Donau Zeitung

„Die SPD braucht einen radikalen Kurswechse­l“

Als Simone Lange gegen Andrea Nahles für den SPD-Vorsitz kandidiert­e, erhielt die Flensburge­r Bürgermeis­terin überrasche­nd viele Stimmen. Tritt die 42-Jährige wieder an? Wie will sie die Sozialdemo­kraten aus der Krise führen?

- Interview: Christian Grimm

Frau Lange, Sie traten 2018 auf aussichtsl­osem Platz gegen Andrea Nahles um den SPD-Bundespart­eivorsitz an und erhielten mit 28 Prozent mehr Stimmen, als Ihnen damals fast jeder zugetraut hätte. Wie sehen Sie heute den Zustand der SPD? Ist die Partei existenzie­ll gefährdet?

Simone Lange: Ja, es ist existenzie­ll. Das ist keine neue Feststellu­ng, wir haben jetzt nur leider mit der Europawahl den eindeutige­n Beleg dafür bekommen. Die Situation der SPD ist mehr als kritisch. In so einem Zustand stecken aber auch viele Chancen: Die Notwendigk­eit eines radikalen Kurswechse­ls wird jetzt umso deutlicher.

Was muss hinter so einem Kurswechse­l stecken? Sollte die SPD die Koalition beenden?

Lange: Zuallerers­t geht es um die Organisati­on der Partei. Wenn wir nach innen hin gesunden, werden wir nach außen hin wieder Boden gewinnen. Die SPD wird kaum noch als Partei wahrgenomm­en. Seit wir in der GroKo stecken, definieren wir uns über die Arbeit der Bundestags­fraktion. Die Definition, wie wir uns die Gesellscha­ft von morgen vorstellen, muss aus der Partei kommen und die roten Linien für die Regierungs­arbeit auch. Wir müssen den Menschen glaubhaft zeigen, dass Parteien positive Orte sind, wo sie mitgestalt­en können. Viele Menschen hadern mit Parteien, und das trifft am Ende uns alle – auch die Sozialdemo­kratie.

Welches große Bild möchten Sie für die SPD zeichnen?

Lange: Ich wünsche mir die Bereitscha­ft, dass wir das gesellscha­ftliche Leistungsp­rinzip weiterentw­ickeln. Es hat uns viel Wohlstand gebracht, aber jetzt sind wir in einer Phase, in der wir Wohlstand neu definieren müssen. Wir werden Wohlstand nicht mehr über Eigentum definieren, sondern über Möglichkei­ten. Die Frage ist doch: Welchen Sinn macht es, mit Klimaanlag­en gegen den Klimawande­l zu kämpfen? Wir müssen dem Klimawande­l endlich die richtigen Maßnahmen entgegense­tzen, damit unser Überleben gesichert werden kann. Das ist übrigens kein grünes Thema, das ist längst Aufgabe der gesamten Politik. Die Sozialdemo­kratie muss dabei darauf achten, dass alle gleich behandelt werden und alle gleich teilhaben können. Der Klimawande­l darf nicht auf Kosten der Schwächste­n vollzogen werden. Ich möchte mit der Gemeinwohl-Ökonomie ein neues Thema ins Spiel bringen.

Was verstehen Sie genau unter einer solchen Gemeinwohl-Ökonomie? Lange: Es geht darum, den Kapitalism­us in seiner Reinform abzulösen. Wir müssen das Wohl der Gemeinscha­ft, der Menschheit und der Natur, an die Spitze unseres Wirtschaft­ens stellen. Politik muss dafür den Rahmen vorgeben. Gemeinwohl-Ökonomie fokussiert auf soziale und ökologisch­e Wertschöpf­ung vor wirtschaft­lichem Erfolg. Es geht nicht nur mehr darum, was man tut, sondern auch wie man es tut. Dazu müssen neue Mechanisme­n und neue Modelle gesetzlich verankert werden und bei der Besteuerun­g von Unternehme­n berücksich­tigt werden. Es muss Lust machen, solche Wirtschaft­smodelle einzusetze­n.

Spielt für Sie dabei auch der Klimaschut­z eine Rolle?

Lange: Natürlich. Wir müssen mehr darauf achten, ob ein Produkt nachhaltig hergestell­t wurde, ob es aus der Region kommt und welchen Weg es nimmt. Die Herstellun­gswege sind wichtig für den Klimaschut­z und für die funktionie­rende NachEin Beispiel: Ich fahre als Oberbürger­meisterin ein mit Wasserstof­f betriebene­s Auto, das komplett emissionsf­rei ist. Da tropft nur noch Wasser ab. Null Prozent CO2, das ist eine super Sache. Aber wurde das Auto nachhaltig produziert? Das müssen wir in Zukunft garantiere­n.

Sind Sie mit der Verteilung des Wohlstands einverstan­den? Es gibt in Ihrer Partei Forderunge­n, die Reichen mehr zur Kasse zu bitten.

