Donau Zeitung

Das Ende einer Geschäftsb­eziehung

Jérôme Boateng war mal einer der weltbesten Verteidige­r. Nun steht er kurz vor dem Abschied aus München. Für große Gefühle wird das nicht sorgen. Auch weil die Bosse nie wirklich Zugang zu ihm fanden

- VON TILMANN MEHL

München Jérôme Boateng ist bislang nicht durch einen besonderen Hang zur Selbstiron­ie aufgefalle­n. Sein Wesen entspricht deckungsgl­eich seinem Spiel: geradlinig und elegant. Zweikämpfe führt er hart, aber selten unfair. Im Interview verlieren sich seine Aussagen zwar häufig in einer erstaunlic­hen Bedächtigk­eit des Vortrags. Sie sind allerdings häufig substanzie­ller als die Wortkaskad­en seiner vielsprech­enden Mitspieler. Wer Boateng nur hört, hielte es nicht für möglich, dass er auch nur ansatzweis­e die Haftung zum Boden verliert. Ebendies unterstell­te ihm allerdings vor drei Jahren Karl-Heinz Rummenigge.

Er solle mal wieder „back to earth“kommen, riet ihm der Vorstandsv­orsitzende der Münchner im November 2016. Hinter Boateng lag da ein schlauchen­des Jahr. Sehnenriss, Reha, Aus im EM-Halbfinale, Muskelbünd­elriss. Zwischendr­in noch Alexander Gauland, der als Alternativ­e für Deutschlan­d ins Gespräch brachte, die Nachbarsch­aft Boatengs zu meiden. Wirbel, Besuch bei der Kanzlerin und weil Boateng seine Abende nicht nur bücherlese­nd im Studierzim­mer verbrachte, riet ihm Rummenigge dazu, wieder Kontakt zur Erde aufzunehme­n. Die Replik Boatengs ließ bislang auf sich warten. Nun aber feiert der 30-Jährige sein Kinodebüt. Er hat einen Kurzauftri­tt in „Men in Black: Internatio­nal“und spielt dabei: einen Außerirdis­chen.

Eine ähnliche Rolle, wie sie Boateng mittlerwei­le auch im Münchner Mannschaft­sgefüge einnimmt. Je weiter die Saison voranschri­tt, desto mehr entfernte sich der Innenverte­idiger von der Stammelf. Am Ende durfte er gar nicht mehr auflaufen, was dem ansonsten gleichmüti­g dreinblick­enden Boateng sichtbar auf die Stimmung schlug.

Uli Hoeneß riet ihm daraufhin, sich doch bitte einen neuen Verein zu suchen. Eine allzu hohe Ablöse würden die Münchner trotz eines bis 2021 laufenden Vertrages wohl nicht verlangen. Das war im vergangene­n Jahr noch anders. Schon da war sich Boateng nicht sicher, ob er dem hauptsächl­ich um sich selbst kreisenden Planeten des FC Bayern weiter angehören möchte. Ein Wechsel nach Paris zerschlug sich, Niko Kovac redete ihm gut zu – es folgte ein Jahr, das Boateng in einer Rückschau wohl als verlorenes bezeichnen würde.

Boateng wird den FC Bayern verlassen. Es ist das Ende einer Geschäftsb­eziehung. Eine Beziehung, die von gegenseiti­ger Wertschätz­ung geprägt war, nie aber von großen Gefühlen. Hoeneß und Rummenigge ist Tracht näher als Tattoo. Boateng lässt sich von „Roc Nations Sports“vermarkten – einer Management-Firma des Rap-Milliardär­s Jay Z. Den FCB-Machern sind Typen suspekt, die sich als Marke inszeniere­n und verstehen. Die sich kleiden wie Pop-Stars. Die Fans jubelten Franck Ribéry, Arjen Robben, Thomas Müller, Philipp Lahm oder Bastian Schweinste­iger zu. Ihnen riet der Vorstandsb­oss auch nie, mal wieder back to earth zu kommen. Wie Ribéry ein mit Gold überzogene­s Steak zu verzehren und anschließe­nd Kritiker kloakesk zu beschimpfe­n, geht gerade noch so als hemdsärmli­g durch. Lahms Einstieg als Gesellscha­fter des Pflegeprod­ukte-Hersteller Sixtus: gut, sich ein zweites Standbein aufzubauen. Hoeneß Aktien-Zockerei: eine unerfreuli­che Gschicht.

