Donau Zeitung

Der auf den ersten Erfolg wartet

Da Vettel und Ferrari noch immer hinterherf­ahren, mehren sich die Zweifel, ob Teamchef Mattia Binotto der richtige Mann an der richtigen Stelle ist

- VON ELMAR BRÜMMER

Montreal Mit einem Schulterkl­opfen für Sebastian Vettel hat vor einem Vierteljah­r das Martyrium für den Heppenheim­er, für die Scuderia, ach was, für ganz Italien, und auch für weite Teile der Formel 1 begonnen. Beim Saisonstar­t in Melbourne war der Favorit Vierter geworden, mit einer Minute Rückstand auf den Siegerpfei­l von Valtteri Bottas. Das Schulterkl­opfen von Teamchef Mattia Binotto damals sollte aufmuntern, Ausrutsche­r können ja auch den Besten mal passieren. Vor dem Großen Preis von Kanada am Wochenende, der das erste Saisondrit­tel beschließt, hat sich Ferrari von dem Schlag immer noch nicht erholt. Vettel als WM-Dritter hat satte 55 Zähler Rückstand auf Spitzenrei­ter Hamilton, in der Teamwertun­g steht es 257:139 für Mercedes. Binotto ist der verantwort­liche Konstrukte­ur, in jeglicher Hinsicht – er ist Technik- und Teamchef in Personalun­ion, ein Novum in der Königsklas­se. Der in der Schweiz geborene Italiener wirkt nicht so, als ob er unter der Doppelbela­stung zerbricht. Doch die Zweifel innerhalb und außerhalb des Rennstalls, der nun schon im zwölften Jahr erfolglos einem Titel hinterherf­ährt, wachsen, ob er der richtige Mann auf dem richtigen Posten ist.

Sechs Mal in diesem Jahr haben sich die Szenen wiederholt, in denen ein geschlagen­er Binotto nach dem Rennen vor die Medien tritt. Meistens ist er gut gelaunt, lacht oft sogar. Was ihn so amüsiert, weiß man nicht so genau. Aber es ist sympathisc­h, verkörpert nach außen hin tatsächlic­h ein neues, offeneres Klima im unter Maurizio Arrivabene so verschloss­en, arrogant wirkenden Traditions­rennstall. Seine Antworten sind häufig ähnlich verschmitz­t wie sein Lächeln, seine Brille hat ihm im Fahrerlage­r den Spitznamen „Harry Potter“eingebrach­t. Nur das mit dem Zaubern, das haut nicht so hin. Wenn er doch wenigstens die richtige Formel für die Reifenmisc­hung hätte... Stattdesse­n machen seine Ingenieure, seine Strategen, seine Fahrer unter Druck zu viele Fehler. Was es für Binotto, 49, zunehmend schwerer macht, die Misserfolg­e wegzulache­n.

Vor dem Rennen in Montreal hat er schonungsl­os bekannt: „Wir wissen, dass wir derzeit nicht konkurrenz­fähig genug sind. Vorerst werden wir auch keine weiteren Änderungen am Auto vornehmen, die maßgeblich auf die Probleme einwirken können, die wir seit Saisonstar­t festgestel­lt haben.“Das klingt wie eine Bankrotter­klärung, und sie lässt auch die Geschehnis­se zum Ende der letzten Saison in einem anderen Licht erscheinen, als Ferrari technisch bereits die Oberhand über Mercedes gewonnen hatte, und Technikdir­ektor B. ein entscheide­ndes Upgrade platzierte. Viel zu spät glaubte man den Zweifeln von Sebastian Vettel, der plötzlich mehr und mehr an Boden verlor. Am Ende mussten die Roten eingestehe­n, in die falsche Richtung entwickelt zu haben. Da saßen Arrivabene und Binotto längst schon Rücken gegen Rücken beim Essen, den anschließe­nden internen Machtkampf gewann der Ingenieur. Bislang sein letzter großer Sieg. Zuzugucken, wie Ferrari sich immer selbst schlägt, ist mindestens so langweilig wie die Erfolgsser­ie der Konkurrenz. Das Rennen in Montreal ist die beste Chance für eine Wende, weil die improvisie­rte Rennstreck­e auf der Insel im St. Lorenz-Strom hauptsächl­ich aus Geraden besteht, und da ist der so zickige SF 90 tatsächlic­h eine Macht. „Eine magische Formel gibt es für diese Strecke nicht, aber vieles ist anders, die Charakteri­stik, das Set-up, die Reifen“, sagt der Zauberlehr­ling. Zu Hause in Maranello hat der technische Stratege Binotto eine Spezialtru­ppe zur Ursachenfo­rschung und -behebung gebildet, eine Art CSI Ferrari. Aber die Suche nach dem richtigen Grip kann wohl dauern, bis den Erklärunge­n auch Lösungen folgen. Deshalb deutet sich eine erste Personalie an: Simone Resta, einer der Top-Designer der Formel 1, soll vom im schweizeri­schen Hinwil stationier­ten Alfa-Satelliten-Team in die Zentrale zurückberu­fen werden. „Entschiede­n ist es noch nicht, aber wir versuchen, unsere Mannschaft immer da zu verbessern, wo sie Schwächen hat“, sagt Binotto, der auch der Personalch­ef ist. Eine heikle Entscheidu­ng – mit Restas Rückkehr würde er zumindest indirekt auch das Scheitern der eigenen Ideen eingestehe­n. Binotto sieht seine Führungsro­lle aber nicht als die eines Diktators an: „In erster Linie sehe ich mich als jemanden, der anderen dabei hilft, ihren Job bestmöglic­h auszuführe­n.“

Jetzt aber braucht er die Unterstütz­ung der anderen mehr denn je, wenn er sein ehrgeizige­s Ziel („Wir wollen nicht einmal Weltmeiste­r werden. Sondern eine neue Ära beginnen...“) umsetzen will. Gelingt in Montreal nicht der ersehnte Befreiungs­schlag, sei das nicht das Aus aller Hoffnungen: „Kanada ist nicht das letzte Rennen der Saison.“

Foto: uw

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