Donau Zeitung

Bewegtes Leben zwischen Sport und Kunst

Barbara Auer, geboren in Wertingen, aufgewachs­en in Allmannsho­fen, stellt derzeit in der Großen Schwäbisch­en in Augsburg aus. Sie hat noch eine andere Passion als weltweit erfolgreic­he Langstreck­enläuferin

- VON BÄRBEL SCHOEN

Wertingen/Stadtberge­n Auf dem großen Küchentisc­h in ihrem Stadtberge­r Haus liegen etliche Skizzen. Eine davon zeigt eine menschlich­e Figur. Auffallend an ihr sind die dicken Beine. Barbara Auer hat sie kurz vor dem Besuch der Wertinger Zeitung in schnellen Strichen angefertig­t. Ein bemerkensw­ertes Selbstport­rät mit starker Dynamik. Auer bezeichnet diese Art der Arbeit als Situations­analyse. „Ich spüre in mich hinein, bevor ich zu zeichnen beginne.“So kann sie aus dem Inneren schöpfen.

Während des gesamten Zeichenpro­zesses blickt sie kein einziges Mal auf das Blatt. Meistens vollendet sie die Linie in einem Zug. Durch den Blick nach innen könne sie Stimmungen viel intensiver wahrnehmen. Die Ergebnisse solcher Blindzeich­nungen sind nicht realistisc­h, fast karikaturi­stisch. Oft entstehen intuitive Zeichnunge­n, in denen Menschen, Situatione­n und Emotionen eingefange­n werden. Schon Rodin, Schiele, Picasso und andere Künstler haben ihr Auge und die Sicherheit ihrer Hand mit dieser Maltechnik trainiert. Was der Tuschestif­t von Barbara Auer an diesem Morgen aufs Papier bringt, spiegelt den Seelenzust­and wider.

Seit zwei Tagen steckt ihr rechter Fuß in einem dicken Schuh. Ein Knochenbru­ch zwingt die passionier­te Marathonlä­uferin deshalb zur strikten Ruhe.

Kein Wunder, dass ihre jüngste Zeichnung stark akzentuier­t ist, die Extremität­en dunkel schraffier­t sind. Die Stadtberge­r Ausnahmelä­uferin zählt weltweit zu den schnellste­n Ü-50-Langstreck­lerinnen. Ihre persönlich­e Bestzeit von 2:59:59 Stunden liegt unter der Schallmaue­r von drei Stunden. Für die 55-Jährige ist die verordnete Zwangspaus­e allerdings kein Grund zur Lethargie. Im Moment hängt eine Zeichnung von ihr im Augsburger Schaezlerp­alais. Mit ihr hat es die in Wertingen geborene Künstlerin sogar in die 70. „Große Schwäbisch­e“geschafft. Bis zum kommenden Sonntag, den 13. Januar, kann man ihre Arbeit betrachten. Die abstrakte Zeichnung hängt zwischen barocken Werken des 16. und 17. Jahrhunder­ts. Hier trifft die Moderne auf Alte Meister.

Mit der Teilnahme an der Großen Schwäbisch­en hat Barbara Auer eine weitere wichtige Etappe ihres künstleris­chen Werdegangs erreicht. Danach sieht es zu Beginn im elterliche­n Haus in Allmannsho­fen gar nicht aus. Auer: „Eigentlich wollte ich mal Goldschmie­din werden.“Bereits in jungen Jahren erkennen die Eltern die künstleris­che Begabung. Doch der Vater schickt die Tochter nach der Mittleren Reife in einen Baumarkt, wo sie eine Ausbildung zur Bürokauffr­au absolviere­n muss. „Meine schlimmste­n Jahre“, erinnert sich Barbara Auer. Die nächste Station sucht sie sich selbst aus und wird Erzieherin. Anschließe­nde Jahre in einem Kindergart­en bezeichnet sie als intensivst­e Lernphase, in der Improvisat­ion und Kreativitä­t gefragt waren. Die nächste Lebensphas­e ist geprägt von der eigenen Familiengr­ündung. Während der Erziehungs­zeit studiert Barbara Auer Kunstthera­pie in München. Mit ihrem Wissen und ihren Erfahrunge­n bringt sie sich in der Kinder- und Jugendpsyc­hiatrie im Josefinum ein, arbeitet dort von 2011 bis 2017 mit suchtkrank­en Kindern. Erst im sozialen Kontext bekomme Kunst eine Bedeutung, sagt Barbara Auer. „Mich interessie­ren Menschen.“Kreativitä­t beschränke sich bei ihr nicht nur auf das Malen. Sie zieht sich durch ihr ganzes Leben hindurch. Der reduzierte Gestus ist nicht nur in den Ölbildern und Zeichnunge­n charakteri­stisch, sondern bestimmt auch den Alltag. Barbara Auer konzentrie­rt sich auf das Wesentlich­e. In der Reduzierth­eit erreicht sie den stärksten Ausdruck, erlebt intensivst­e Momente in der Natur. Mit der Krücke humpelt die zweifache Mutter in das oberste Stockwerk. Dort wartet ihr Atelier. Seit letztem Jahr ist sie freischaff­end. Hier schließt sich der Kreis. Wie im Sport muss Barbara Auer nun auch künstleris­ch loslassen. Gesteckte Ziele könne man nur ohne Verbissenh­eit erreichen. Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, ein lang gehegtes anzusteuer­n – die Gründung einer Kinderkuns­tschule in Stadtberge­n.

OInfo Die Ausstellun­g läuft bis zum 13. Januar im Schaezlerp­alais (Maximilian­straße 46) sowie im H2, Zentrum für Gegenwarts­kunst im Glaspalast (Beim Glaspalast 1). Geöffnet täglich von 10 bis 17 Uhr, außer an Montagen.

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Fotos/Repros: Schoen Barbara Auer in ihrem Atelier in Stadtberge­n. Hier arbeitet die 55-Jährige seit vergangene­m Jahr als freischaff­ende Künstlerin.
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Dieses 30 mal 30 Zentimeter große Ölbild lautet: „Move 1“.

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