Donau Zeitung

Gepiercte Schönheit

- VON ERICH PAWLU redaktion@donau-zeitung.de

Der Dichter Martin Opitz veröffentl­ichte im Jahre 1644 den Satz: „Wilt du sehen, was Schönheit ist, so must du die Augen der Vernunfft zu Rathe nehmen.“Aber erst heute wird seine Empfehlung ernst genommen. Denn überall wird mit der verfügbare­n Vernunft für Verschöner­ung gesorgt.

Prominente Fußballspi­eler demonstrie­ren das Ausmaß ihrer Vernunft, wenn sie ihre Haut mit Tätowierun­gen in eine Gemäldegal­erie verwandeln lassen. Immer mehr Frauen vertrauen auf die Vernunft von Schönheits­chirurgen und sichern sich mit Silikonimp­lantaten eine Traumfigur. Der Gipfel menschlich­er Schönheit wird aber erst mit dem Nasenring erreicht. Beringt mit Gold und Silber überwindet das Riechorgan endlich seine banale Funktion als Sammelplat­z von Sekreten und wird für schönheits­hungrige Beobachter zum Blickfang.

Obwohl sich die von zeitgemäße­r Vernunft gestützte Schönheit weltweit ausbreitet, gibt es immer noch Menschen, die bei der Betrachtun­g von Tattoos, Silikonges­ichtern und Nasenringe­n jede Begeisteru­ng vermissen lassen. Sie teilen die Auffassung, die der Geheime General-Postamts-Calculator und Kunstkenne­r Johann Gottlieb Siegmeyer im Jahre 1822 zu Papier gebracht hat: Er fordert, „nicht alles für schön zu halten, was neu und künstlich ist, weil leider die Schönheite­n in der Künstlichk­eit gesucht und die große Kunst, durch Einfachhei­t schön und unnachahml­ich zu werden, übersehen wird.“

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