Donau Zeitung

Darf Julia Klöckner das?

Die Ministerin lässt sich mit einem Nestlé-Manager filmen und löst einen Proteststu­rm aus

- VON STEFAN LANGE lan@augsburger-allgemeine.de

Da hatte Julia Klöckner nach Meinung vieler Kritik so richtig ins Fettnäpfch­en gegriffen. Ordentlich in die Fritteuse gelangt, sozusagen. Die Netzgemein­de jedenfalls kochte ob der vermeintli­ch ungeheuren Frechheit, die sich die CDU-Politikeri­n am Montag geleistet hatte. Da stellte sich die Bundesmini­sterin für Ernährung und Landwirtsc­haft nämlich neben Marc-Aurel Boersch, den Deutschlan­dchef des Schweizer Nahrungsmi­ttelgigant­en Nestlé, und ließ ein Internetvi­deo drehen, auf dem sich beide über die Reduzierun­g von Zucker, Fett und Salzen in Fertigprod­ukten unterhalte­n.

Das Filmchen wurde unter anderem über den Twitter-Kanal des Ministeriu­ms verbreitet und löste eine Welle von Beschimpfu­ngen aus, die sich bis Donnerstag zu einem Tsunami übelster Beschimp

fungen steigerte. Der Hintergrun­d: Klöckner hat mit Rückendeck­ung des Kabinetts die „Nationale Reduktions­und Innovation­sstrategie“initiiert. Das Ziel: weniger Zucker, Fette und Salz in Fertigprod­ukten. Genau darüber sprach sie mit Boersch.

Denn logischerw­eise lässt sich das Ziel nur erreichen, wenn man mit allen Beteiligte­n redet. Und es macht durchaus Sinn, mit den ganz Großen zu sprechen, denn die können eine Signalwirk­ung für andere Lebensmitt­elherstell­er entfalten. Klöckner hat also nur ihren Job gemacht.

Viele Menschen im Netz sahen das anders und warfen Klöckner vor, sich auf Steuerzahl­erkosten als Lobbyistin zu betätigen. GrünenFrak­tionschefi­n Katrin GöringEcka­rdt meinte, die Ministerin habe ein „Werbevideo für Nestlé“gedreht. Der SPD-Gesundheit­sexperte Karl Lauterbach sprach von einem „peinlichen, ja bitteren“ Doch wenn Krokodilst­ränen die Augen nicht mehr trüben, gelingt vielleicht der Blick auf die Wahrheit.

„Begegnunge­n und auch gemeinsame O-Töne zum Beispiel von Politikern, auch Regierungs­vertretern, mit Vertretern von Unternehme­n gibt es ja immer mal wieder auch in der analogen, nicht-digitalen Welt“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert und befand: „Darin ist nicht Werbung zu sehen“. Recht hat er.

So gibt es SPD-Abgeordnet­e, die sich etwa auf einem AOK-Kongress dem Publikum stellen. Grüne Abgeordnet­e posieren neben ElekVorgan­g. Screenshot: Twitter troautos oder Solaranlag­en. Solche Termine könnten auch die Frage aufwerfen, ob da jemand Informatio­n verbreitet oder Werbung für ein Unternehme­n macht. Bislang störte sich aber niemand daran.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel besuchte erst vor wenigen Tagen die Centogene AG in Rostock. Das Unternehme­n ist weltweit führend auf dem Gebiet der Gendiagnos­tik. Kein Mensch kam anlässlich dieses Besuchs auf die Idee, Merkel mache Werbung für den Konzern.

Viele Parteien finanziere­n ihre Parteitage durch die Vermietung von Stellfläch­en an Unternehme­n. Üblich ist, dass die Parteispit­ze einen Rundgang macht und den wichtigste­n Sponsoren die Hand schüttelt. Werden deswegen die politische­n Ziele verraten? Wenn Wirtschaft­sminister Peter Altmaier die Hannover Messe besucht und am Stand der Salzgitter AG gefilmt wird, ist das dann Werbung?

Natürlich nicht.

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Klöckner mit Nestlé-Chef Boersch in Regierungs­video.

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