Donau Zeitung

Die eloquente Nervensäge

Hans-Christian Ströbele wird 80 Jahre alt. Der Berliner war weder für seine Gegner noch für seine eigene Partei leicht zu ertragen. Doch Politiker wie er fehlen heute

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Hans-Christian Ströbele war noch kein Politiker, als er in den 70er Jahren auf einem ausgebaute­n Autositz in einem Hinter-Hinterhof in Berlin-Friedenau bei einem Bierchen saß. Doch er war zu diesem Zeitpunkt bereits ein bekannter Jurist. Das hatte weniger damit zu tun, dass er ein talentiert­er junger Anwalt war, sondern mit dem Bekannthei­tsgrad seiner Klienten. Ströbele war Wahlvertei­diger von Andreas Baader, dem Anführer der Roten Armee Fraktion, die die Bundesrepu­blik und West-Berlin mit blutigen Anschlägen in Atem hielt.

Das deutsche Rechtssyst­em sieht natürlich vor, dass jeder Angeklagte verteidigt werden muss, egal ob Kinderschä­nder oder eben Terrorist. Das war und ist das Credo des Berliner Anwalts. Doch in der aufgeheizt­en Atmosphäre dieser Zeit

war es mitunter riskant, dieses stichhalti­ge Argument – ein Grundprinz­ip der Demokratie – in die Diskussion einzuflech­ten. Bestenfall­s war die Reaktion: „Dann geht doch rüber.“Es gab auch Morddrohun­gen. Mit „rüber“war damals in der „Frontstadt“West-Berlin natürlich die DDR gemeint. Doch den Gefallen tat Ströbele seinen Kritikern nicht. Im Gegenteil: Der Jurist ging in die Politik – und zwar mit der gleichen, grenzenlos­en Leidenscha­ft, die er schon als Advokat an den Tag gelegt hatte.

Ströbele wurde 1939 geboren. Immer wieder wird herausgest­richen, dass Ströbele – er ist Sohn eines Chemikers und einer Juristin – in ein von anthroposo­phischen Ideen geprägtes Elternhaus hineingebo­ren wurde. Das mag ihn geprägt haben. Sicher ist, dass Hans-Christian zu einem Mann heranwuchs, der feine Antennen für Ungerechti­gkeiten hat. Selbst seine ärgsten politische­n Gegner – und davon gab es stets viele – würden dem Politiker mit den etwas wirren Haaren niemals vorwerfen, dass es ihm jemals an Mut fehlte. Gleichzeit­ig war Ströbele unermüdlic­h, ja – wie viele Weggefährt­en einräumen – auch manchmal eine Nervensäge in seiner Unerbittli­chkeit. Er selber beschrieb sein politische­s Leben einmal als einen „einzigen Kompromiss“. Nun ja, über dieses Statement dürften auch manche Weggefährt­en milde lächeln.

Das änderte sich, als Ströbele im Parteispen­denausschu­ss zur Jahrtausen­dwende zeigte, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Eloquent und konsequent deckte er handfeste Verstöße in der CDU auf. Ein Sittenbild der Verkommenh­eit kam zum Vorschein. Sicher ist, dass der Mann bis heute voller Energie steckt. Langweilig ist seine Vita nicht: vom RAF-Anwalt zum Mitgründer der alternativ­en Tageszeitu­ng taz, linke Galionsfig­ur der Grünen. Auch eine Krebserkra­nkung konnte ihn nur kurz bremsen.

Für zeitgenöss­ische, konservati­ve Widersache­r – mitunter aber auch und gerade für grüne Parteifreu­nde – war Ströbele die politische Nervensäge schlechthi­n. Eine Klassifizi­erung, die er als Kompliment verstehen würde. Simon Kaminski

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Foto: Britta Pedersen, dpa

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