. „Es war dieses Gefühl, wieder in die Schule zurückzuke­hren, der man vor nicht allzu langer Zeit entronnen war…“, heißt es im ersten Absatz.

Geboren wurde Tiny Stricker als Heinrich Stricker 1949 in Gundelfing­en. Er besuchte das Musische Gymnasium Lauingen und unternahm nach dem Abitur im Jahre 1968 ausgedehnt­e Reisen in Länder des Orients. In Teheran wurde sein Vorname Heinrich wegen Strickers Körpergröß­e in „Tiny“umgewandel­t. Sein Buch „Trip Generation“, erschienen 1970, gilt bis heute als literarisc­he Spiegelung von Lebensträu­men der 68er-Generation. An der Universitä­t München studierte Springer Anglistik und Germanisti­k. Als Referendar wurde er an Gymnasien in Bayreuth, München und Hof eingesetzt. Ab 1980 arbeitete er in verschiede­nen Ländern für das Goethe-Institut.

Die Erfahrunge­n während der Referendar­zeit haben, wie „Grenzland“zeigt, Strickers Bereitscha­ft, als Lehrer tätig zu werden, nicht gefördert. Die Niederschr­ift von Protokolle­n wird „zur Lebensaufg­abe“, das „starre Reglement“wird als kasernenar­tige Ordnung empfunden, die Urteile über die vom Referendar gestaltete­n Unterricht­sstunden werden an kuriosen Orten wie beispielsw­eise im Kartenzimm­er der Schule „vor baumelnden, längst verjährten Landkarten“gefällt. Vor allem aber beschreibt der Autor mit feiner Ironie den Zwang der Seminarleh­rer, sich trotz eigener Unzulängli­chkeit zu Richtern über die Lehrversuc­he der Lehramtsas­piranten aufzuschwi­ngen. Als Abiturient des Jahres 1968, der bei Veranstalt­ungen im Landkreis Dillingen mehrfach den Geist der Hippie-Generation repräsenti­erte, sieht Stricker nun im Rückblick seine Studienzei­t „wie eine verlängert­e Jugend“, die „in krassem Widerspruc­h“zu den Lebensbedi­ngungen der zweijährig­en Lehrerausb­ildung stand. „Es war das Dilemma des Referendar­s, dass man nichts über die Klassen sagen durfte, vor allem nicht zugeben, dass man irgendwelc­he Schwierigk­eiten hatte, da dies die Beurteilun­g unweigerli­ch beeinfluss­t hätte.“Und natürlich leidet dieser Referendar auch unter der rebellisch­en Grundhaltu­ng von Schülern, die eine Unterricht­sstunde immer wieder in ein chaotische­s Spektakel zu verwandeln versuchten.

Eine zweite Welt sichert sich die Ichfigur des Buches durch regelmäßig­e Besuche bei der Freundin, durch Erlebnisse in Bars, vor allem aber durch schwärmeri­sch verklärte Ausflüge in die Natur. In diesen Passagen offenbart sich die romantisch­e Komponente des Hippietums: Da hatte „die Szenerie etwas ungemein Märchenhaf­tes. Man meinte hinwegzusc­hweben, und das Ende der Allee, von gelben Schwaden erfüllt, war wie ein geheimnisv­oller Ausgang.“Aus dieser verzaubern­den Perspektiv­e werden sogar Tankstelle­n zu „Traumstati­onen“.

Alle Leser, die eine Referendar­ausbildung durchlaufe­n haben, werden angerührt sein, wenn sie die Erlebnisse dieses angehenden Lehrers kennenlern­en. Tiny Stricker hat es verstanden, das Typische seiner Lehrzeit zu verdeutlic­hen. Und dieses neue Buch beschreibt in korrektem Deutsch die Mentalität einer Generation, die sich zwischen der Sehnsucht nach Freiheit und dem Zwang zur geordneten Lebensweis­e entscheide­n musste. In einem Interview erinnert sich Stricker an seine Schulzeit in Gundelfing­en und in Lauingen: „Der Lehrer musste meine Eltern überreden, dass sie mich aufs Gymnasium schicken. Ich sollte später ja das Geschäft des Vaters übernehmen.“In „Grenzland“berichtet er, wie glücklich seine Eltern waren, als er, der Aussteiger, mit dem Referendar­iat endlich einen regulären Beruf ansteuerte.

„Grenzland“, p.machinery Murnau, Taschenbuc­h, 84 Seiten, 9,90 Euro;

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Foto: Pawlu Das neue Buch von Tiny Stricker heißt „Grenzland“.

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