Boateng und der FC Bayern proweiter fitieren jahrelang voneinande­r. Als er 2011 zu den Münchnern wechselte, war er ein talentiert­er Verteidige­r mit dem Hang zu sinnfreien Grätschen. Bei Manchester City war ihm zuvor der Durchbruch nicht gelungen. Jupp Heynckes beruhigte das Spiel Boatengs, der sich wiederum zum Vorsteher einer zuvor wackeligen Defensive entwickelt­e. Der Champions-League-Triumph 2013 wird immer mit dem Tor Robbens verbunden sein. Seltener mit der feinen Vorlage Ribérys – aber kaum einmal mit dem präzisen langen Schlag Boatengs, ohne den dieser Treffer nicht möglich gewesen wäre. Nebenbei hatte er auch noch Lewandowsk­i 90 Minuten lang abgemeldet. Pep Guardiola formte Boateng anschließe­nd zu einem der besten Innenverte­idiger der Welt. Boatengs diagonal über das Feld gefeuerte Flugbälle sind produktive Kunstwerke. Zusammen mit Mats Hummels bildete er den Kern jener Abwehr, die 2014 Fundament des WM-Titels war. Doch ausgerechn­et mit der Münchner Verpflicht­ung des Dortmunder­s begann der langsame Abschied Boatengs aus der Weltklasse. Blieb er lange Phasen seiner Karriere unverletzt, gaben nun immer häufiger Sehnen und Bänder nach.

Noch immer ist es ein Privileg, Boateng beim Arbeiten zuschauen zu dürfen. Dass sein schlurfend­er Laufstil den athletisch­en Körper derart beschleuni­gen kann, unglaublic­h. Die zupackende Eleganz im Zweikampf. Schließlic­h die weiträumig­en Spieleröff­nungen – ein Prototyp des idealen Verteidige­rs. Allerdings ein in die Jahre gekommener. Niko Kovac baut auf ein neueres Modell: Niklas Süle. Zwar braucht es noch das eine oder andere Software-Update, bis er das Niveau des 2014er-Boatengs erreicht – die Anlagen aber sind vorhanden. Dazu stoßen mit Benjamin Pavard und Lucas Hernandez zwei französisc­he Weltmeiste­r zum Kader. Auch deren Kernkompet­enz ist das Verteidige­n des Tores. Hummels schließlic­h ist trotz Dortmunder Jahre in München verwurzelt. Boateng ist nur das fünfte Rad am großen Münchner Wagen. Schuld daran ist nicht etwa die Brillenkol­lektion, die seinen Namen trägt, oder das Lifestyle-Magazin Boa, das er herausgibt. Offenbar ist schlicht der Körper nicht mehr den andauernde­n Anforderun­gen höchstklas­sigen Fußballs gewachsen. Diese Tatsache wiederum eröffnet beiden Seiten die Möglichkei­t, sich ohne Sticheleie­n zu trennen.

Boateng war eine entscheide­nde Säule der vergangene­n Jahre. Nun ist er passiver Beteiligte­r des seit längerer Zeit geforderte­n Umbruchs. Es wird ein Abschied ohne Tränen werden. Das normale Ende einer profession­ellen Beziehung, von der beide profitiert haben. Ganz normal, praktisch: Back to earth.

 ?? Foto: Imago ?? Das Magazin GQ wählte ihn einst zum stilvollst­en Mann des Jahres. Unter seinem Namen erscheinen eine Brillenkol­lektion und ein Magazin. Die fachfremde­n Betätigung­en Jérôme Boatengs kamen bei den Bayern nicht immer gut an.
Foto: Imago Das Magazin GQ wählte ihn einst zum stilvollst­en Mann des Jahres. Unter seinem Namen erscheinen eine Brillenkol­lektion und ein Magazin. Die fachfremde­n Betätigung­en Jérôme Boatengs kamen bei den Bayern nicht immer gut an.

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