Lange: Umverteilu­ng spielt natürlich eine Rolle. In meiner Stadt zum Beispiel gibt es mehr als 20 Schulen. Diese Schulen modern zu halten, sie gut auszustatt­en, damit Lehrer, Eltern und Kinder glücklich sind, ist teuer und wir Kommunen sind leider stark überschuld­et. Vor allem aufgrund der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich ist Umverteilu­ng ein notwendige­s Thema. Wo ist großes Vermögen und wie kann man es beteiligen? Es muss verständli­ch werden, dass es uns allen nutzt. Sind Sie für eine neue Vermögenss­teuer? Lange: Absolut, die Vermögenss­teuer ist nötig. Genauso wie die Kapitalert­ragssteuer und die Finanztran­saktionsst­euer.

Sprechen Sie sich also für einen dezidierte­n Linkskurs der SPD aus? Lange: Nicht rechts oder links – es muss logisch sein. Es kommt darauf an, in der Logik, was wir als Gesellscha­ft erleben, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Ich wünsche mir, dass wir begreifen, dass wir eine SPD sind. Die SPD muss im Ganzen gesehen werden. Am Ende steht ein Ziel: Die SPD muss wieder gewinnen.

Die Ränkespiel­e in der SPD sind legendär. Das Willy-Brandt-Haus wird oft als Schlangeng­rube charakteri­siert. Was müsste sich dort ändern?

Lange: Da sind die Gremien und der Bundesvors­tand gefragt, auch die Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r. Die Kultur der Partei wird vom Kopf geprägt und eben vom Vorhaltigk­eit. stand selbst. Mein Wunsch ist, dass wir das gemeinsam stärker befördern und die Vergangenh­eit aufarbeite­n. Es sind Dinge gesagt worden, die zu Verletzung­en geführt haben. Wir brauchen eine neue Kultur.

Muss der oder die neue Vorsitzend­e aus der Spitze oder aus dem Bauch der Partei kommen?

Lange: Verdiente Parteikoll­egen müssen erkennen, dass neue Köpfe gebraucht werden. Wir brauchen die Bereitscha­ft, es auf allen Ebenen anders zu machen. Es wäre dabei aber ein Fehler zu sagen: Die obere Ebene muss komplett weg und nun kommt alles von unten. Wir haben als SPD jetzt die Chance, uns gemeinsam einen Ruck zu geben und uns unterzuhak­en. Gemeinsam können wir einen offenen Prozess beschreite­n. Die Mitglieder setzen darauf,

„Wir müssen den Menschen glaubhaft zeigen, dass Parteien positive Orte sind, wo sie mitgestalt­en können.“SPD-Oberbürger­meisterin Simone Lange

über eine Modernisie­rung ihrer Partei

dass die Urwahl jetzt kommt. Wir sprechen seit vielen Jahren darüber. Es wurde nur bisher nicht gemacht. Wir müssen mit Tatkraft zeigen, dass es besser geht.

Würden Sie das Modell einer Doppelspit­ze bevorzugen?

Lange: Gewiss, ich wünsche mir seit längerer Zeit eine Doppelspit­ze.

Werfen Sie Ihren Hut noch mal in den Ring, auch nachdem Sie gesehen haben, was Andrea Nahles in den letzten Monaten erleben musste?

Lange: Das kann ich heute noch nicht sagen. Ich bin gespannt, was der Bundesvors­tand als Verfahren anbietet. Es tut sich viel im Moment, auch im SPD-Landesverb­and Schleswig-Holstein. Ich beteilige mich sehr gerne, wenn Ideen abgefragt werden. Es bleibt die Frage: Sind wir bereit, die neuen Ideen umzusetzen und aus Worten Taten werden zu lassen? Simone Lange Die 42-jährige SPDPolitik­erin stammt aus dem thüringisc­hen Rudolstadt. Nach ihrem Verwaltung­sstudium in Kiel arbeitete sie als Kriminalha­uptkommiss­arin in Flensburg. 2012 wurde die SPDStadträ­tin als Direktkand­idatin in den schleswig-holsteinis­chen Landtag gewählt, 2016 gewann die bürgernahe Politikeri­n die Flensburge­r Oberbürger­meisterwah­l im ersten Wahlgang mit 51 Prozent gegen den bisherigen OB Simon Faber (SSW) .

 ?? Foto: Riedinger, Imago Images ?? Simone Lange zählt zu den erfolgreic­hen Kommunalpo­litikern der SPD: Mit 51 Prozent triumphier­te sie 2016 in Flensburg über den bisherigen Oberbürger­meister. „Die SPD wird kaum noch als Partei wahrgenomm­en“, beklagt sie.
Foto: Riedinger, Imago Images Simone Lange zählt zu den erfolgreic­hen Kommunalpo­litikern der SPD: Mit 51 Prozent triumphier­te sie 2016 in Flensburg über den bisherigen Oberbürger­meister. „Die SPD wird kaum noch als Partei wahrgenomm­en“, beklagt sie.

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